Neue Strategie deutscher Behörden:Kampf gegen die Ich-AGs des Terrors

Lesezeit: 3 min

Alltag geworden: Sonderkommandos haben jüngst in Berlin Haftbefehle gegen Verdächtige aus der Islamistenszene vollstreckt. (Foto: dpa)
  • Einsätze von Spezialkommandos gegen Dschihadisten sind in Deutschland Alltag geworden.
  • Mehr als 200 Islamisten sind aus dem Krieg in Syrien zurückgekehrt; nur ein ganz harter Kern gilt als kampferprobt und verroht.
  • Bayern, Baden-Württemberg und NRW stocken die Sicherheitsbehörden personell auf.

Von Hans Leyendecker, München

Der Ablauf ist schon fast Routine geworden, die Verarbeitung der Nachricht durch Justiz und Politik auch. Am Donnerstag teilte der Generalbundesanwalt mit, erneut seien zwei deutsche Syrien-Rückkehrer festgenommen worden. Der 26-jährige Mustafa C. aus Mönchengladbach und der 27-jährige Sebastian B. aus Herford wurden frühmorgens verhaftet. Beide sollen 2013 über die Türkei in den Krieg ausgereist sein und sich in Syrien einem Kampfverband angeschlossen haben, der mittlerweile zur Miliz Islamischer Staat (IS) gehört. Der Ostwestfale kam im November 2013 zurück, der Islamist vom Niederrhein im September 2014. Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) erklärte nach den Festnahmen, die Behörden hätten die "gefährlichen Rückkehrer verstärkt im Blick".

Einsätze von Spezialkommandos gegen Dschihadisten sind Alltag geworden. "Derzeit verhaften wir Leute, die wir vor ein paar Wochen noch nicht inhaftiert hätten", sagt ein hochrangiger Sicherheitsbeamter. In Anspielung auf die Diskussion über die Vorratsdatenspeicherung verwenden manche Terrorbekämpfer etwas spöttisch den Begriff "Vorsorge-Festnahme". Das meint: Potenziell gefährliche Islamisten werden derzeit im Zweifel von der Straße geholt. Ob das Material gegen die Beschuldigten in einer Hauptverhandlung später ausreichen wird, ist nicht mehr ganz so wichtig.

"Derzeit verhaften wir Leute, die wir vor ein paar Wochen noch nicht inhaftiert hätten."

Juristisch ist das Vorgehen der Behörden, wie auch im Fall der beiden Islamisten aus NRW, nachvollziehbar. Beide sollen in Syrien eine militärische Ausbildung für den Dschihad durchlaufen und anschließend logistische Aufgaben wie den Transport von Verpflegung an die Frontlinie übernommen haben. Der Mönchengladbacher soll außerdem für Propaganda in der Kampftruppe zuständig gewesen sein.

Den beiden Männern wird Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung vorgeworfen und bei dem angeblichen Propagandisten kommt noch der Vorwurf hinzu, er habe angeblich eine "schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet". In Syrien oder im Irak.

Die Festnahme-Serie und die Razzien - am Donnerstag wurden Wohnungen von Islamisten in Kassel durchsucht - dienen dem Ziel, Druck auf die Szene auszuüben; und sie sollen zugleich Wachsamkeit signalisieren. Wo die Gefahr am größten ist, weiß niemand.

Alltag geworden: Sonderkommandos haben am Freitag in Berlin Haftbefehle gegen Verdächtige aus der Islamistenszene vollstreckt. (Foto: Lukas Schulze/dpa)

Als "Ich-AG des Terrors" gelten im Geheimen Radikalisierte. Eine noch größere Bedrohung?

Mehr als 200 Islamisten sind aus dem Krieg zurückgekehrt; die allermeisten von ihnen sind traumatisiert, desillusioniert. Nur ein ganz harter Kern gilt als kampferprobt und verroht. Gefährlicher als all die radikalen Islamisten, die in den Gefährder-Listen der Behörden stehen, könnte aber ein Islamist sein, der nie im Krieg war, nicht ausreisen wollte, sondern sich in der Stube selbst radikalisiert hat. Eine Ich-AG des Terrors. Als Methode wird das bei Sicherheitsbehörden diskutiert, seit ein junger Islamist, den niemand kannte, 2011 in Frankfurt zwei US-Soldaten ermordete. Es sei auffällig, sagt ein Verfassungsschützer, dass sich seit einer Weile Leute, die niemand auf dem Bildschirm gehabt habe, offen in Chats ganz radikal äußerten.

Rund vierzig Behörden befassen sich hierzulande mit Terrorabwehr; und seit Paris klingelt ständig das "Infotelefon" im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) in Berlin. Verrückte und Wichtigtuer geben Hinweise auf angebliche Anschlagsziele, aber auch ernsthafte Warnungen könnten darunter sein. Allein in NRW hat sich die Zahl der Tipps innerhalb von zwei Wochen verachtfacht. Aus vagen Hinweisen wurden oft Schlagzeilen. Angeblich drohten Anschläge auf Bahnhöfe, angeblich müsse mit einem Attentat auf Pegida-Vertreter gerechnet werden. Die Hinweise stammten von ausländischen Nachrichtendiensten, ihr Ursprung ist unklar. Zu allen Zeiten und immer wieder wird im Netz über Anschläge auf Bahnhöfen geraunt.

Zur Routine gehört es jetzt, dass Karlsruhe in die Meldungen über erfolgte Festnahmen den Passus einfügt: "Es liegen keine Anhaltspunkte für konkrete Anschlagpläne oder Anschlagvorbereitungen der Beschuldigten vor." Hunderte Hinweise gingen 2014 im GTAZ ein und wurden einer Art Plausibilitätskontrolle unterzogen: Wer ist die Quelle, was war der Ursprung der Nachricht, ist sie nachvollziehbar? Die wichtigeren Meldungen - etwa 140 - wurden dann noch einmal an einem "Infoboard" besprochen.

Die gängigen Formeln (Wachsamkeit, Sorge) über die Gefahrenlage sollen Ruhe signalisieren. Aber es bleiben Formeln. Bayern, Baden-Württemberg und NRW stocken derzeit die Sicherheitsbehörden personell auf. Die meisten Bundesländer prüfen das noch. Einige Länder, darunter auch Sachsen, wollen bis auf Weiteres an Abbauplänen beim Personal festhalten.

© SZ vom 23.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: