Neue Biografie:Hitler im Fokus

Adolf Hitler mit Generälen während der Kämpfe in Polen, 1939

Was entschied der Diktator, was seine Paladine? Adolf Hitler 1939 im eben eroberten Polen, umgeben von Generälen.

(Foto: Scherl/SZ Photo)

Historiker Peter Longerich versucht, das Banale und Monströse im NS-Staat zu erkunden - und schreibt gegen die These an, Hitler sei ein schwacher Diktator gewesen.

Rezension von Dietmar Süß

Da ist er wieder. Aber nicht als trauriger Tropf oder Gruselopa aus einer vergilbten Zeit, in der es noch kein Youtube gab, sondern als Machtpolitiker und Herrscher, als Antisemit und Demagoge. Hitler - der alles überragende "Führer", der Autokrat, der alle Räder der Politik des Dritten Reiches bestimmte, skrupellos flexibel und hemmungslos machtbewusst zugleich.

Nun also: Noch eine Biografie - und die Frage: Was gibt es Neues über den "Führer" zu berichten? Die Messlatte dafür liegt mit Ian Kershaws zweibändigem Werk hoch, erzählte der britische Zeithistoriker doch beides zusammen: die Lebensgeschichte des deutschen "Erlösers" und die Sehnsüchte, die große Teile der deutschen Gesellschaft mit einer autoritären, rassistischen Politik verbanden.

Eine ganze Generation an Historikern hat sich seit den 1970er-Jahren die Finger wund geschrieben gegen die billigen Entlastungsversuche der alten Eliten, die Deutschen seien von Hitler "verführt" worden. Schließlich hatte die Dämonisierung des "Führers" als allumfassender, autokratischer Über-Diktator vielfach dazu beigetragen, nicht über die eigene Begeisterung für den Nationalsozialismus Rechenschaft ablegen zu müssen.

Peter Longerich ist ein ausgezeichneter Kenner der Geschichte des Nationalsozialismus und ein erfahrender Biograf, der selbst erheblich zur Aufarbeitung der NS-Geschichte beigetragen hat.

Seit Langem beschäftigt er sich mit den nationalsozialistischen Funktionseliten, mit Himmler und Goebbels und - in mehreren wichtigen Büchern - mit dem Mord an den europäischen Juden. Longerich schreibt an gegen die Vorstellung, Hitler sei ein "schwacher Diktator" gewesen, einer, der, wie es der kürzlich verstorbene Hans Mommsen formuliert hatte, "häufig unsicher, ausschließlich auf die Wahrung seines Prestiges und seiner persönlichen Autorität bedacht" gewesen sei. Stattdessen will er wieder Hitler selbst ins Zentrum der Analyse nationalsozialistischer Herrschaft stellen.

Longerichs Perspektive hat durchaus etwas für sich. Kein Zweifel: Adolf Hitler hatte auf zahlreichen Politikfeldern das Heft des Handelns in der Hand: Außenpolitik, Aufrüstung, Judenpolitik - Hitler war die zentrale Kraft des Dritten Reiches, keineswegs nur Projektionsfläche, sondern für zahlreiche Konflikte die letzte Instanz. "Im Mittelpunkt des Dritten Reiches stand ein entschlossener Diktator, der diesen Prozess auf allen Ebenen formte, sämtliche Energien auf seine Person ausrichtete und sich eine Machtfülle erarbeitete, die ihm einen beispiellosen Handlungsspielraum eröffnete."

Aus einem "Niemand" des Ersten Weltkrieges war mit Unterstützung der Münchner völkischen Kreise der große nationalistische Trommler geworden, dessen Aufritte bis ins letzte Detail choreografiert waren. Nur: wirklich sensationell wird man diese Erkenntnisse nicht nennen können.

Für die Shoa brauchte es eben nicht nur den Willen Hitlers

Auch wenn Longerich im Nachwort einer Gruppe psychologischer Gesprächspartner dankt, so verzichtet er im Buch weitgehend auf jede Schlüssellochperspektive. Während Hitler als Akteur, als Getriebener gigantomanischer Fantasien und Machiavellist umfassend porträtiert wird, bleibt die Person doch auf diesen mehr als 1000 Seiten merkwürdig farblos.

Longerichs Analyse bleibt betont nüchtern; von Dämonisierung keine Spur. Das ist sicher ein Vorzug, und seine Darstellung ist dort besonders überzeugend, wo er die besondere Verantwortung Hitlers für den Mord an den europäischen Juden untersucht.

Doch gleichzeitig zeigen sich gerade hier auch die Schwächen seiner Erzählweise. Denn für den Mord an den Juden brauchte es eben nicht nur den Willen Hitlers, sondern die antisemitische Überzeugung der Vielen, die sich am Räderwerk der Vernichtung aktiv und in vorauseilendem Gehorsam beteiligten, in der Berliner Zentrale, aber auch in den vielen Städten und Dörfern, in denen man die Logistik bereitstellte und sich dann um die Verwertung des jüdischen Besitzes kümmerte, egoistisch und kühl berechnend.

