Nazi-Verbrechen:Ein spätes Schlusswort

Lesezeit: 2 min

Es wird schnell gesagt, eine Entscheidung habe Rechtsgeschichte geschrieben. Im Fall des Beschlusses des Bundesgerichtshofs zu den Helfershelfern der Nazis trifft das aber zu.

Von Wolfgang Janisch

Man ist ja bisweilen recht schnell mit der Behauptung, eine Entscheidung habe Rechtsgeschichte geschrieben. Für den Beschluss des Bundesgerichtshofs im Fall Gröning jedoch trifft sie ganz sicher zu. Die deutsche Justiz hat endlich die richtigen Worte gefunden für eine Frage, die so zentral ist für den dunkelsten Teil der deutschen Geschichte wie kaum eine zweite: die Frage nach der Schuld der kleinen, aber unverzichtbaren Gehilfen des monströsen Massenmordes. Oskar Gröning, Aufpasser an der Rampe von Auschwitz-Birkenau, Buchhalter für das geraubte Vermögen der Juden: Er ist schuldig. Nicht, weil er mit eigenen Händen gemordet hätte. Sondern weil er den Hochgeschwindigkeitsbetrieb der Vernichtungsmaschine ermöglicht hat - als das sprichwörtliche Rädchen im Getriebe.

Der BGH brandmarkt damit das bewusste Unterlassen der bundesdeutschen Justiz, die willigen Helfer in den Vernichtungslagern der Nazis vor Gericht zu bringen. Dass sich wegen Beihilfe zum Mord strafbar macht, wer - ohne selbst Hand anzulegen - sehenden Auges am todbringenden Geschehen mitwirkt, gehörte schon immer zum juristischen Einmaleins. Als es galt, die Terroristen der RAF hinter Gitter zu bringen, war die Justiz mit der Beihilfe-Strafbarkeit nicht so zurückhaltend. Und in der frühen Bundesrepublik gab es durchaus Ansätze dafür, auch die kleinen Helfer in den Vernichtungslagern der Nazis vor Gericht zu bringen.

Der Bundesgerichtshof selbst hat auch eine Schuld abzutrage

Doch letztlich setzte sich - unter maßgeblicher Mitwirkung des BGH - eine Linie durch, die auf größtmögliche Schonung hinauslief. Die Juristen machten die Schuld der Heerscharen von Beschäftigten in den Mordfabriken der Nazis unsichtbar, indem sie das große Verbrechen in viele kleine Atome zerlegten; unverzichtbare Bestandteile des großen Ganzen, aber nicht mehr zu erkennen.

Warum ist die Entscheidung des BGH heute noch wichtig? Es ist schon wahr: Die Prozesse gegen die Greise, die für ihre Jahrzehnte zurückliegenden Taten zur Rechenschaft gezogen werden, sind skandalös verspätet. Es mag den Überlebenden unter den Opfern eine späte Genugtuung bringen - aber für die meisten kommen die Urteile zu spät.

Dennoch ist es wichtig, dass der BGH diesen Abschnitt der Rechtsprechung zurechtrückt, auch seiner eigenen; der BGH hatte ebenfalls eine Schuld abzutragen. Denn es geht hier nicht ums juristische Proseminar: Die Frage, wer für ein kollektives Geschehen - und schon gar für ein Verbrechen - die Verantwortung trägt, ist zentral für unser Selbstverständnis als autonome Menschen. In den Jahrzehnten nach dem Ende des Nazi-Regimes verbargen sich die kleinen Helfer und Mitläufer gern hinter der noch größeren Schuld der Nazi-Machthaber und Funktionäre. Doch die, so formuliert es nun der BGH, wären ohne die "willigen und gehorsamen Untergebenen" zum industrialisierten Massenmord gar nicht in der Lage gewesen. Es ist ein spätes Schlusswort des BGH zu einem unseligen Kapitel auch seiner eigenen Geschichte. Aber ein wichtiges.

© SZ vom 29.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: