Nazi-Aufklärung:Geheim für die Geheimen: SS-Mörder im BND

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BND-Chef Gehlen ließ die Nazi-Gräueltaten einiger Agenten untersuchen - doch so viel Aufklärung war 1965 unerwünscht, wie eine Reportage in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung beschreibt.

45 Jahre. 45 Jahre sollte es dauern, bis die akribische Arbeit von Hans-Henning Crome endlich den Weg an die Öffentlichkeit finden sollte. Der pensionierte Geheimdienst-Mann, bald 80 Jahre alt, war Leiter der "Organisationseinheit 85" im Bundesnachrichtendienst.

Seine Aufgabe: Er sollte jene Kollegen, die im Zweiten Weltkrieg im Befehlsbereich des Reichsführers-SS Heinrich Himmler tätig waren, einer umfassenden Überprüfung unterziehen. Crome, der Pullacher Nazi-Jäger. Der Aufsteiger in der BND-Zentrale, der die im Kalten Krieg wichtigste Quelle betreute.

"Im Rückblick", sagt der Vater dreier Töchter in einer Reportage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die Cromes Arbeit akribisch beleuchtet, "gab es nur eine Sache in vierzig Jahren Dienst, die mich bis in den Schlaf verfolgt hat, und das war die Arbeit für 85".

Anfang der sechziger Jahre hatte sich Crome in einem Sonderstab zur Ermittlung gegen Verräter in den eigenen Reihen seine Sporen verdient. Der damalige legendäre BND-Chef Reinhard Gehlen, der mit Cromes Vater gut bekannt war, machte den 30-Jährigen kurzerhand zum Chef eines kleinen und jungen Sonderstabs mit Namen "Organisationseinheit 85" (kurz 85). Der richtete sich unter dem Dach der Pullacher Präsidentenvilla ein. Die Arbeit begann.

Welche BND-Mitarbeiter waren als Teil des NS-Terrorregimes in Verbrechen verwickelt? Welche waren für den BND untragbar?

Im Laufe von zwei Jahren, so stellt Crome es in der FAZ-Reportage dar, lud er 146 pflichtschuldige BND-Leute vor. Sie hatten mit Personalpapieren und Zeugnissen ihrer früheren Tätigkeiten im Nazi-Reich in München vorzusprechen.

Crome erinnert sich: Durch jene Aussagen und Dokumente, zu denen noch etliche herbeirecherchierte Belege - die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg kooperierte eng - hinzukommen sollten, wurde die Befürchtung Gewissheit. Beim BND arbeiteten aktive SS-Verbrecher. In der Zeit, als die unter Himmler arbeiteten, waren sie beteiligt an der geplanten Ausrottung der Juden in Europa, an Erschießungen, an Terror in Konzentrationslagern.

Wie zum Beispiel Georg W. Er stieß 1939 zum "Einsatzkommando IV/2", einer 300 Mann starken Truppe, die nach der Invasion in Polen vor allem die Aufgabe hatte, Bessergebildete zu töten. Lehrer, Rechtsanwälte, Geschäftsleute fielen dem Kommando zum Opfer. Drei Monate zog W.s Truppe mordend durch Polen - und war auch verantwortlich für das Massaker an 1700 Männern, Frauen und Kindern in einem Waldstück nahe Palmiry. Nach dem Krieg fing er beim Bundesnachrichtendienst an.

Oder Helmut S., Angehöriger der SS-Totenkopfverbände und Sturmbannführer. S. wurde 1941 der "Einsatzgruppe B" zugeordnet. Innerhalb von acht Wochen ermordete die Gruppe 24.000 Juden in der damaligen Sowjetunion.

Nicht alle, die Cromes "85" überprüfte, waren Massenmörder wie Georg W. und Helmut S. Einige waren auch kleinere Rädchen in der blutrünstigen Maschinerie, die mit so viel Ordnungsliebe den millionenfachen Mord organisierte. Das junge BND-Team sammelte viel Spezialwissen an in der Zeit - über die Befehle Himmlers und Heydrichs, über Tötungsbilanzen, die mit buchhalterischer Genauigkeit geführt wurden. Die FAZ dokumentiert 47 Auswahlbibliographien aus dem "Verzeichnis des besonderen Personenkreises" - alles Personen, die Anfang der Sechzigerjahre beim BND gearbeitet haben.

"Diese akkurate Verwaltung des Bestialischen" sei es, die Crome mehr als 40 Jahre nach seinen Recherchen noch zornig werden lasse.

Cromes Abschlussbericht 1965 fiel vernichtend aus. Die belasteten Mitarbeiter seien ihm teilweise mit "einer geradezu ins Auge springenden Unaufrichtigkeit" begegnet, schreibt er. Etliche Sachverhalte seien "verschwiegen, bemäntelt oder abgestritten" worden. "Ein realistisch denkender und urteilender Nachrichtendienst kann solche Angaben nicht als Wahrheit akzeptieren", lautete sein Fazit.

Abfindung für die gekündigten BND-Mitarbeiter

Doch beinahe genauso schwer wiegen seine Vorwürfe gegen seinen Arbeitgeber selbst. Der Bericht ist auch zu verstehen als Urteil und Verurteilung dessen, wie der Geheimdienst über Jahre hinweg die ungeheuerliche Vergangenheit mancher Mitarbeiter schlichtweg ignoriert hat.

"Das ganze Ausmaß der Schrecklichkeiten und der Riesenorganisation dahinter, das wollten einige nicht mehr gerne hören, wie auch in der damaligen Gesellschaft", erinnert sich Crome. "Wir aber dachten, wir müssten den leitenden Mitarbeitern im BND mal sagen, wie das eigentlich gewesen ist."

71 jener 146 Mitarbeiter, die Crome überprüft hatte, mussten "aufgrund nachweisbarer Teilnahme an NS-Gewaltdelikten" gehen, teilt der BND heute mit. Die meisten erhielten einen Auflösungsvertrag und eine Abfindung, wie FAZ-Autor Peter Carstens in seiner Reportage schreibt.

Als Crome seinen Abschlussbericht 1965 der BND-Führung übergab, ging er zunächst an 20 leitende Beamte, wurde aber sehr schnell wieder zurückgezogen. Er war geheim für die Geheimen. Zu groß war die Angst, dass die Erkenntnisse der "85" an die Öffentlichkeit geraten und für großen Aufruhr im Geheimdienst führen konnten. Das Papier (Titel: "Arbeitsgrundsätze und Erfahrungen von 85") landete im Panzerschrank.

45 Jahre dauerte es, ehe der heutige BND-Präsident Ernst Uhrlau es freigeben ließ.

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