Neue Spuren im Fall Barschel:DNA eines rätselhaften Fremden

Wie der frühere Ministerpräsident Uwe Barschel 1987 in einem Genfer Hotel zu Tode kam, ist nie geklärt worden. Jetzt sind DNA-Spuren einer unbekannten Person am Tatort aufgetaucht. Sie sprechen für eine bislang vernachlässigte Theorie.

Hans Leyendecker

Fast 25 Jahre nach dem Tod des früheren schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Uwe Barschel im Genfer Hotel Beau-Rivage taucht in dem ohnehin geheimnisumwitterten Fall eine weitere rätselhafte Figur auf: Durch Anwendung neuer wissenschaftlicher Untersuchungsmethoden hat das Kieler Landeskriminalamt (LKA), wie die Welt am Sonntag meldete, DNA-Spuren einer fremden Person an Kleidungsstücken Barschels und einem seiner Hotel-Handtücher gefunden. Sie waren als Asservate aufbewahrt worden.

Uwe Barschel, 1987

Uwe Barschel am 30. Juli 1987 bei einer Pressekonferenz - sein Tod gibt bis heute Rätsel auf.

(Foto: DPA)

Diese Spuren werden vermutlich die seit Jahrzehnten wabernden Gerüchte über das Ende Barschels wieder anheizen. Es ist aber unwahrscheinlich, dass die Ermittlungen im Fall Barschel neu aufgenommen werden. Die Lübecker Staatsanwaltschaft sieht keinen erfolgversprechenden neuen Ermittlungsansatz. Mit großem Aufwand hatten die Strafverfolger in den 90er-Jahren im Fall Barschel ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des Mordes gegen unbekannt geführt. 1998 wurde die 14.000 Seiten dicke Akte geschlossen. Aber die Diskussionen über das Ende des in eine Politaffäre verwickelten ehemaligen Regierungschefs, der, vollgepumpt mit einem Medikamentencocktail, tot in der Badewanne gefunden wurde, hörten nie auf.

Zwei Lager standen sich von Anfang an unversöhnlich gegenüber: Es gibt die Anhänger der Mordtheorie und die Anhänger der Selbstmordtheorie. Falls die neuen analytischen Untersuchungen Bestand haben sollten, machen sie eine weitere Variante wahrscheinlicher: Der große Unbekannte könnte doch ein sogenannter Sterbehelfer gewesen sein. Auffällig war von Anfang an, dass die Todesumstände Barschels den Empfehlungen der "Gesellschaft für humanes Sterben" für einen Suizid entsprachen.

Den Anstoß für die neuen Untersuchungen hatte der Kieler CDU-Landtagsabgeordnete Werner Kalinka gegeben, der früher als Journalist arbeitete und in Büchern wie "Der Fall B. Der Tod, der kein Mord sein darf" die Mordthese favorisiert hat. In einem Schreiben an das Kieler Justizministerium hatte er auf die neuen technischen Möglichkeiten der Labore hingewiesen - und die Lübecker Staatsanwaltschaft hatte dann das LKA gebeten, noch einmal die Techniker zu bemühen.

Mischspuren festgestellt

Solche Untersuchungen führen immer wieder einmal zu neuen Erkenntnissen. Vor elf Jahren beispielsweise konnte durch neue molekulargenetische Untersuchungen im Fall des am 1. April 1991 ermordeten Vorstandsvorsitzenden der Treuhandanstalt Detlev Rohwedder eine Haarspur des RAF-Terroristen Wolfgang Grams festgestellt werden. Von Kriminalwissenschaftlern war damals in aufwendigen Forschungsreihen eine Methode entwickelt worden, die eine DNA-Analyse an ausgefallenen Haaren ermöglichte.

Im Fall Barschel wurden nun die Strickjacke des Toten, seine Socken, die Krawatte, der Anzug, Handtücher und natürlich auch das Hemd mit dem abgerissenen Knopf abermals auf mögliche DNA-Spuren untersucht. An einigen Teilen seiner Garderobe und an einem Handtuch wurden Mischspuren festgestellt, die von Barschel und einer unbekannten Person stammen sollen.

Was im Fall Rohwedder den Durchbruch brachte, ist im Fall Barschel nur eine neue, wenngleich interessante, Variante. Bei Rohwedder stand fest, dass er am 1. April 1991 gegen 23.30 Uhr in seinem Privathaus in Düsseldorf-Oberkassel durch Schüsse von einem gegenüberliegenden Schrebergartengelände ermordet worden war. Auf dem Gelände wurde ein Selbstbezichtigungsschreiben der RAF mit Emblem gefunden. Im Gebüsch lag das Frotteehandtuch mit einer Haarspur von Grams.

