Nelson Mandela:Das große Glück Südafrikas

File photo of Nelson Mandela greeting photographers in Johannesburg

Südafrikas Nationalheld Nelson Mandela

(Foto: REUTERS)

Die Menschheit ist voller Schurken, aber manchmal hat die Geschichte ein Erbarmen: Dann schickt sie jemanden wie Nelson Mandela. Ein Mann, der das schier Übermenschliche schafft, sich nach 27 Jahren Haft nur vom Gedanken der Versöhnung leiten zu lassen.

Ein Kommentar von Stefan Klein

Man wusste, dass er dem Tod schon sehr lange sehr nahe war. Die Menschen in Südafrika hatten Zeit, sich auf den Abschied vorzubereiten und sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass es eine Zäsur geben und das Land seine große Symbolfigur verlieren würde. Aber dann kommt doch alles sehr plötzlich, und nicht nur Südafrika, sondern die ganze Welt fühlt einen Schmerz und eine große Trauer.

Es ist dies die erwartete Reaktion, und doch sei die Frage erlaubt, ob nicht in diesem Fall etwas anderes vorherrschen sollte, das über die Trauer hinausgreift. Das vielleicht sogar an etwas rührt, das zur Trauer in scharfem Gegensatz steht. Das Wort Glück mag unpassend erscheinen, und doch sollte dieser Tod an das große Glück erinnern, dass der Mensch Mandela gelebt hat. Dafür kann es, jenseits der Trauer, eigentlich nur ein Gefühl geben - das Gefühl sehr großer Dankbarkeit.

Die Menschheit ist voller Schurken und Bösewichter, aber manchmal hat die Geschichte ein Erbarmen, und dann schickt sie Indien einen Mahatma Gandhi oder Südafrika einen Nelson Mandela. Einen Mann, der das schier Übermenschliche schafft, sich nach 27 Jahren Haft statt von Bitterkeit und Rachegedanken allein von dem Gedanken der Versöhnung leiten zu lassen. Damit hat Mandela einer gespaltenen und von den Grausamkeiten des Apartheid-Systems zerrütteten Gesellschaft eine nahezu sanfte Rückkehr ermöglicht in die Welt der Zivilisation.

Bei dem Hass, den die weißen Rassisten unter der schwarzen Mehrheitsbevölkerung produziert hatten, wäre vieles möglich gewesen - ein Blutbad, eine kommunistische Tyrannei, eine Apartheid unter umgekehrten Vorzeichen. Geworden ist Südafrika dank Mandela eine Demokratie mit allem, was dazu gehört: regelmäßigen Wahlen, einer freien Presse und einer funktionierenden Justiz. Es ist dies die große Lebensleistung eines Mannes, den man deswegen aber nicht überhöhen muss zu einem Heiligen.

Keineswegs immun gegen Fehler

Mandela selbst war diese Verklärung stets ein Graus. Als er sich schon längst zurückgezogen hatte von allen Ämtern, erscholl bei so ziemlich jedem Konflikt in dieser Welt der Ruf nach Mandela, so als müsse der nur kommen und die Hand auflegen. Er war aber gerade kein Wunderheiler. Was ihn unterschied von anderen und was ihn so besonders machte, war die sehr selten gewordene Tatsache, dass er ein Mensch mit Haltung war.

Den Heiligenverehrern auch dieses noch: Mandela war keineswegs immun gegen Fehler und Irrtümer und jedenfalls nicht der Moses, der die Schwarzen Südafrikas ins gelobte Land geführt hätte. Ein besonders schwerwiegender Vorwurf gegen Mandela lautet, er habe die Apartheid nur halb abgeschafft, habe den Weißen zu viele Zugeständnisse gemacht und an der sehr ungleichen Verteilung des Reichtums nichts geändert. Man hört diese Vorwürfe bei den Kids in den Townships, die keine Jobs und keine Perspektiven haben. Trauern werden freilich auch sie. Mag sein, dass es ihnen bei all ihren Alltagssorgen vielleicht gar nicht bewusst ist, vielleicht ist es ihnen auch schon viel zu selbstverständlich geworden - aber diese Kinder der Apartheid leben heute in einem freien Land.

Weil es diesen großen, visionären Mann gegeben hat, der um einer Idee willen seine besten Jahre geopfert hat, wachsen diese Kinder heute ohne den Makel der Minderwertigkeit auf. Das Gefängnis der Zweitklassigkeit hat Mandela ihnen aufgeschlossen, es ist jetzt in ihrer Hand, die Freiheit zu nutzen. Und wen bei all den Hindernissen, Zumutungen und Schwierigkeiten ein Gefühl der Mutlosigkeit überkommen sollte, der sollte sich der viel größeren Hindernisse bewusst werden, die Nelson Mandela auf seinem langen Weg gegen das bösartigste System seit der Sklaverei überwand.

Er bildete die Klammer, die das Land zusammenhielt

Mandela hatte schon seit Jahren keine offiziellen Funktionen mehr. Er war zuletzt ein kranker und schwacher Mann. Aber: Er war da. Selbst als sein Herzschlag schwächer wurde und die ärztlichen Bulletins besorgniserregend klangen: Er war da, er existierte, die Regenbogennation Südafrika hatte ihr Symbol. Es war nicht das große Symbol der Einheit, dazu sind die Unterschiede in dem Land immer noch zu groß, aber er war der gemeinsame Nenner, auf den sie sich alle einigen konnten, egal welcher Hautfarbe.

Auch das ein großes Glück für ein Land, das von Mandelas Nachfolgern im Amt des Präsidenten eher geplagt ist. Auch wenn man an denen mitunter verzweifeln muss, im Hintergrund war immer noch der alte Mann, der kaum noch sprach und kaum mehr zu sehen war, aber: Er war da. Er tat nichts mehr und tat doch das Entscheidende: Er bildete die Klammer, die das Land zusammenhielt. An der Frage, was jetzt aus Südafrika wird, entscheidet sich das Lebenswerk Nelson Mandelas. Es wäre die Krönung, wenn Südafrika nun allein gehen könnte.

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