Sexualstrafrecht:Die heikelsten Punkte der "Nein heißt Nein"-Reform

Nein heisst Nein Protest Gina Lisa Lohfink Während des Prozesses gegen das Model Gina Lisa Lohfin

Das "Nein-heißt-Nein"-Prinzip sei eine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit, kritisieren Frauenverbände schon seit Jahrzehnten.

(Foto: Christian Mang/imago)

Was ist Vergewaltigung? Der Bundestag will das strenger regeln. Kritiker fürchten eine Schwemme von Falschanzeigen und Probleme vor Gericht. Doch das Elend der Opfer wiegt schwerer.

Analyse von Constanze von Bullion, Berlin

"Nein heißt Nein", das klingt für ungeübte Ohren nach einem Kampfruf aus den 1980er Jahren: irgendwie verbiestert, für manche auch schrecklich tugendhaft. Dabei beschreibt der Begriff eigentlich nur eine Selbstverständlichkeit. Sex ist, wenn es beide wollen. Wenn einer oder eine nicht will und es trotzdem passiert, ist es eine Vergewaltigung.

An diesem Donnerstag will der Bundestag beschließen, dass der Grundsatz "Nein heißt Nein" ins Strafgesetzbuch aufgenommen werden soll. Das ist keine Kleinigkeit. Wird diese Verschärfung des Sexualstrafrechts rechtskräftig, gilt künftig nicht nur als Vergewaltiger, wer eine andere Person mit Gewalt zu einer sexuellen Handlung nötigt, ihr das Messer an den Hals hält oder ihre Schutzlosigkeit im Wald ausnutzt.

Auch wenn das Opfer sich nicht wehrt, aber widerspricht, zu weinen beginnt oder sonst wie klarmacht, dass eine sexuelle Handlung unerwünscht ist, kann das als Vergewaltigung gewertet werden. Und wer im Schlaf überrumpelt wird, schon lange in einer Gewaltbeziehung lebt oder auf Widerstand verzichtet, damit nebenan die Kinder nicht aufwachen, kann sich ermutigt fühlen, Anzeige zu erstatten.

Aber ist das denn eigentlich erwünscht?

Gibt es nicht schon genug niederschmetternde Vergewaltigungsprozesse? Gibt es. Aber nur selten eine rechtskräftige Verurteilung des Täters. SPD-Bundesjustizminister Heiko Maas wollte das ändern und hat - zunächst gegen die Union - eine vorsichtige Reform des Sexualstrafrechts vorgeschlagen. Der Grundsatz "Nein heißt Nein" war darin nicht vorgesehen. Vergewaltigung hätte sich auch weiter dadurch ausgezeichnet, dass der Täter den Widerstand des Opfers überwinden muss.

Das ändert sich nun, auf Druck der Frauen im Parlament, die nicht nur ihrem eigenen Geschlecht ein Grundrecht gesichert haben. Der Körper einer Person, ob Frau oder Mann, kann ihr nicht erst dann gehören, wenn sie ihn mit Händen und Füßen verteidigt. Wer da ran will, muss sich ein Einverständnis holen. Wird es nicht erteilt - oder erst erteilt und dann doch zurückgezogen -, mag das ärgerlich sein. Aber sexuelle Selbstbestimmung geht vor.

So weit, so richtig. Der Justizminister allerdings dürfte nach der Abstimmung am Donnerstag etwas leiser klatschen als andere. Maas musste sich auf weite Strecken zum Jagen tragen lassen bei dieser Reform. Immer wieder kamen aus seinem Haus Bedenken, auch gegen den Grundsatz "Nein heißt Nein", er könne massenhafte Falschanzeigen befördern.

Keine Frage, es gibt Vergewaltigungsprozesse, bei denen erfundene Behauptungen aufgestellt und Beschuldigte mit Fleiß um ihre Existenz gebracht werden - ob aus Rache oder nach einer gescheiterten Beziehung. Solche Prozesse sind für den Angeklagten verheerend, kein vernünftiger Mensch wünscht sich mehr davon.

Aber wer die Wirklichkeit vor Gericht kennt, weiß auch: Das Elend auf Seiten der Opfer ist häufig noch größer. Zu Scham und Verletzung kommt hier nicht selten das Déjà-vu totaler Hilflosigkeit. Der Nachweis einer Vergewaltigung ist schwer, meist fehlen Zeugen und Beweise. Und zu Recht wird im Zweifel für den Angeklagten entschieden. Freiwillig tut sich kaum jemand so eine Tortur an.

