Neue Ärzte-Honorare:Das große Abrechnen

Die Ärzte hatten viel von der Honorarreform erwartet, doch schon jetzt scheint es mehr Mängel als Vorzüge zu geben.

Charlotte Frank

Es dürfte lange her sein, dass die niedergelassenen Ärzte in Deutschland so optimistisch in ein neues Jahr gestartet sind wie 2009: Ein Honorarplus von drei Milliarden Euro war ihnen zugesagt worden - im Durchschnitt 18.000 Euro mehr pro Praxis - und obendrauf noch ein neues Abrechnungssystem, das ihrer jahrelangen Forderung nach Angleichung der Gehälter in Ost und West Rechnung tragen sollte.

Neue Ärzte-Honorare: Ärzte bekommen eine Pauschale pro Patient - für drei Monate.

Ärzte bekommen eine Pauschale pro Patient - für drei Monate.

(Foto: Foto: AP)

Außerdem sahen die neuen Spielregeln vor, die Ärztehonorare endlich in Euro und Cent zu berechnen statt nach dem alten, komplizierten Punktesystem. Dafür hatten die Ärzte lange gekämpft. Noch im August 2008 rühmte sich Andreas Köhler, der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), die "höchste Honorarsteigerung in der Geschichte der KBV" erreicht und "die flächendeckende und qualitativ hochwertige ambulante Versorgung für die Patienten auf Dauer gesichert" zu haben.

Ein Desaster

Doch nun, keine drei Monate nach Einführung der neuen Ordnung, ist die Euphorie in ihr Gegenteil umgeschlagen. Die Honorarreform entpuppt sich als Desaster. Fachärzte in einigen Teilen Westdeutschlands - vor allem in Bayern, Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen - rechnen statt mit dem angekündigten Plus mit Gehaltseinbußen von bis zu 40 Prozent.

Erste Entlassungen von Praxisangestellten werden gemeldet, bundesweit schließen Fachmediziner aus Protest ihre Praxen oder behandeln nur noch gegen Vorkasse. Am Wochenende räumte selbst Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) Probleme ein, und der vormals so stolze KBV-Chef Köhler musste zugeben, noch nie zuvor habe er "einen so großen Unmut" unter den Ärzten verspürt.

Die ärgern sich vor allem darüber, dass sie entgegen den Versprechungen aus dem Vorjahr gar keine drei Milliarden Euro mehr bekommen - sondern gerade mal 1,2 Milliarden. Das liegt daran, dass die Zusagen auf Grundlage von Daten aus dem Jahr 2007 gemacht wurden, ohne dass beachtet worden wäre, dass die Fachärzte durch eine Vielzahl von Sondereffekten schon 2008 überproportional viel verdient haben. So bekommen sie jetzt also drei Milliarden mehr als 2007 - im Vergleich zu 2008 ist es davon aber nicht einmal die Hälfte.

Aber auch 1,2 Milliarden Euro mehr sind immerhin noch eine Menge Geld - Geld, von dem sich viele Ärzte derzeit fragen, wo es hängenbleibt. Oder versickert.

Großteil für den Osten

Tatsächlich geht von dem Honorarkuchen ein überproportional großer Teil nach Ostdeutschland. Dies entspricht dem erklärten Ziel der Reform, dass ostdeutsche Ärzte für die gleiche Arbeit genauso viel bekommen sollen wie ihre westdeutschen Kollegen. So hat die KBV errechnet, dass Mediziner im Osten 12,9 Prozent mehr Geld verdienen, im Westen ermittelten sie einen Zuwachs von durchschnittlich 2,2 Prozent.

