NBA:Risse in der Mauer

Cleveland Cavaliers v Indiana Pacers - Game Six

Angeschlagener Gigant: LeBron James zog sich in der sechsten Partie gegen Indiana eine Platzwunde am linken Auge zu.

(Foto: Andy Lyons/AFP)

Die Cleveland Cavaliers und LeBron James drohen in der ersten Playoff-Runde an Außenseiter Indiana zu scheitern.

Von Philipp von Nathusius, Cleveland/München

Der Begriff Ein-Mann-Mauer ist Fußballjargon. Es sei denn, die Rede ist von LeBron James, dann ist er auch im Basketball erlaubt. James, da herrscht unter Fachleuten viel Einigkeit, ist der kompletteste und deswegen beste Basketballspieler der Welt. Er ist extrem robust, von einer quasi monumentalen köperlichen und geistigen Verfasstheit. Wohl deswegen prallt an diesem 2,03 Meter großen, menschgewordenen Hindernis so ziemlich alles ab. Druck, Kritik, Tweets von Donald Trump oder Gegenspieler, die ihn auf dem Weg zum Korb stoppen wollen.

Bei der 87:121-Niederlage der Cleveland Cavaliers im sechsten Spiel der Erstrunden-Playoff-Serie gegen Indiana ist auch Pacers-Forward Thaddeus Young an James abgeprallt, genauer an James' linker Augenbraue. Young hatte den wagemutigen Versuch unternommen, sich ihm in der Zone entgegenzustellen. Allerdings hat bei der Aktion Ende des zweiten Viertels auch die Mauer Schaden genommen. James zog sich eine Platzwunde zu. Überdies ging die Partie schon so früh und so deutlich verloren, dass James das letzte Viertel durchgängig auf der Bank verbrachte.

Es steht 3:3, am Sonntag steht nun das siebte und entscheidende Spiel der Best-of-seven-Serie an (19 Uhr MEZ). Cleveland, nach dem Ende der regulären Saison nur Vierter der Eastern Conference, genießt Heimrecht. Doch Indiana, Hauptrunden-Fünfter im Osten, spielt eine Saison, die der jungen Mannschaft so kaum jemand zugetraut hätte. Und nun unternimmt Indiana den Versuch, die Mauer zu stürzen.

Das hat viel mit Victor Oladipo und Domantas Sabonis zu tun. Nach dem Weggang von Paul George im Sommer nach Oklahoma kamen die beiden nach Indianapolis. Oladipo galt nach durchwachsenen Jahren bei den Orlando Magic und einem eher unglücklichen in Oklahoma als überschätzt und überbezahlt. Mit seinem Triple-Double in Spiel sechs (28 Punkte, 13 Rebounds, 10 Assists) hat der 25-jährige Guard untermauert, dass er zurecht als heißester Kandidat für den Titel des Most Improved Players gehandelt wird, die Auszeichnung für den Spieler mit der größten Leistungssteigerung gegenüber der Vorsaison. Der 21-jährige Sabonis, Sohn der litauischen NBA-Legende Arvydas Sabonis, hat sich zu einer enormen Verstärkung entwickelt und sich in die Starting-Five gespielt.

Die Cavaliers haben unter James' Führung die letzten drei Finalserien erreicht

Vor allem stimmt bei den Pacers das, was man für gewöhnlich Team-Chemie nennt - und bei den Cavaliers eher nicht. In Cleveland geht es seit der Spielzeit 2014/2015 nicht mehr um das vorsichtige Zusammenmixen unterschiedlicher Zutaten zu einer harmonischen Verschmelzung der Einzelteile. Es geht seit der Rückkehr von LeBron James aus Miami um das System LeBron James. "LeBron is running the show in Cleveland", kritisierte der frühere General Manager der Chicago Bulls, Jerry Krause: James hat das Sagen. Das war 2014, als der verlorene Sohn der Stadt nach Cleveland zurückgelotst wurde. Die Basketball-Instanz Krause mahnte, selbst Michael Jordan habe bei den Bulls nicht solchen Einfluss ausüben dürfen, wie James von da an bei den Cavs.

James' Macht reicht weit über das Spielfeld in die Management-Etage hinein, größeren Einfluss auf das Management einer Franchise hatte wohl niemals ein aktiver NBA-Spieler. Der Einfluss hat Früchte getragen: Die Cavaliers haben unter James' Führung die letzten drei Finalserien erreicht und dabei einmal, 2016, den Meistertitel gewonnen. Wer sich dieser Dominanz nicht unterordnen möchte, geht, zum Beispiel All-Star Kyrie Irving vor Saisonbeginn nach Boston. Wer in den Augen von James nicht ausreichend Unterstützung bietet, wird getradet, wie der frühere All-Star Isiah Thomas nach Los Angeles.

Für James weist die Statistik 32,7 Punkte pro Spiel in diesen Playoffs aus. Im fünften Spiel der Serie stand es kurz vor Schluss 95:95, James erhielt den letzten Einwurf der Partie in der Hälfte der Pacers, dribbelte, warf einen Dreier, die Zeit lief ab, der Ball flog in den Korb. James hat viele solcher Würfe getroffen, die wahlweise einzelne Spiele oder ganze Playoff-Serien entschieden haben. Doch reicht das auch diesmal?

Gefragt nach Forward Kevin Love, der in der Serie gegen Indiana bislang im Schnitt nur elf Punkte erzielt hat, im sechsten Spiel nur sieben Punkte machte und lediglich 37 Prozent seiner Dreier-Versuche traf, sagte James: "Er ist ein riesiger Teil unseres Erfolgs oder unseres Nicht-Erfolgs." Und: "Wir können die Würfe nicht für ihn verwandeln, er muss sich aufraffen und sie selbst rein machen." Für den mächtigsten Spieler der NBA klang das beinahe ein wenig machtlos.

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