Neue Partei in Russland:Putin gründet seinen eigenen Wahlverein

Russian President Putin arrives to make an address to supporters of the Popular Front during the party's congress in Moscow

Allrussische Volksfront: Präsident Wladimir Putin inmitten seiner Anhänger.

(Foto: REUTERS)

Präsident Wladimir Putin lässt in Moskau die Allrussische Volksfront gründen. Die neue Partei könnte eines Tages die jetzige Regierungspartei Einiges Russland ersetzen. Deren Politiker handeln zwar zuverlässig in Putins Sinne, gelten im Volk aber als "Gauner und Diebe".

Von Julian Hans

Er müsse jetzt eine dumme Frage stellen, sagt der Regisseur Stanislaw Goworuchin, und für einen Moment wird es still im Saal mit den 480 aufgekratzten Männern und Frauen in der Moskauer Manege direkt vor den Mauern des Kreml. Es liegt ein bisschen Erschrecken in dieser Stille und ein bisschen Erlösung. Erschrecken, weil zum ersten Mal an diesem feierlichen Tag jemand ein negatives Wort ausspricht. Erlösung, weil man Enthusiasmus in reiner Form auch nicht viel länger ertragen kann. "Wen sollen wir zu unserem Anführer machen?", fragt der 77-Jährige mit dem grauen Schnauzer.

Es ist die Frage, auf die alle gewartet haben, eine dumme Frage, wirklich, weil doch alle wissen, wegen wem sie hier sind, weil doch viele in Wahrheit überhaupt nur die vielen Tausend Kilometer angereist sind aus Wladiwostok, aus Irkutsk, aus Wolgograd, um ihn zu treffen, um ihn zu unterstützen, um ihm zuzujubeln: "Putin, Putin, Putin", rufen sie jetzt im Chor und Goworuchin fragt mit einem Augenzwinkern: "Sollen wir wählen?" - "Nein!", kommt es aus dem Saal zurück. Und natürlich findet sich auch kein Gegenkandidat, und da sagt Goworuchin einfach: "Herzlichen Glückwunsch, Wladimir Wladimirowitsch!"

Putins Partei ist zunehmend verhasst

Am Nationalfeiertag, dem "Tag Russlands", der an die Umwandlung der Russischen Sowjetrepublik in einen eigenständigen Staat vor 21 Jahren erinnert, hat die Allrussische Volksfront ihre offizielle Gründung beschlossen. Sie will eine parteiübergreifende Bewegung sein, die alle vereint, die zum "Wohle Russlands" tätig sind, oder, anders ausgedrückt, die Wladimir Putin unterstützen. Und sie könnte, so sehen es die meisten Beobachter im Land, eines nicht zu fernen Tages die Regierungspartei Einiges Russland ersetzen, die zwar zuverlässig ein repressives Gesetz nach dem anderen durch das Parlament winkt - am Vortag erst das Verbot "homosexueller Propaganda" - aber im Volk zunehmend verhasst ist.

Das Etikett "Partei der Gauner und Diebe", das der Blogger Alexej Nawalny den Einheitsrussen angeheftet hat, trifft nicht nur bei kremlfeindlich eingestellten Russen einen Nerv. Auch traditionelle Putin-Unterstützer, Angestellte von Behörden und Arbeiter von Staatsbetrieben in der Provinz, sind zunehmend unzufrieden mit den Politikern, die sich ihre Loyalität zur Macht damit belohnen, dass sie ihre Position ausnutzen, um für sich selbst etwas abzuzweigen. So wie etwa Wladimir Pechtin, der als Vorsitzender des Ethik-Ausschusses der Duma gern gegen den verkommenen Westen gewettert hatte, dann aber eingestehen musste, selbst Luxusimmobilien in Miami zu besitzen. Vor die Wahl gestellt, entschied er sich im Februar gegen die Politik und für seinen Besitz in den USA.

Um "Einiges Russland" steht es schlecht

Bei den Parlamentswahlen im Dezember 2011 hatte Einiges Russland trotz aller offensichtlichen Manipulationen nur 49 Prozent der Stimmen geholt, fast 15 Prozentpunkte weniger als 2007. Inzwischen ist sie in Umfragen weiter abgesackt. Das unabhängige Lewada-Institut sah sie zuletzt bei 24 Prozent.

Bereits vor der Parlamentswahl, im Mai 2011, hatte Putin die Gründung der Allrussischen Volksfront angeregt. Seitdem hat sie sich als loses Bündnis verstanden, nun lässt sie sich offiziell als "Bewegung" registrieren. Etwa 1900 Organisationen sollen sich der Front nach eigenen Angaben bereits angeschlossen haben. Darunter die Union der Afghanistan-Veteranen, der Verband der Industriellen und Unternehmer, die Föderation unabhängiger Gewerkschaften, Bauernverbände, Belegschaften der Russischen Eisenbahn und der Post sowie die Junge Garde, die Jugendorganisation der Partei Einiges Russland. Auch die Partei Einiges Russland gehört zu den Unterstützern. Künftig soll gut ein Viertel ihrer Mandatsträger in Vorwahlen aus dem Umfeld der Volksfront bestimmt werden - ein Weg, um den Filz in der Regierungspartei zu bekämpfen.

"Blühende Zukunft"

Möglich aber auch, dass die Reste von Einiges Russland langsam entsorgt werden. Seitdem Dmitrij Medwedjew nicht nur das Amt des Premiers von Wladimir Putin übernommen hat, sondern auch den Vorsitz der schwächelnden Partei, stehen in Moskau die Wetten auf das Unternehmen schlecht. Putin jedenfalls ist seit September 2011, als der Ämtertausch auf einem Parteitag verkündet wurde, nicht mehr vor der Partei aufgetreten. Mit Ministern spricht er in jüngster Zeit nur, um sie in entnervtem Ton zu rügen.

Seinen Auftritt vor der Volksfront genoss er dagegen offensichtlich. "Ich sehe hier so viele strahlende Gesichter", sagte er in seiner vom Fernsehen live übertragenen Rede. Dann sprach er davon, dass Russland Großes geschafft habe in der Geschichte und dass es in Zukunft blühen werde, wenn alle zusammenhielten. Derweil demonstrierten in Moskau Tausende auf einem "Marsch für eure und unsere Freiheit".

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