Dass pauschal alle westdeutschen Ärzte leiden, ist also ein Zerrbild. Selbst in Ländern wie Bayern, wo die Ärzte unter Schirmherrschaft von Gesundheitsminister Markus Söder (CSU) besonders laut klagen, gibt es Fachgruppen, die durch die Reform gewonnen haben. Nach Einschätzung der Landesregierung sind das zum Beispiel Laborärzte, Pathologen und Nuklearmediziner. Zu den Verlierern hingegen zählen unter anderem Frauenärzte, Psychiater und Hautärzte. Auch in anderen Bundesländern gibt es Verlierer und Gewinner, welche Gruppen das trifft, ist aber je nach Region unterschiedlich.

Das liegt daran, dass jede Kassenärztliche Vereinigung in ihrem jeweiligen Bundesland bislang viel Spielraum hatte, wie sie die Mittel aus ihrem Honorartopf unter den Medizinern verteilt. Doch nach der Reform soll eine ärztliche Leistung künftig gleich vergütet werden, egal ob sie in Köln oder Chemnitz, München oder Kiel erbracht wurde. Indem nun bundesweit vorgeschrieben wird, wie welche Leistung bezahlt werden darf, gehören gerade vormalige Gutverdiener oft zu den Verlierern.

Dies hängt auch mit der neuen Abrechnungspraxis zusammen: Seit Januar bekommen Ärzte für ihre Patienten Fallpauschalen, genannt "Regelleistungsvolumen" - und die sind viel zu niedrig berechnet, sagen die Ärzte. So muss ein niedergelassener Chirurg in Bayern etwa mit 26,48 Euro pro Patient auskommen, gleich welche Behandlung nötig ist und wie oft der Patient im Quartal zu ihm in die Praxis kommt.

Fachärzte leiden

Gerade hochspezialisierte Fachärzte, die sich teure technische Geräte angeschafft haben oder sehr aufwendige Therapien anbieten, müssen also mit Einbußen rechnen. Denn die Pauschale bleibt gleich - egal wie modern die Praxis ist, wie kompliziert die Therapien und wie teuer Miete und Löhne in bestimmten Regionen sind. Viele Ärzte sprechen deshalb jetzt von politisch gewollter "Gleichmacherei": "Die Gesundheitspolitiker wollen die Spezialisten an den Krankenhäusern und nicht mehr als niedergelassene Fachärzte", sagt ein Sprecher des Bundesverbandes niedergelassener Kardiologen.

Bei all dem vergessen die Ärzte aber oft eines: Noch ist das Quartal nicht zu Ende, noch können sie gar nicht endgültig sagen, wie hoch ihre Verluste sind. Denn das Regelleistungsvolumen ist nicht ihre einzige Einnahmequelle. Viele Behandlungen, die als besonders wichtig und deshalb förderungswürdig gelten, werden nämlich gesondert berechnet. Für diese freien Leistungen, etwa Vorsorgeuntersuchungen oder Krebs-Screenings, bekommen die Ärzte ihr Geld erst am Ende des Quartals. Bei den bayerischen Frauenärzten wird geschätzt, dass die bis zu 75 Prozent des Einkommens ausmachen.

Dennoch erklärte Axel Munte, der Chef der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns am Montag, das deutsche Gesundheitswesen befinde sich "auf dem Weg in eine zentralistisch gesteuerte Staatsmedizin ohne Fachärzte in eigenen Praxen". Der Politik dürfe es nicht gelingen, die Ärzte "für das Honorardesaster verantwortlich zu machen". Wo Munte - der im Übrigen als Verbandschef 238 000 Euro im Jahr verdient - die Schuld für das Honorardebakel sieht, ist also klar: bei der Politik.

Der Verbandsvertreter hat dabei offensichtlich eines vergessen: Es waren nicht alleine Ulla Schmidt und die Krankenkassen, die sich die Honorarreform ausgedacht haben - sondern dies ist in enger Abstimmung mit den Kassenärztlichen Vereinigungen geschehen. Mehr noch: Als die Einzelheiten der Reform beschlossen wurden, stimmten die Vertreter der Krankenkassen dagegen. Sie wurden aber überstimmt: von den Ärzten.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: