Neue große Koalition:"Irgendwie ist es doch gut, dass Merkel Kanzlerin bleibt"

Die einen sahen das Chaos um die Regierungsbildung in Deutschland sogar ganz gern, die anderen fürchteten es: Wie reagiert das Ausland jetzt, wo eine neue Regierung in Sicht ist?

Von SZ-Autoren

Mit der Entscheidung der SPD-Basis ist nun endlich klar: Nach Monaten des Hin und Her, der Verhandlungen und Unsicherheit bekommt Deutschland eine neue Regierung. Wie reagiert das Ausland auf die Neuauflage der großen Koalition? SZ-Korrespondenten berichten.

Österreich: Nach Punkten geschlagen in Sachen Regierungsbildung

Selbst die Häme hat sich aufgebraucht über all die Monate. Lange Zeit hatte es den Österreichern von Kanzler Sebastian Kurz abwärts durchaus Genuss bereitet, darauf hinzuweisen, dass man den großen Nachbarn Deutschland klar nach Punkten geschlagen hat in Sachen Regierungsbildung.

Da wählen die Deutschen im September und brauchen bis zur Schneeschmelze im Frühjahr, um endlich wieder eine arbeitsfähige Koalition zusammenzubringen. Die Österreicher dagegen haben Mitte Oktober gewählt, und schon vor Weihnachten hat das Bündnis aus ÖVP und FPÖ mit der Arbeit begonnen. Politisch könnte man das als einen Triumph nach Art von Hans Krankl sehen, der bekanntlich 1978 in Cordoba bei der Fußball-WM eingeschossen hatte zum Sieg über die deutsche Elf.

Doch jetzt, am Ende des deutschen Dornenwegs, wird das Ergebnis der SPD-Mitgliederbefragung eher sachlich abgehakt auf den hinteren Zeitungsseiten. Schließlich haben in Österreich selbst gerade die Kärntner gewählt, da ist einem das Hemd näher als der Rock. Zu erwarten ist ja ohnehin nur, dass in Deutschland alles weitergeht wie gehabt: mit der ewigen Angela Merkel als Kanzlerin und der großen Koalition, die sich verstetigt. Der Unterschied zu Österreich wird allerdings auch dabei hervorgehoben: Hier wurde die große Koalition abgewählt und ein junger, frischer Kanzler ins Amt gehoben. Peter Münch

Spanien: Mehr Vertrauen in Merkel als in die eigene Regierung

Dass die große Koalition zustande kommt, stand für die spanische Presse von rechts bis links außer Frage - und ebenso einmütig ist man nun zufrieden. Neben Polen und Portugal ist in Spanien die Zustimmung zur EU traditionell am höchsten. Daran hat auch die schwere Wirtschaftskrise nichts geändert, die Folge des Platzens einer gigantischen Immobilienblase vor genau zehn Jahren. Zwar wurde damals auch über die Bundesregierung gemurrt, die einen Sparkurs in der EU durchsetzte; doch sehr bald hat sich in Spanien die Auffassung durchgesetzt, dass die Krise vor allem hausgemacht war.

Heute vertrauen Umfragen zufolge deutlich mehr Spanier Angela Merkel als der eigenen Regierung. Dass die Bildung der Regierung in Berlin so lange dauert, bekümmert die Spanier wenig, schließlich probiert man in Madrid seit mehr als zwei Jahren immer wieder, eine Koalition zustande zu bringen. Hier regiert eine konservative Minderheitsregierung.

Im Kommentar des konservativen El Mundo werden die spanischen Sozialisten für die politische Instabilität verantwortlich gemacht, die Empfehlung: "Nehmt euch ein Beispiel an der SPD!" Die linksliberale Tageszeitung El País bescheinigt der SPD-Führung, dass ihr Mut zum Risiko sich ausgezahlt habe: Wenn die Bundesrepublik stabil regiert werden könne, sei dies gut für ganz Europa. Thomas Urban

Israel: Eher an Personalien interessiert

Ein Deutscher, der bei einer Demonstration von Palästinensern wegen Steinwürfen auf israelische Soldaten im Westjordanland festgenommen war, und ein deutscher Pilot, der auf seinem Flugzeug während des Ersten Weltkriegs einen Davidstern befestigt hatte: Diese Meldungen mit Deutschland-Bezug waren israelischen Medien mehr Platz wert als die Nachricht über das Ergebnis des SPD-Mitgliederentscheids. In Israel wurde kaum Notiz davon genommen, dass in der Bundesrepublik nun erneut eine große Koalition gebildet werden kann. Es wurden nur kürzere Berichte aus den Nachrichtenagenturen veröffentlicht.

Von offizieller Seite gab es auch keinen Kommentar, zumal der amtierende Außenminister Benjamin Netanjahu, der diese Funktion neben jener des Regierungschefs ausübt, bis Donnerstag in den USA weilt. Die Meldung, dass Martin Schulz Außenminister werden soll, hatte dagegen vor Kurzem für große Aufregung gesorgt. Damals wurde an seine israelkritische Rede als EU-Parlamentspräsident 2014 erinnert, als Abgeordnete den Saal verließen und Netanjahu den Applaus verweigerte. Wer nun wirklich Außenminister werden wird, dürfte wieder mehr mediale Aufmerksamkeit erfahren als das SPD-Votum. Alexandra Föderl-Schmid

"Deutschland hat eine Regierung, aber die ist schwach"

Frankreich: Genug vom Hin und Her in Deutschland

Die junge Pariser Journalistin kennt sich nicht aus mit Deutschland, sie interessiert sich mehr für Start-ups. Der deutsche Politik-Start-upper und Juso-Chef Kevin Kühnert hat es über die sozialen Netzwerke dennoch bis auf ihren Radar geschafft. "Es war cool, wie er das Establishment aufgemischt hat", sagt die Französin. "Aber irgendwie ist es nach dem ganzen Hin und Her doch gut, dass Angela Merkel jetzt Kanzlerin bleibt. Es wäre schlecht für uns in Frankreich und für Europa, wenn in diesen unsicheren Zeiten auch noch Deutschland instabil würde." Die Kollegin ist fast erleichtert, dass die SPD Kühnert nicht gefolgt ist und es nun bald wieder eine grande coalition beim großen Nachbarn jenseits des Rheins gibt.

So ähnlich dürften viele Franzosen in den Monaten seit der Bundestagswahl deutsche Politik betrachtet - oder entdeckt - haben: Erst haben sie das Berliner Theater erstaunt bis amüsiert verfolgt, man ist sowas ja nicht gewohnt von den sonst so berechenbaren Deutschen. Allmählich haben sie aber genug davon. Das spiegelt sich auch in der nachlassenden Aufmerksamkeit der französischen Medien für das Berliner Geschehen wider. "Deutschland hat jetzt eine Regierung, aber die war noch nie so schwach", notiert das Wirtschaftsblatt Les Echos kühl.

Das ist auch Präsident Emmanuel Macron nicht entgangen. Der mit einem eher ungeduldigen Naturell ausgestattete französische Staatschef hatte sich nicht ausgemalt, dass er so lange auf eine handlungsfähige Partner-Regierung in Berlin warten müsste. Unmittelbar nach der Bundestagswahl hatte er reihenweise Vorschläge zur "Neugründung Europas" gemacht. Später mischten sich seine Minister sogar in die Koalitionsverhandlungen ein. Jetzt ist auch Macron erleichtert: Er freue sich über das Ergebnis des SPD-Votums, lässt er verlautbaren. "Frankreich und Deutschland werden gleich in den nächsten Wochen zusammenarbeiten, um neue Initiativen zu entwickeln und das europäische Projekt voranzutreiben." Wobei der Haupt-Antreiber Macron bleiben dürfte - und das wird ihm recht sein. Leo Klimm

USA: Deutschlandbild wieder geradegerückt

Die Aufregung war zwischendrin schon mal größer. Als etwa die FDP vor Weihnachten den Verhandlungstisch in Berlin verließ. Die von vielen längst beschlossene Jamaika-Koalition blieb danach, was sie für manche schon vorher war: ein Wunschtraum. Da haben sie aufgehorcht in Washington. Überall hätten sie es für möglich gehalten, dass im ersten Anlauf keine Regierung zustande kommt. Aber in Deutschland? Im Leben nicht.

Deutschland ist aus Sicht vieler aufgeklärter US-Amerikaner der letzte Hort der Vernunft. Eines der wenigen Länder, das nicht im Chaos versinkt. So wie die USA. Oder Großbritannien. Und jetzt womöglich Italien. Sollten sich alle in Deutschland getäuscht haben?

Nach diesem Sonntag aber, nach dem klaren Ja der SPD, ist das Bild wieder geradegerückt. Die nächste große Koalition kommt. Das bedeutet: Merkel regiert weiter. Mehr wollen die meisten Amerikaner gerade gar nicht wissen. Wenn überhaupt. Mit ihrem Präsidenten haben sie schon genug zu tun. Thorsten Denkler

Japan: Leiser Seufzer der Erleichterung

Die japanische Politik sieht es nicht ungern, wenn die Regierungen anderer Länder etwas in Schwierigkeiten stecken. Es lenkt von ihrer eigenen Ineffizienz ab. Insbesondere zeigte Tokio lange mit dem Finger auf die Finanzprobleme der EU, die doch viel schlimmer seien als die beispiellose Überschuldung des japanischen Staates.

Auch Deutschlands Schwierigkeiten bei der Regierungsbildung wurden anfänglich mit einer gewissen Genugtuung beobachtet. In jüngster Zeit äußerte jedoch selbst die rechtsnationale Zeitung Sankei Bedenken über die AfD. Und die führenden Blätter machten sich - gerade angesichts des Brexit - Sorgen, ohne Kanzlerin Angela Merkel sei Europa ohne Führung. Denn der EU-Austritt der Briten beunruhigt die japanische Politik, zumal mehrere japanische Konzerne ihren Europa-Sitz in Großbritannien haben.

Deshalb ging am Montag ein leiser Seufzer der Erleichterung durch Japans Medien. Schlagzeilen hat Deutschland allerdings keine gemacht, der Volkskongress in Peking und Korea sind hier weit wichtiger. Christoph Neidhart

Russland: Interessant ist vor allem die Haltung Berlins zu Moskau

Die Erleichterung, die in Frankreich und in Brüssel über das Zustandekommen der großen Koalition in Deutschland zu spüren war, ist in Russland kaum festzustellen. Die langwierige Regierungsbildung in Berlin hatte die Russen in den vergangenen Monaten vielmehr kaum interessiert. Wenn überhaupt, bewerteten sie die Schwierigkeiten Angela Merkels, eine Mehrheit für ihre vierte Kanzlerschaft zustande zu bringen, als Beleg für eine gewisse Instabilität der Verhältnisse. Diese ist nach Meinung mancher Russen zum Beispiel dadurch gegeben, dass Deutschland seine Grenzen nicht vor dem Ansturm von Flüchtlingen habe schützen können.

Mehr als der Schwebezustand, in dem sich das größte EU-Land ein knappes halbes Jahr lang befand, interessiert die Russen, welche Haltung Deutschlands neue Regierung ihnen gegenüber einnehmen könnte. So wurde etwa mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen, dass im Koalitionsvertrag von SPD und Union an der russischen Vision eines gemeinsamen Wirtschaftsraums von Lissabon bis Wladiwostok festgehalten wird.

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