Ostukraine:Zweiter russischer Hilfskonvoi überquert Grenze

A Russian convoy of trucks carrying humanitarian aid for Ukraine are parked by the side of a road near Kamensk-Shakhtinsky

Mittlerweile haben offenbar alle 200 russischen Lastwagen die Ostukraine erreicht.

(Foto: REUTERS)

Erneut schickt Russland Lastwagen in die Ostukraine - sie sollen Hilfsgüter geladen haben. Die EU kommt Putin entgegen und legt das Zollabkommen mit der Ukraine auf Eis. Der Streit um die neuen Sanktionen verschärft sich trotzdem.

  • Drei Wochen nach dem umstrittenen ersten Hilfskonvoi aus Moskau sind erneut russische Lastwagen in die Ostukraine gefahren.
  • Das EU-Freihandelsabkommen mit der Ukraine tritt später in Kraft. Ursprünglich sollte es am 1. November kommen, jetzt wird es erst ab 31. Dezember 2015 angewendet.
  • Die USA verschärfen die Sanktionen gegen Russland. Zum ersten Mal betreffen sie die wichtige russische Sberbank. Die Strafen sollen "die wirtschaftlichen Kosten für Putin erhöhen", sagt Obama.
  • Auch die EU hat ihre Strafmaßnahmen ausgeweitet. Sie sollen den Finanzsektor sowie die Energie- und die Rüstungswirtschaft treffen. Russlands Außenminister Lawrow droht mit "angemessenen Reaktionen".

Russische Lastwagen rollen über die Grenze

Drei Wochen nach der umstrittenen ersten Einfahrt eines Moskauer Hilfskonvois in das Konfliktgebiet der Ostukraine haben wieder russische Lastwagen die Grenze passiert. Sie sind unterwegs in Richtung Lugansk. Die Zollkontrolle der rund 200 Lastwagen sei abgeschlossen, sagte ein Mitarbeiter des russischen Zolls am Samstag verschiedenen Agenturen zufolge. Die Lkw haben demnach Medikamente, Lebensmittel und Stromgeneratoren geladen.

Ein Teil des Konvois sei bereits wenige Kilometer vor Lugansk, berichteten russische Medien. Diese Kolonne aus 35 Fahrzeugen sei in der Nacht zum Samstag vom russischen Grenzposten Donezk in der Nähe der ukrainischen Großstadt Luhansk in das Nachbarland gefahren, teilte die südrussische Zollbehörde mit. Eine Stellungnahme aus Kiew lag zunächst nicht vor. Die Regierung in Moskau hatte nach Beginn der Waffenruhe zwischen ukrainischem Militär und prorussischen Separatisten vor einer Woche weitere Hilfslieferungen für das Konfliktgebiet angekündigt.

Ein erster russischer Konvoi, bestehend aus mehr als 250 Lastwagen, war Mitte August trotz heftigen Protests der Regierung in Kiew und ohne Erlaubnis der ukrainischen Behörden über die Grenze gefahren. Die Ukraine und die EU verurteilten das eigenmächtige Vorgehen Russlands damals. Kiew und die prorussischen Separatisten hatten in ihrer Vereinbarung über eine Waffenruhe vom vorvergangenen Freitag vorgesehen, die notleidende Bevölkerung in Donezk und Luhansk mit humanitärer Hilfe zu versorgen.

Freihandelsabkommen wird erst ab Ende 2015 wirksam

Die EU ist Moskau am Vortag überraschend entgegengekommen: Das von Russland scharf kritisierte Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Ukraine soll nach EU-Angaben nun erst Ende Dezember 2015 in Kraft treten. Darauf hätten sich die EU, Russland und die Ukraine verständigt, teilte Handelskommissar Karel De Gucht mit. Wegen der Verschiebung will die EU ihre einseitig eingeräumten Handelsvorteile für die krisengeschüttelte Ukraine bis Ende nächsten Jahres verlängern. Der EU-Ministerrat muss noch zustimmen.

Russland hatte damit gedroht, Zölle auf Importe aus der Ukraine zu erheben, wenn das Abkommen wie ursprünglich geplant am 1. November in Kraft tritt. Bisher können Waren aus der Ukraine weitgehend zollfrei nach Russland exportiert werden. Die Regierung in Moskau befürchtet dass Waren aus der EU, für die Russland Zoll erhebt, dann über die Ukraine zollfrei ins Land kommen. Das würde einen Einnahmeverlust von rund zwei Milliarden Euro ausmachen.

USA nehmen Sberbank ins Visier

Neben dem Entgegenkommen beim Freihandelsabkommen haben die EU und die USA aber den Kurs bei den Sanktionen verschärft. Die US-Regierung in Washington hat am Freitag die Sberbank, das größte Finanzinstitut Russlands, mit Sanktionen belegt.

Nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters soll der Sberbank der Zugang zu den US-Aktien- und Kreditmärkten erschwert werden. Ähnliche Sanktionen gelten bereits für andere russische Banken wie die VTB Bank oder die Gazprombank. Für diese Geldhäuser sollen die Sanktionen weiter verschärft werden. Die Sberbank ist mehrheitlich im Besitz der russischen Zentralbank, rund 44 Prozent der Anteile halten ausländische Fonds. Das Geldhaus hält fast ein Drittel des Vermögens des russischen Bankensektors, ist einer der größten Kreditgeber der russischen Wirtschaft und hält den höchsten Anteil an Spareinlagen in Russland.

Zudem wurden Personen und Firmen auf die Liste gesetzt, die im russischen Verteidigungssektor tätig sind. "Russlands ökonomische und diplomatische Isolierung wird weiter wachsen, so lange seine Taten nicht seinen Worten entsprechen", sagte Finanzminister Jack Lew. Die Sanktionen verbieten US-Bürgern, sechs russischen Banken und dem führenden Rüstungs- und Industriekonzern Rostec Kapital und Kredite mit Laufzeiten von mehr als 30 Tagen zur Verfügung zu stellen. Zudem wurden die in den USA liegenden Vermögen von fünf russischen Staatsunternehmen im Verteidigungssektor eingefroren.

Neue EU-Sanktionen sind in Kraft

Die US-Sanktionen folgten auf neue Wirtschaftssanktionen der EU. Sie richten sich gegen 24 Personen und sechs russische Unternehmen. Die Strafmaßnahmen wurden an diesem Freitag im EU-Amtsblatt veröffentlicht - und sind somit wirksam. Folgende Punkte sehen sie vor:

  • Anleihen der Energiekonzerne Rosneft, Transneft und Gazprom Neft dürfen ab sofort nicht mehr in der EU gehandelt werden. Das gilt auch für drei Rüstungsunternehmen: OPK Oboronprom ist der wichtigste Gesellschafter des Hubschrauberproduzenten Russian Helicopters, United Aircraft Corporation stellt Kampfflugzeuge her, und Uralvagonzavod ist der führende russische Panzerhersteller.
  • 24 prominente Separatistenführer in der Ostukraine und russische Politiker dürfen nicht mehr einreisen. Zu ihnen gehören die Chef-Separatisten Alexander Sachartschenko, Wladimir Kononow und Miroslaw Rudenko. Der ultranationalistische russische Duma-Abgeordnete Wladimir Schirinowski ist einer von mehreren prominenten Moskauer Politikern, der nicht mehr in die EU einreisen darf und dessen Konten in der EU gesperrt werden.
  • Bestimmte russische Unternehmen dürfen keine zivil oder auch militärisch nutzbaren Produkte mehr liefern. Auf der Liste stehen unter anderem der Hersteller der Kalaschnikow-Sturmgewehre und Almas-Antej. Sie stellen das Buk-Raketensystem her, mit dem die malaysische Passagiermaschine MH17 abgeschossen worden sein soll.

Der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler hat die Russland-Politik des Bundes kritisiert. "Die Sanktionspolitik ist eine feige Politik, die in die falsche Richtung geht", sagte er. Die Erfahrungen in Iran und Irak hätten gezeigt, dass solche Strafmaßnahmen nicht wirkten.

Russland wirft USA Destabilisierung vor

Russlands Präsident Wladimir Putin erhob schwere Vorwürfe gegen den Westen. "Sanktionen als außenpolitisches Instrument sind wenig wirksam und haben noch nie die erhofften Resultate gebracht", sagte er bei einem Besuch in Tadschikistans Hauptstadt Duschanbe.

Das russische Außenministerium bezeichnete die Sanktionsverschärfungen als Zeichen dafür, "dass sich die EU faktisch gegen eine friedliche Lösung der Ukraine-Krise entschieden hat". Die neuen Sanktionen gefährdeten nach den Worten von Außenminister Sergej Lawrow den Waffenstillstand in der Ostukraine: "Eine solche Entscheidung in einem Moment, in dem sich der der Friedensprozess stabilisiert, bedeutet, den Friedensprozess zu untergraben", sagte Lawrow in einer ersten Reaktion. Russland werde in einer "ruhigen und angemessenen Weise" reagieren, fügte er hinzu, ohne Einzelheiten zu nennen.

Putins Berater Andrej Bjeloussow deutete an, das Ministerium für Wirtschaftsentwicklung habe bereits eine Liste von Gegensanktionen zusammengestellt: Geplant sei ein Einfuhrstopp für Gebrauchtwagen, bestimmte Kleidungssorten und auch für Verbrauchswaren, die Russland selbst herstellen könne.

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