Nach der Wahlniederlage:Die Angriffslust des Unterlegenen

  • Schulz zeigt sich am Tag nach der Wahlniederlage der SPD unbeirrt: Statt Selbstkritik zu üben, verkündet er neue Parteieintritte.
  • Tatsächlich gibt es in der SPD derzeit niemanden, der offen seinen Rücktritt fordert.
  • Erneut kritisiert Schulz die Kanzlerin scharf; eine Weiterführung der Großen Koalition schließt er noch einmal entschieden aus.

Von Christoph Hickmann, Berlin

Irgendetwas Gutes muss die ganze Sache ja haben, und Martin Schulz zögert am Montagnachmittag nicht lang, die frohe Botschaft unter die Leute zu bringen - oder, genauer: unter die Hauptstadtjournalisten. Schulz steht im Atrium des Willy-Brandt-Hauses, er redet über das Wahlergebnis und die Konsequenzen daraus. Dann berichtet er, in der vergangenen Nacht seien 1400 neue Mitglieder in die SPD eingetreten, "alleine online", also all die mutmaßlichen Papier-Eintritte nicht mitgerechnet. Die SPD, sagt er dann noch, sei "stark genug", um aus der Niederlage die Kraft zu schöpfen für das, was nun notwendig sei. Stark. SPD. Sagt er wirklich so.

Es ist der Tag danach in der Parteizentrale, es ist die vierte Wahlniederlage, die Martin Schulz in diesem Jahr zu kommentieren hat. Und anders als bei den Resultaten im Saarland, in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, handelt es sich diesmal um sein Ergebnis. Auf 20,5 Prozent ist die SPD mit ihm an der Spitze abgesunken - und es gibt Parteivorsitzende, die schon aus weniger gravierenden Anlässen zurückgetreten sind. Doch Schulz zeigt sich an diesem Montag derart unbeirrt, dass man sich zwischendurch fragt, ob ihm vielleicht mal jemand auf die Schulter tippen und, nur zur Sicherheit, kurz noch mal das Wahlergebnis ins Ohr flüstern könnte. Zwanzig. Komma. Fünf.

Ob er sich eigentlich sicher sei, wird Schulz gefragt, auch nach der niedersächsischen Landtagswahl in knapp drei Wochen noch Parteichef zu sein. Antwort: Ja. Und wie sicher er sich eigentlich der Rückendeckung seiner Genossen sei? Dazu Schulz, lachend: "Sehr sicher." Es ist letztlich die Fortsetzung jener Darbietung vom Wahlabend, als er vor jubelnden Anhängern ankündigte, als SPD-Chef weitermachen und den Neubeginn anführen zu wollen. Und tatsächlich tritt vorerst niemand auf den Plan, der einen offenen Angriff führen würde.

In welche Richtung die SPD sich nun wendet, ist noch nicht ganz klar

Es gibt Unzufriedenheit, es wird gemunkelt und gemurrt, das ja. Aber es gibt eben auch mächtige Akteure, die derzeit keinerlei Interesse an einer Veränderung im Parteivorsitz haben - etwa den Landesverband Niedersachsen. Auch aus Nordrhein-Westfalen, Schulz' Heimat, kommt Unterstützung. Und was ist mit Manuela Schwesig, der Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, die vielen als Hoffnung für die Zukunft gilt? Sie weiß genau, dass sie noch Zeit hat - und kann dementsprechend kein Interesse daran haben, dass Schulz nun durch jemanden abgelöst wird, der womöglich 2021 als nächster Kandidat oder nächste Kandidatin ins Rennen gehen könnte.

