Neonazis:Eine Immobilie, die heftig bewegt

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Wie die Bürger von Delmenhorst dagegen kämpfen, dass Rechtsradikale mitten in ihrer Stadt ein Hotel als Schulungszentrum erwerben.

Ralf Wiegand

Luigi Miccoli hat gerade die letzte Mahlzeit für diesen Mittag zubereitet. Ein Spritzer von der sahnigen Bolognese-Sauce, in die er die delikaten Fetuccine della casa taucht, leuchtet als roter Fleck auf seiner weißen Jacke. Gleich schließt das "Il Solento", das Miccoli vor zweieinhalb Jahren gepachtet hat, für ein paar Stunden.

Eigentlich will der Italiener hier noch länger kochen, bis 2008 läuft sein Pachtvertrag plus Option für fünf Jahre. "Aber jetzt schaut man schon mal hier und dort nach etwas anderem", sagt der Italiener, während einer seiner Kellner dem Chef eine Zigarette bringt und ihm Feuer reicht.

Luigi Miccoli, 46, nimmt einen tiefen Zug. "Wenn dieser Rieder kommt oder wie der heißt, bin ich wohl der Erste, der die Koffer packen muss."

Dieser "Rieder oder wie der heißt" ist Jürgen Rieger, Hamburger Rechtsanwalt mit einschlägiger Klientel. Er vertritt rechtsradikale Schläger ebenso wie Holocaust-Leugner und andere Volksverhetzer.

Zu seinen Mandanten zählen und zählten Alt- und Neonazis wie Michael Kühnen, Ernst Zündel oder Horst Mahler. Rieger träumt vom "Superarier aus dem Reagenzglas", wofür er gern ein "Zentrum für Fruchtbarkeitsforschung" gründen würde.

Dazu dient ihm die "Wilhelm Tietjen Stiftung für Fertilisation", die vorgibt, das Erbe des vor vier Jahren verstorbenen Bremer Lehrers und Alt-Nazis Wilhelm Tietjen zu verwalten und für die Rieger vor zwei Jahren den Heisenhof in Niedersachsen kaufte, eine Bundeswehr-Liegenschaft bei Verden.

Essen Neonazis Nudeln?

Die dortige Verwaltung konnte eine derartige Nutzung bisher verhindern. Rieger, selbst einschlägig vorbestraft, fahndet aber auch nach einem Schulungs- und Tagungszentrum für die braunen Kader.

Dabei soll er auf Delmenhorst gestoßen sein, wo seit gut 14 Monaten das Hotel am Stadtpark leer steht.

Oder fast leer: Im Erdgeschoss der Immobilien-Brache kocht Luigi Miccoli nach wie vor im "Il Solento" für seine Stammkundschaft. "Ich glaube nicht, dass die Nazis mich hier haben wollten", sagt Miccoli. Wer weiß das schon - ob Neonazis Nudeln essen?

Schlagzeilen macht Delmenhorst sonst nur, wenn das Sänger-Pärchen Sarah Connor und Marc Terenzi ihren Nachwuchs im Kinderwagen durch die Fußgängerzone schiebt.

Die Pop-Diva ist in der niedersächsischen Kleinstadt westlich von Bremen geboren. Als sogar eine in der Nähe spielende Reality-Soap über die prominente Kleinfamilie (Sarah und Marc in love) im Fernsehen lief, "da stand unser Telefon auch nicht still", sagt Timo Frers, Pressesprecher der Stadt. "Aber mit dem, was jetzt passiert, ist das nicht zu vergleichen."

Seitdem bekannt ist, dass Rieger das Hotel am Stadtpark angeblich kaufen will, herrscht im Delmenhorster Rathaus der permanente Ausnahmezustand.

Denn sollte in der Innenstadt tatsächlich ein brauner Treffpunkt entstehen, sagt Oberbürgermeister Carsten Schwettmann (CDU), "würde das eine komplette Änderung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hier bedeuten".

Neulich hat der Polizeidirektor der Stadt den Kommunalpolitikern skizziert, was an der Delme in Zukunft los sein könnte: wöchentliche Demonstrationen und Gegendemonstrationen, Polizeieinsätze mit mehreren hundert Beamten, Straßensperren - all das. "Ein Albtraum", findet Schwettmann.