Der Staat hat eine Verpflichtung

Nun wenden Kritiker ein, dass Gerichte in Teufels Küche kommen, wenn jetzt auch ein Nein oder ein Weinen als Merkmal einer Vergewaltigung gilt. Das klingt einleuchtend, führt aber in die Irre. Eine absehbar schwierige Beweiserhebung darf den Staat nicht davon abhalten, eine Straftat genau zu benennen und dafür zu sorgen, dass sie geahndet werden kann. Bei Mord kann der Staatsanwalt nicht sagen: "Ist schwierig nachzuweisen, also lassen wir's." Das gilt auch bei Vergewaltigung.

Noch genauer hinschauen müssen Gerichte aber auch, wenn der geplante Grapschparagraf kommt. Ihn wollte auch die Union, deren Vertreter sich früher gern mal mokierten über Frauen, die den ungebetenen Griff an ihrem Po nicht als Kompliment betrachteten. Er war auch nicht strafbar. Silvester in Köln hat das geändert. Sexuelle Belästigung soll künftig mit einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafen geahndet werden.

Wer nun aufschreit, weil er befürchtet, dass der Staat es nun auch noch verbietet, beim Tanzen mal die Hand über fremde Körper spazieren zu lassen, um herauszufinden, was da geht und was nicht, sei beruhigt. Unter Strafe gestellt wird nur Belästigung, nicht aber eine Handlung, die bei der anderen Person "nur Interesse, Verwunderung oder Vergnügen auslöst". Mit anderen Worten: Anbaggern bei gegenseitigem Wohlgefallen ist erlaubt.

Bestrafung für sexuelle Übergriffe aus Gruppen

Bleibt das dritte Element der Reform, es war bis zuletzt hart umkämpft: der neue Straftatbestand sexueller Übergriffe "aus Gruppen". Die Koalition will, dass jeder, der sich "an einer Personengruppe beteiligt, die eine andere Person zur Begehung einer Straftat an ihr bedrängt", bestraft werden kann. Das zielt erneut auf Szenarien wie in der Silvesternacht in Köln, wo Frauen umringt, angefasst und bestohlen wurden. Hier könnte nach dem geplanten Gesetz nun jeder in der Gruppe für sexuelle Übergriffe bestraft werden, auch wenn er vielleicht nur klauen wollte.

Womit das dicke Ende der Strafrechtsreform erreicht ist. In der SPD, im Justizministerium und bei den Grünen gibt es verfassungsrechtlich Bedenken gegen den Gruppenparagrafen. "Wer selber keine Sexualstraftat begeht, kann und darf nicht wegen einer Sexualstraftat verurteilt werden. Das widerspricht dem Schuldprinzip, auf dem unser gesamtes Strafrecht aufbaut", sagte die Grünen-Rechtsexpertin Renate Künast der SZ.

Die Grünen, Initiatoren einer Wende im Sexualstrafrecht, werden dem Grundsatz "Nein heißt Nein" im Bundestag zwar zustimmen, in einer vorgeschalteten Einzelabstimmung. Bei der Abstimmung über das gesamte Gesetz aber werde sich die Partei enthalten. Und auch die Linke stellt sich nun quer. Denn die Union setzte im letzten Moment gegen die SPD durch, dass der Grundsatz "Nein heißt Nein" ins Aufenthaltsrecht implementiert wird.

Abschiebung nach Sexualdelikt?

Bisher können Asylbewerber abgeschoben werden, die wegen schwerer Straftaten verurteilt wurden. Die Koalition will diese Schwelle nun senken. Auch ein Verstoß gegen "Nein heißt Nein" soll im Aufenthaltsrecht relevant werden. Hier sei "jegliches Maß verloren gegangen", schrieb die Linken-Abgeordnete Halina Wawzyniak.

In der SPD sehen manche das ähnlich, wollen es aber nicht so laut sagen. Ohne den Gruppenparagrafen und die Verknüpfung der Sexualstrafrechtsreform hätte die Union dem "Nein heißt Nein" der SPD nicht zugestimmt, heißt es hier - und dass im Leben wie in der Politik manche Dinge ziemlich teuer werden können.

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