Neonazis und Waffen:"Was da zufällig auffliegt, ist pillepalle"

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"811 Waffen" haben die Behörden Rechtsextremisten in den vergangenen beiden Jahren abgenommen, doch das lässt keine Rückschlüsse auf die tatsächliche Aufrüstung der rechten Szene zu. Der überwiegende Teil der beschlagnahmten Gerätschaften ist frei im Internet zu bestellen und viele Neonazis hantieren ohnehin legal mit Schusswaffen.

Oliver Das Gupta

Die Mitteilung aus dem Bundesinnenministerium ist in sperrigem Beamtendeutsch gehalten: Dem Bundeskriminalamt seien 2009 und 2010 "insgesamt 811 Waffenfunde aus dem Phänomenbereich der 'politisch motivierten Kriminalität - rechts' gemeldet worden", heißt es in der Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine kleine Anfrage der Linke-Abgeordneten Ulla Jelpke. Die Hamburgerin behauptet daraufhin in der Berliner Zeitung: "Immer mehr Waffenfunde bei Neofaschisten beweisen, dass die militante Rechte massiv aufrüstet."

Bei Rechtsextremen sichergestellte Messer, Pistolen und Wurfsterne in Osnabrück (Foto: dpa)

Die Zahl 811 wird von vielen Radio, TV-Sendern und Online-Nachrichtenseiten vermeldet. Schließlich zeichnet sich nach der Verhaftung des NPD-Funktionärs Ralf W. am Dienstag eine neue Möglichkeit für ein Verbot der rechtsextremen Partei ab: Wenn die NPD Gewalt duldet oder gar fördert, dann kann ein Verbotsverfahren auch dann erfolgreich betrieben werden, wenn die V-Leute in der NPD verbleiben.

Doch Jelpkes Interpretation der "massiven Aufrüstung" erscheint eher dick aufgetragen, denn die nun präsentierten Zahlen besitzen wenig Aussagekraft. Etwa 25.000 Rechtsextremisten gibt es in Deutschland, viele von ihnen halten Gewalt für ein legitimes Mittel; der Verfassungsschutz hält 9500 Rechte für militant. Die Zahl 811 zeigt deshalb vor allem eines: Wenn viele der Neonazis Waffen besitzen, dann verstecken sie sie gut - oder sie müssen sie nicht verstecken. "Viele Rechtsextremisten haben einen Waffenschein oder waren bei der Bundeswehr", sagt Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung, zu sueddeutsche.de.

Die Rolle der Schützenvereine

In Sachsen etwa, wo die NPD in der zweiten Legislaturperiode im Landtags sitzt, veröffentlichte das Landesinnenministerium unlängst Zahlen: Demnach besitzen im Freistaat 38 Rechtsextreme legal 156 Kurz- und Langwaffen - und dabei handelt es sich natürlich nur um diejenigen Neonazis, deren Gesinnung bekannt ist.

Nicht mitgezählt werden diejenigen, die bislang nicht als rechtsradikal aufgefallen sind. Und die können sich auch in demokratischen Parteien einschleichen, wie jüngst die CDU in Kassel entsetzt feststellen musste.

Was in der Partei der Kanzlerin möglich sein kann, klappt auch bei Schützenvereinen, wie ein Beispiel aus Baden zeigte. Thomas B., Jahrgang 1987 und gelernter Altenpfleger, führt dort seit 2009 den "Stützpunkt Lörrach" des NPD-Nachwuchses Junge Nationaldemokraten (JN). Damals fand die Polizei bei ihm Chemikalien und sonstige Utensilien, die man braucht, um Bomben zu bauen, das Verfahren läuft noch. Im Schützenverein ist er nach wie vor Mitglied, ebenso durfte er bislang seine Waffenbesitzkarte behalten, berichtet das WDR-Magazin Monitor. Wie man mit Schusswaffen hantiert, weiß B. ohnehin von den Jahren in der Bundeswehr: Er diente als Zeitsoldat bei den Krisenreaktionskräften.

Die 811 nun vom Innenministerium gemeldeten Waffen halten Szenekenner für die Spitze des Eisberges: Die Rede ist von Ausflügen deutscher Neonazis in osteuropäische Nachbarstaaten zu "Wehrsportübungen", wie sie etwa der Rechtsextremist Karl-Heinz Hoffmann bereits in den siebziger Jahren abgehalten hat. Über scharfe Waffen scheint die Szene also zu verfügen, wie Insider sueddeutsche.de schon früher bestätigten.

Die Pistolen, Gewehre und die Munition stammen oft aus Osteuropa - oder aus alten Beständen der Sowjets sowie der Nationalen Volksarmee der DDR: Sie verschwanden in der Wendezeit oder wurden verhökert. "Einmal boten selbst mir russische Soldaten eine Kalaschnikow an", erinnert sich Anetta Kahane, "im Tausch gegen eine Flasche Wodka."

Die Kämpferin gegen Rechtsextremismus erzählt, wie Aussteiger über illegale Arsenale sprechen. Sie versichert: "Die Waffenlager sind noch nicht gefunden". Die rechte Szene dürfte die nun publizierte Zahl der abgenommenen Waffen belustigt zur Kenntnis nehmen, sagt Kahane. Die echten Bestände seien sehr viel größer, behauptet sie: "Was zufällig auffliegt, ist pillepalle".

Raffiniert und waffenaffin

Seitdem das mörderische Treiben des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) bekannt ist, dämmert es vielen Politikern, dass die Neonazis mitnichten allesamt Saufkumpane und tumbe Glatzköpfe sind. Der Fall der Zwickauer Terrorzelle macht einmal mehr klar, wie die Szene eben auch ist: raffiniert. Dass sie auch "waffenaffin" sei, sage man schon "seit Jahren", erklärt ein Sprecher des Bundesinnenministeriums auf Anfrage von sueddeutsche.de.

Die nun vom Ministerium veröffentlichten Zahlen sind noch aus einem anderen Grund mit Vorsicht zu betrachten. Die meisten "Waffen", die die Behörden den braunen Demokratiefeinden abgenommen haben, sind nämlich frei erhältlich: Wurfmesser und CS-Gas, Pfefferspray und Macheten, Schreckschusspistolen, Dekowaffen und Militaria - aber auch Wehrmachtsstahlhelme und -Abzeichen sowie CDs mit Landserliedern - finden sich zum Beispiel im Sortiment des oberfränkischen Versandhauses Kotte & Zeller.

598 der 811 aufgeführten Waffen entfallen auf entsprechende Kategorien. Der Ausrüster für "Abenteurer" könnte demnach wohl fast zwei Drittel der "Waffen" legal liefern, die deutsche Behörden 2009 und 2010 Rechtsextremisten abgenommen haben.

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