Niemand weiß, ob Jürgen Rieger, 60, tatsächlich jene 3,4 Millionen Euro für das Hotel zahlen würde. Der Eigentümer Günter Mergel, 64, behauptet das zwar, es gibt auch Briefe, in denen Rieger diese Absicht formuliert hat.

"Aber das Risiko, dass wir ausgetrickst werden sollen, besteht natürlich", sagt Schwettmann. Das ist der andere Albtraum: Dass durch das vorgetäuschte Interesse eines Neonazis der Preis für eine bisher unverkäufliche Immobilie in die Höhe getrieben wird, die Stadt in der Absicht, den sozialen Frieden zu wahren, die unrentable Herberge übernimmt - und die Neonazis für ihren propagandistischen Bluff womöglich vom Verkäufer noch mit einer Provision entlohnt werden könnten.

Das Hotel am Stadtpark ist ein schmuckloser vierstöckiger Bau, rotbraun verklinkert, phantastisch gelegen. Hinter den staubigen Fenstern trauern vergilbte Gardinen, aber vom Dach aus reicht der Blick über die ganze Stadt.

Im Park nebenan gründeln Schwäne im stillen Wasser der Außengraft. Eine zusammengenagelte Pressspanwand verwehrt den Aufgang zur Hotelpforte. Jemand hat einen orangefarbenen Aufkleber draufgepappt, der sich gegen die (von Rieger organisierten) Rudolf-Heß-Gedenkmärsche richtet - der Slogan passt auch aufs frühere Drei-Sterne-Haus: "Kein Ort für die Verdrehung der Geschichte!"

An der Glastür bekommt man schriftlich, was sowieso auf den ersten Blick zu sehen ist: "Das Hotel am Stadtpark ist geschlossen - The Hotel is closed".

Auch bei der Mergel Marketing Ltd. im nahen Ganderkesee öffnet niemand mehr die Tür, es geht auch keiner ans Telefon. Über diese Firma vertreibt Hoteleigentümer Günter Mergel inzwischen eine Art Restaurant-Rabattkarte (zweimal essen, einmal zahlen). Im Ort heißt es, Mergel sei abgetaucht, nachdem er Drohungen von rechts und links bekommen habe und sogar die Polizei ihn schützen musste.

Die Neonazi-Szene setzt ihn offenbar unter Druck, sein Hotel nun auch tatsächlich an Rieger zu verkaufen - linke Gruppen veröffentlichen Mergels Daten dagegen steckbriefartig im Internet, weil sie ihn selbst für einen Nazi halten.

Im Rathaus schließen sie aus, dass Mergel mit Riegers arischen Phantasien sympathisiert. Er sei zwar ein schwieriger Typ, aber eine solche Gesinnung wäre wohl doch aufgefallen - schließlich kennt man sich gut.

Zwischen der Verwaltung im Rathaus und dem ehemaligen Hotelier vom Stadtpark tobt "ein Rosenkrieg", sagt Gerd Renker von der Initiative "Für Delmenhorst", die seit gut einer Woche Spenden sammelt, damit die Stadt das Hotel von Mergel kaufen kann. Das zerrüttete Verhältnis macht Verhandlungen allerdings schwierig.

Nach Mergels Darstellung ist die Stadtverwaltung nämlich schuld daran, dass er das Hotel 2005 schließen musste. Städtische Unternehmen in der Nachbarschaft, so sein Vorwurf, verursachten zu viel Lärm und hätten seine Gäste vergrault.

"Beide ein bisschen schuld"

Der Kramermarkt, Delmenhorsts großes Volkfest, habe alljährlich in der Hochsaison die Zufahrt zu seiner Herberge blockiert. Andauernd habe Mergel mit Anträgen auf der Matte gestanden, sagt dagegen ein Referent im Rathaus.

Im Gegenzug schauten die Beamten wohl ganz genau hin, was bei Mergels Betrieb so ablief, eins gab das andere. Man traf sich auch vor Gericht. In einer Verhandlung hieß der Vorsitzende ausgerechnet Carsten Schwettmann, der heutige OB, damals Verwaltungsrichter. Mergel verlor.