Entsprechend ruhig bleibt es auch am Montagmorgen in den Parteigremien. In der Sitzung der engeren SPD-Führung redet Schulz zunächst recht lang und erkennt zwar den Ernst der Lage an - legt aber auch hier dar, dass ja alles noch schlimmer hätte kommen können. Auch hier verweist er auf die Mitglieder, die in der Nacht eingetreten seien. Widerspruch, Kontroverse? Von Teilnehmern wird überliefert, dass der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil den fehlenden Teamgeist der vergangenen Jahre anprangert - was sich aber nicht auf Schulz beziehen kann. Der hat schließlich erst in diesem Jahr den Parteivorsitz von Sigmar Gabriel übernommen.

In der größeren Runde, im Parteivorstand, regt sich dann laut Teilnehmern immerhin Kritik an der Wahlkampagne der SPD - doch infrage gestellt wird Schulz auch hier nicht. Wahrscheinlich erklärt das einen guten Teil des Selbstbewusstseins, mit dem der Vorsitzende dann anschließend in die Pressekonferenz geht.

Schulz widerholt seine Angriffe auf Merkel

Hier kündigt er zwar an, die SPD müsse nun "sehr offen" über das Wahlergebnis beraten, anders als nach den Niederlagen 2009 und 2013, die man "nicht ausreichend aufgearbeitet" habe. "Wir werden nicht einfach so zur Tagesordnung übergehen", sagt Schulz und stellt Klausursitzungen bis zum Parteitag im Dezember in Aussicht. Doch je länger dieser Auftritt dauert, desto weniger redet er über seine Partei und ihre Versäumnisse, geschweige denn über eigene Fehler. Stattdessen geht Schulz wieder in jenen Modus über, in dem er am Abend zuvor die sogenannte Elefantenrunde der Spitzenkandidaten im Fernsehen bestritten hat. Vorsichtig umschrieben, könnte man das angriffslustig nennen. Ober eben: krawallig.

Er wolle hier noch einmal klarmachen, "dass ich Angela Merkel sehr persönlich verantwortlich mache für den Zustand der deutschen Demokratie", sagt Schulz - "diese Weltmeisterin des Ungefähren" mit ihrem "Sich-ständig-herausschwurbeln-Wollen aus allen Festlegungen".

Wobei er sich nicht nur in Merkel verbeißt. Auch auf die Reporter im Allgemeinen und Besonderen ist er offenkundig nicht allzu gut zu sprechen. Die Fragen, die ihm hier gestellt würden, beklagt er, hätten mit der Realität da draußen im Land wenig zu tun. In diesem Augenblick erinnert er an seinen Vorgänger Sigmar Gabriel, der sich ebenfalls oft ungerecht behandelt fühlte und das dann zum Ausdruck brachte.

Wo es riecht und stinkt

Was man nach diesem Auftritt noch nicht ganz durchschaut: Was genau unter Neuausrichtung zu verstehen ist, in welche Richtung es gehen soll. Aber darüber soll ja erst noch beraten werden. Man habe ein gutes Wahlprogramm, sagt Schulz, und damit "programmatisch eine gute Basis". Außerdem sagt er, dass er den Menschen im Land zuhören wolle - wodurch man sich schon wieder an Sigmar Gabriel erinnert fühlt, der 2009 forderte, die Partei müsse wieder raus ins Leben, dahin, wo es rieche und gelegentlich auch stinke. Knapp acht Jahre später sagt Schulz: "Es geht jetzt darum, dass die SPD zusammenhält."

Und dann ist da noch die Frage, ob eigentlich die Absage an eine große Koalition in Stein gemeißelt ist. Was wäre denn, wenn Jamaika doch scheiterte und die Union dann noch mal reden wollte? "Reden kann man immer", sagt Schulz - aber: "Die Aufgabe, die wir haben, ist die der Opposition." Und ob er ausschließe, in eine große Koalition unter Führung Merkels einzutreten? "Ja", sagt Schulz. "In eine Regierung von Angela Merkel werde ich nicht eintreten." Aber was wäre, wenn jemand anders die Koalition führte? Für diese Frage ist dann keine Zeit mehr, weil die Pressekonferenz vorbei ist.

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