Der Preis dieser vielleicht etwas zu gewollten Abgrenzung gegenüber bisher vorliegenden Interpretationen ist groß: Wo sich andere für die Bindung zwischen "Führer" und "Gefolgschaft", für die Verbindung von Herrschaft und Gesellschaft interessierten, richtet Longerich den Blick einmal mehr auf Hitler und sein unmittelbares Umfeld.

In Nürnberg hatte der "Führer" 1936 den beseelten Parteisoldaten entgegengerufen: "Das ist das Wunder unserer Zeit, dass ihr mich gefunden habt unter so vielen Millionen. Und dass ich euch gefunden habe, das ist Deutschlands Glück!" Dahinter steckte ein wechselseitiges Verlangen: Hitlers Gespür für die Massen und die Hoffnung auf Rettung durch den einen "starken Mann".

Wie entstand dieser vielfach so blinde Glaube an den "Führer", und weshalb blieb Hitler auch weiterhin so eine rettende Hoffnung, selbst als er immer mehr aus der Öffentlichkeit verschwand und sich das Kriegsglück zunehmend wendete? Alte Fragen - aber immer noch drängend.

Neue Biografie: Peter Longerich, Hitler. Biographie. Siedler Verlag 2015, 1296 Seiten, 39,99 Euro. Als E-Book: 32,99 Euro.

Peter Longerich, Hitler. Biographie. Siedler Verlag 2015, 1296 Seiten, 39,99 Euro. Als E-Book: 32,99 Euro.

Longerich analysiert weder die deutsche Gesellschaft und ihre Sehnsüchte, noch interessiert ihn genau, wie sich dieser Staat in den Händen Hitlers verformte. Zwar hatte der "Führer" persönlich mit seiner Unterschrift die zahlreichen "Sonderbevollmächtigten" mit umfassenden Vollmachten ausgestattet, um jenseits der traditionellen Verwaltung Bombenkriegsgeschädigten zu helfen oder die medizinische Versorgung kriegstauglich zu machen.

Doch waren viele der Initiativen von seinen Paladinen selbst ausgegangen, die sich dann mit brutaler Energie an die Umsetzung machten. Wie sollte überhaupt ein einzelner die Geschicke einer modernen Industrienation führen, wie alle diese Informationen verarbeiten können?

Hitler jedenfalls war alles andere als ein detailversessener Aktenfresser. Er war niemand, der sich gerne mit den bürokratischen Details beschäftigte, schon gar nicht, seit er sich seit der zweiten Kriegshälfte hinter Mauern und Karten verschanzte und sich seinem Wahn vom großdeutschen Imperium hingab.

Mit bürokratischen Details beschäftigte sich der Diktator nicht, höchstens mit Kriegskarten

Das ist wohl das Grundproblem der Darstellung: Für Longerich gründet das Dritte Reich vor allem auf den repressiven Instrumentarien der Diktatur, auf Zensur, Gewalt und Kontrolle. Das ist richtig, aber nur das halbe Bild. Denn die Millionen, die sich Hitler verschworen hatten, schrieben "ihrem Führer" zum Geburtstag Liebesbriefe und schickten huldvolle Gaben.

Longerich streift diese Dimension nur und interessiert sich deshalb auch nur am Rande für die Kraft völkischer Erlösungssehnsüchte, die weite Teile auch des bürgerlichen Lagers erfasst hatte und aus der heraus sich die lang anhaltende Verehrung Hitlers speiste. Es war eben nicht nur die "graue Masse", sondern gerade die junge akademische Elite, die sich dem neuen Staat und Hitler mit Haut und Haaren verschrieb - mancher über das Jahr 1945 hinaus.

Man wird darüber streiten können, ob man dafür den Begriff "charismatische Herrschaft" benötigt. Aber ihn ganz so leichtfertig beiseiteschieben, wie dies Longerich tut, überzeugt denn auch nicht.

Nun hatte Longerich wohl anderes im Sinn. Und tatsächlich wäre - neben den Darstellungen vorliegender Biografien - durchaus Platz, beispielsweise für den Versuch, Hitler auf der Bühne internationaler Politik zu präsentieren, seine Wirkung und seinen Einfluss über den deutschen Machtbereich hinaus zu untersuchen, ihn als Teil einer europäischen Krisengeschichte der Moderne zu verstehen.

Aber beim Versuch, Hitler und den Nationalsozialismus in einem breiteren historischen Kontext zu verorten, bleibt das Buch allzu zurückhaltend.

Longerich hat das Wagnis aufgenommen, eine solch denkbar schwierige Biografie zu schreiben. Die Anstrengung wird sich weiter lohnen, das Monströse und das Banale des Dritten Reiches zu verstehen. Hitlers Schatten bleibt. Er ist nicht wieder da. Er war nie weg.

Dietmar Süß lehrt Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Augsburg.

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