Neue Proteste in Ägypten:"Verschwinde, du Verlierer!"

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Wieder Proteste in Kairo (Foto: dpa)

Zwei Jahre nach dem Ende der Mubarak-Herrschaft stehen auf dem Tahrir-Platz in Kairo wieder Zelte. Die Demonstranten wollen Präsident Mohammed Mursi stürzen, aber auch die Muslimbruderschaft mobilisiert ihre Anhänger. Der politische Machtkampf wird auf der Straße ausgetragen - jetzt richten sich alle Augen auf die Armee.

Von Sonja Zekri, Kairo

Die Reaktion seiner Gegner war erwartungsgemäß hämisch. Da war einmal die Länge: "Zweieinhalb Stunden und fünf Minuten" habe Mohammed Mursi geredet, ereifert sich ein Ägypter, als wären gerade die fünf Minuten der Gipfel des Skandals. Dann Mursis schlampige Aussprache: Benzim statt Benzin, "Scheckmaschine" statt "Geldautomat" - als besäße der Präsident nicht mal rudimentäre Bildung. Und natürlich verpufften Mursis Angebote vom Mittwochabend, sein Vorschlag, eine Kommission solle die umstrittene Verfassung überarbeiten.

Rote Karten

Es verpuffte seine Beschwichtigung an die Kopten, die durch seine islamistische Regierung schlimmste Befürchtungen bestätigt sehen, es verhallte das Versprechen, Beamte zu entlassen, die für die aktuellen Krisen verantwortlich sind. Mursis Eingeständnis eigener Fehler, die Warnung vor den Kräften des alten Regimes und den "Feinden Ägyptens", die Drohungen an private Fernsehsender - seine Gegner beeindruckte nichts davon. Auf dem Tahrir-Platz schwenkten Protestierende schon während der Rede Schuhe als Zeichen der Verachtung, rote Karten und Schilder mit der Aufschrift: "Verschwinde, du Verlierer!"

Proteste in Ägypten
:Mursi will Gegner einbinden

Nach fast einem Jahr an der Macht zieht der ägyptische Präsident Mursi Bilanz. Er räumt Fehler ein und kündigt Reformen in der islamistisch geprägten Verfassung an. Schon kurz vor seinem Amtsjubiläum kommt es zu gewaltsamen Zusammenstößen: Mursis Gegner fordern Neuwahlen, seine Unterstützer stärken dem Präsidenten mit Demonstrationen den Rücken.

Auf dem Tahrir-Platz stehen also wieder Zelte, gut zwei Jahre nach dem Ende der Mubarak-Herrschaft, so schwören Mursis Gegner, soll er erneut zum Schauplatz des Tyrannen-Sturzes werden. Am Sonntagnachmittag wollen sie durch Massenproteste auf dem Tahrir-Platz und vor dem Präsidentenpalast, aber auch durch Demonstrationen im ganzen Land Mursis Abgang erzwingen, das Ende des ersten demokratisch gewählten Islamisten im höchsten Staatsamt.

15 Millionen Ägypter sollen Mursi das Misstrauen ausgesprochen haben

Seit sechs Wochen sammelt eine bunte und nicht ganz durchschaubare Bewegung von Liberalen, Säkularen, aber auch Mubarak-Getreuen Unterschriften gegen Mursi unter dem Titel "Tamarod": Rebellion. Inzwischen haben sie verschiedenen Angaben zufolge die 15-Millionen-Marke überschritten. Damit haben mehr Ägypter Mursi ihr Misstrauen ausgesprochen als ihn vor einem Jahr gewählt haben. Ob diese Zahl - wenn sie stimmt - reichen wird, um das Ende der Muslimbruderherrschaft in Ägypten und baldige Neuwahlen zu erzwingen, ist offen. Denn auch die Bruderschaft mobilisiert. Der politische Machtkampf wird wieder einmal auf der Straße ausgetragen. Und dazu gehört die Besetzung öffentlicher Plätze ebenso wie die Einschüchterung des politischen Gegners. Seit Wochen erhöhen beide Seiten rhetorisch den Einsatz. Poker auf ägyptisch.

Bei Zusammenstößen von Anhängern und Gegnern im Nil-Delta starb mindestens ein Mensch. Botschaften schließen am Sonntag, Kulturveranstaltungen wurden abgesagt. Und um die Häuserblocks ringeln sich die Schlangen vor den Tankstellen, weil seit ein paar Tagen kaum noch Benzin zu bekommen ist - eine Gemeinheit der Muslimbrüder, die verhindern wollen, dass Protestierende aus den Provinzen in die Hauptstadt fahren, sagen Kritiker. Polizisten wollen ihre Uniformen kennzeichnen, damit sie sich von Schlägern in Polizeiuniformen unterscheiden, heißt es. Auch die Beamten seien gegen Mursi.

Salafisten spekulieren auf Gewinne

Wie groß der Rückhalt für oder die Abneigung gegen Mursi ist, lässt sich kaum sagen. Bemerkenswerterweise haben die ultrakonservativen Salafisten der Nur-Partei eine Teilnahme beim Unterstützungsmarsch für Mursi an diesem Freitag abgelehnt, dabei hatten sie noch im Dezember gemeinsam mit den Abgeordneten der Bruderschaft die Verfassung durchgesetzt.

Dass hinter der derzeitigen Zurückhaltung tiefgreifende ideologische Differenzen stehen, scheint unwahrscheinlich, eher schon dürften die Salafisten auf Gewinne bei den nächsten Wahlen spekulieren. Während der Zorn über die Muslimbrüder wächst, empfehlen sie sich religiös geneigten Wählern als unverbrauchte Variante, friedliebend und fromm.

Ebenfalls vergeblich versuchte Mursi, den koptischen Papst Tawadros II. dazu zu bringen, die Christen von den Protesten fernzuhalten. Bei der Amtseinführung Tawadros' hatte Mursi sich nicht blicken lassen. Es war eine von vielen verpassten Chancen, mit denen Mursi Vorbehalte hätte entkräften können.

Mubaraks letzter Premier kehrt zurück

Ähnlich wie vor zwei Jahren richten sich nun alle Augen auf die Armee. Verteidigungsminister Abdel-Fatah al-Sisi hatte gedroht, die Armee werde nicht zusehen, falls Ägypten im Chaos versinke und stehe immer auf der Seite des Volkes. Mursi-Gegner deuteten dies als insgeheime Solidaritätsbekundung, aber auch Mursi-Anhänger sahen sich bestätigt: Schließlich sei der Präsident demokratisch legitimiert und als solcher Garant für Recht und Ordnung.

Unterdessen wartet Ex-Luftwaffenoffizier Ahmed Schafik, Mubaraks letzter Premier und unterlegener Rivale gegen Mursi in der Stichwahl vor einem Jahr, in den Kulissen. Am 30. Juni, am Sonntag, werde er nach Ägypten zurückkehren. Seit Monaten hatte er im Exil am Golf gelebt, weil ein Korruptionsverfahren gegen ihn läuft, hatte seinerseits seine Niederlage gegen Mursi vor Gericht angefochten. Am Donnerstag hat sich das Gericht für befangen erklärt.

© SZ vom 28.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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