Unter ungeheurem Druck

Im Fall Barschel aber konnte bis heute weder ein Tatmotiv noch ein Tatverdächtiger ausgemacht werden. Nicht einmal die Todeszeit steht fest. Zur Mord-Hypothese gehörte meist die Vermutung, Barschel sei in irgendwelche Waffengeschäfte verwickelt gewesen. Ob er angeblich mit dem damals rassistischen System in Südafrika oder mit Iran gehandelt hatte - stets stand am Ende angeblich der raffiniert getarnte Mord durch staatliche Killer. Elf Nachrichtendienste und die Mafia-Organisation Camorra wurden in Büchern und Filmen verdächtigt. Dabei spielte es keine Rolle, ob Barschel der Gute war, der die Bösen auffliegen lassen wollte, oder ob er der Schurke war, der kassiert hatte und nach seinem unrühmlichen Abgang in Kiel nicht mehr liefern konnte. Das Problem war nur: Es gab nie einen Beweis für eine Beteiligung Barschels an irgendeinem Waffengeschäft.

Der Christdemokrat stand damals wegen seiner Affären-Geschichte unter ungeheurem Druck. Er war gezeichnet von den Narben des politischen Kampfes und litt darunter, dass sich die eigene Partei von ihm abgewandt hatte. Selbst sein Rücktritt als Regierungschef wegen angeblicher Tricks gegen politische Gegner hatte damals vielen in der Partei nicht gereicht. Aber so verwegen, die CDU als Auftraggeber des angeblichen Mordes zu bezeichnen, waren selbst die Anhänger der Mordthese nie. Die Ereignisse sind auch deshalb so schwer zu rekonstruieren, weil die Schweizer Ermittler ungewöhnlich schlampig gearbeitet haben. Es gibt keine verwertbaren Tatortfotos, weil der Fotoapparat falsch eingestellt war. Es gibt keine Auswertung von Fingerspuren, weil die eidgenössischen Ermittler darauf verzichteten. Ein Abschiedsbrief Barschels wurde nicht gefunden. Das ist aber in vielen Suizidfällen so.

Die Mordtheorie und die bislang kaum diskutierte Sterbehilfe-Theorie litten und leiden jedoch unter einem Umstand: Es war ein Zufall, dass Barschel nach Genf reiste. Im Urlaub auf Gran Canaria hatte er nach seinem Rücktritt eine Mitarbeiterin der Ferienanlage für seine geplante Rückreise nach Deutschland um einen Flug über Zürich gebeten. Sie erwiderte, die Maschine sei voll. Barschel sagte dann: "Egal, dann eben ein Flug über Madrid oder Genf." Sie bestellte ein Ticket nach Genf. Es ist nicht klar, wie dann ein Mordkommando oder ein gewöhnlicher Sterbehelfer vor Ort hätten sein können.

Der Unbekannte verließ vermutlich den Raum, als Barschel noch lebte

Im Zimmer 317 des Beau-Rivage, das Barschel am 10. Oktober 1987 bezog, wurden keinerlei Spuren von Gewalt gefunden. Die Leiche in der Badewanne wies nur ein blasses Hämatom auf der Stirn auf, das sich Barschel bei einer Bewusstseinstrübung selbst zugezogen haben konnte. Auffällig war, dass Barschel eine Flasche Rotwein bestellt hatte, die später nicht mehr gefunden werden konnte. Unter anderem auch das deutete darauf hin, dass sich möglicherweise doch ein Fremder in dem Zimmer aufgehalten und die Flasche entsorgt hatte. Ein Kellner hatte zwei Rotweingläser gebracht. Das zweite Glas war allerdings nicht benutzt worden.

Barschel wurde am 11. Oktober tot in der Badewanne gefunden. Das Wasser war kalt. Die Todesumstände entsprachen ziemlich genau schriftlichen Anleitungen von Sterbehilfeorganisationen. Dort wird empfohlen, eine Kombination von verschiedenen Medikamenten einzunehmen und anschließend Alkohol zu trinken. Die Mischung von Substanzen, die Barschel zu sich nahm, stimmt damit auffallend genau überein. Mehrere Organisationen empfehlen auch, sich danach in eine gefüllte Badewanne zu legen.

Hatte Barschel am Ende einen Sterbehelfer an der Seite, der mit der Garderobe des 43-Jährigen in Berührung kam? Wer immer in Zimmer 317 gewesen sein mag: Der Unbekannte verließ vermutlich den Raum, als Barschel noch lebte. Barschel lag über Stunden bewusstlos in der Wanne. Für einen Profikiller wäre es ein ziemliches Risiko gewesen, sein Opfer derart liegen zu lassen. Für einen Sterbehelfer eher nicht.

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