"Sind sie wohl beide ein bisschen schuld, Stadt und Mergel", sagt Luigi Miccoli, der sein Ristorante von Mergel gepachtet hat. "Hier hat er gesessen und mir die Briefe gezeigt, Stornierungen ohne Ende. Die Stadt hat es ihm nicht leicht gemacht."

Andererseits hätte Mergel vielleicht auch nicht mit einer Schere in der Hand eine der berühmten türkischen Hochzeiten in der benachbarten Delmeburg stürmen und die Kabel der Musikanlage einfach durchschneiden sollen.

Oder sein Hotel kurzerhand für zwei Tage schließen, als die Stadt dort Landtagsabgeordnete und den Umweltminister aus Hannover eingebucht hatte - eine Peinlichkeit.

"Beide sind Opfer und Täter", findet Christian Glaß, Vorsitzender der Delmenhorster Universitätsgesellschaft und Mittelsmann im eskalierten Nachbarschaftsstreit. Hotel und Rathaus liegen kaum 50 Meter auseinander.

Ein Verkauf an Nazi-Anwalt Rieger wäre eine sehr subtile Form der Rache Mergels an der Stadt. Verhindern will das ein bundesweit einmaliges Engagement.

Innerhalb von vier Tagen sind mehr als eine halbe Million Euro auf einem Treuhandkonto der Stadt eingegangen. Mit diesen zweckgebundenen Spenden soll die klamme Kommune in die Lage versetzt werden, Mergel "ein alternatives Kaufangebot zu unterbreiten", sagt OB Schwettmann.

Gelingt das nicht, bekommen die Spender ihren Einsatz zurück. Daneben manifestiert sich der Widerstand vielfältig: Demonstrationen, Aktionsbüros, ein Rockkonzert. Das Delmenhorster Kreisblatt ruft täglich auf Seite eins zum Protest auf.

Gleichzeitig hat die Stadt ungewöhnlich schnell ein Sanierungsprogramm für die Innenstadt beschlossen, um ein verwaltungstechnisches Instrument in die Hand zu bekommen. Sie hat jetzt ein Vorkaufsrecht für alle Gebäude im Sanierungsgebiet, auch für das Hotel.

Vielleicht hätte man noch schneller reagieren können, wenn einem Sachbearbeiter die Brisanz eines Schreibens vom 30. Juni aufgefallen wäre. Darin erkundigte sich ein "J. Rieger" für die Tietjen-Stiftung nach den Baugenehmigungen für das Hotel am Stadtpark. Ihm wurde mit einem freundlichen Standardbrief geantwortet.

Nicht nur auf diese Erfahrung hätte Carsten Schwettmann, seit 2001 Oberbürgermeister seiner Heimatstadt, gerne verzichtet.

Er wird bei den Kommunalwahlen am 10. September nicht mehr antreten und hatte sich seinen Ausstand anders vorgestellt. Schwettmann haut so fest auf den runden Konferenztisch in seinem Büro, dass die Kaffeetassen klirren.

"Es ärgert mich maßlos, dass jetzt das Image, das uns jahrelang nachhing, durch diese Geschichte wieder aufgewärmt wird." Das knapp 80.000 Einwohner zählende Delmenhorst war einst hinter Hamburg und Frankfurt die Stadt mit der dritthöchsten Kriminalitätsrate im Land.

"Inzwischen weist uns die Statistik als eine der sichersten Städte des Weser-Ems-Gebiets aus", sagt Schwettmann, "wir sind keine kriminelle Hochburg, und das wollen wir bewahren."

Inzwischen ist Delmenhorst so harmlos, dass die Band Element of Crime mit ihrem Sänger Sven Regener einen Song getextet hat, der "Delmenhorst" heißt. Dabei ist Regener Bremer. "Ich fand, Delmenhorst ist so ein schönes Wort."

Luigi Miccoli, seit 22 Jahren in Delemenhorst, wirkt noch immer sehr gelassen. "Ich vertraue dem deutschen Staat, dass er den Verkauf verhindert. Die Politiker werden das schon regeln." Und wenn nicht?

Miccoli deutet aus dem Fenster. "Dort hinten wohnen lauter Türken, da drüben vor allem die Polen und Russen. Hier laufen den ganzen Tag nur Ausländer vorbei. Ich weiß gar nicht, was der hier will. Gibt doch nur Ärger."

© SZ vom 11.8.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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