Von der Leyen im Baltikum:Seelenmassage an der Ostflanke

Ursula von der Leyen (CDU) in Estland

Erster Stopp Tallinn: Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen bei ihrem estnischen Kollegen Sven Mikser.

(Foto: Maurizio Gambarini/dpa)
  • Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ist im Baltikum unterwegs, an der Ostflanke der Nato.
  • Dort fühlen sich Russlands Nachbarn nicht mehr sicher, weshalb der Besuch als Signal zu verstehen ist.
  • Eine Reihe von Militärübungen auch mit deutscher Beteiligung soll noch in diesem Jahr demonstrieren, dass die Nato wachsam nach Osten schaut.
  • Auch die Bundeswehr rüstest auf und soll wieder deutlich mehr Kampfpanzer einsatzbereit halten als geplant.

Von Christoph Hickmann, Tallinn

Der estnische Verteidigungsminister braucht keine drei Sätze Anlauf, um zum Thema zu kommen. Man wisse, sagt Sven Mikser gleich zu Beginn der Pressekonferenz am Dienstagmittag, dass Russland all seine Möglichkeiten genutzt habe, um die Ukraine zu destabilisieren. Russland habe "viele, sehr viele" Regeln gebrochen, weshalb die Nato wieder mehr Wert auf Einigkeit legen müsse.

"Fast schon ein Jahr", so übersetzt der Dolmetscher die Aussagen des Ministers, "leben wir in einer komplett neuen Realität." Neben Mikser steht seine deutsche Kollegin und hört in Estlands Hauptstadt Tallinn erst mal zu.

Die Bundeswehr soll wieder mehr Kampfpanzer einsatzbereit halten

Ursula von der Leyen (CDU) ist im Baltikum unterwegs, an der Ostflanke der Nato. Von Estland, wo sie am Montagabend gelandet ist, geht es am Dienstagnachmittag weiter nach Lettland und schließlich nach Litauen. Von erheblicher Symbolik wäre der Besuch angesichts der Lage im Osten ohnehin - doch dieser Tage muss man ihn als Teil einer Reihe von Signalen sehen, die das transatlantische Bündnis und speziell die Bundesrepublik zuletzt ausgesandt haben. Zum einen Richtung Russland, zum anderen an die Adresse der Nato-Partner am östlichen Rand des Bündnisgebiets.

Da war zunächst die Nato-Alarmierungsübung "Noble Jump", mit der in der vergangenen Woche demonstriert wurde, dass die sogenannte superschnelle Eingreiftruppe des Bündnisses tatsächlich innerhalb weniger Tage abmarschbereit wäre - der schnellste Teil der Speerspitze sogar nach 48 Stunden. Eine besondere Rolle spielten dabei die Panzergrenadiere aus Marienberg im Erzgebirge, die in der derzeit laufenden Testphase der Hochgeschwindigkeitstruppe den Kern des Gefechtsverbands stellen.

Am Freitag ließ von der Leyen dann mit Zahlen unterfüttern, was bereits zuvor bekannt geworden war: Die Bundeswehr soll wieder deutlich mehr Kampfpanzer einsatzbereit halten als geplant, und zwar bis zu 320 statt der 225, die zuvor als Obergrenze festgelegt waren. Für die Verbündeten im Osten, etwa die Polen, war das ein lange ersehntes Signal. Sie hatten immer wieder zum Ausdruck gebracht, dass ihnen angesichts der radikalen Schrumpfung des deutschen Panzerbestands ganz und gar nicht wohl war.

Nun, ein paar Tage nach Bekanntwerden der Panzer-Entscheidung, folgt von der Leyens Besuch im Baltikum. Kurz nachdem die Meldung Aufsehen erregt hatte, dass die Militärausgaben in Osteuropa zuletzt stark gestiegen sind.

Deutschland beteiligt sich 2015 an mehreren Nato-Manövern

Russlands Nachbarn fühlen sich nicht mehr sicher, das macht nervös. Erst vor wenigen Tagen verglich der lettische Außenminister das heutige Russland mit der Nazi-Diktatur. Und Estlands Präsident Toomas Hendrik Ilves äußerte die Befürchtung, dass wohl selbst die superschnelle Nato-Truppe zu spät käme, wenn Russland ernst machen und im Baltikum einfallen würde. Trotzdem geht es am Dienstag in Tallinn erst einmal nicht um Panzer, Infanterie oder Jagdflugzeuge - sondern um die Bedrohung durch Cyberangriffe. Auch die können ja Teil der hybriden Kriegsführung sein.

Von der Leyen besucht in Tallinn das "Nato Cooperative Cyber Defence Centre of Excellence", wo man sich mit dieser Form der Bedrohung beschäftigt. Estland ist 2007 massiven Angriffen über das Internet ausgesetzt gewesen, seither weiß man hier, welche weitreichenden Folgen es haben kann, wenn solche Attacken erfolgreich sind.

Verteidigungsminister Mikser fordert "verbesserte" Reaktionsfähigkeit der Nato

In der nächsten Woche wird es hier eine große Übung geben, bei der es um die Abwehr von Cyberangriffen gehen wird (über Offensivaktionen sprechen Cyberkrieger nicht so gern) - passenderweise nach der Attacke auf den französischen Sender TV5 Monde. Außerdem werden passend dazu ein paar Zahlen aus Deutschland bekannt: Laut Verteidigungsministerium hat die Bundeswehr 2014 in ihren IT-Systemen knapp 6000 Infektionen mit Schadsoftware erkannt und beseitigt. In den Einsatzländern hat sie demnach etwa 136 000 sogenannte sicherheitsrelevante Ereignisse erkannt und blockiert.

Und doch geht es im Baltikum vor allem um Bedrohungen von der Art, wie es sie auf der Krim gegeben hat und wie sie zur Situation im Osten der Ukraine geführt haben. Eine Reihe von Militärübungen auch mit deutscher Beteiligung soll noch in diesem Jahr demonstrieren, dass die Nato wachsam nach Osten schaut. Bei der Pressekonferenz mit von der Leyen fordert Verteidigungsminister Mikser, die Reaktionsfähigkeit der Nato müsse "verbessert werden".

Er vergisst auch nicht zu erwähnen, dass Estland stets mindestens zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts in Sicherheit investiere - während die meisten anderen Nato-Staaten, Deutschland eingeschlossen, dieses selbst gesetzte Ziel regelmäßig verfehlen. Von der Leyen lässt sich nicht zu konkreten Aussagen verleiten, sondern warnt: "Ich kann nur empfehlen, die Reaktionsfähigkeit der Nato nicht zu unterschätzen." Alle Mitgliedstaaten seien "gehalten, unsere Budgets auch angemessen der äußeren Lage zu entwickeln". Dazu gehöre auch die Modernisierung der Bundeswehr, "die vonnöten ist".

Sie wolle Mikser versichern, "dass wir die Sorgen und Bedrohungswahrnehmungen Estlands sehr ernst nehmen". Dann sagt sie: "Ihre Sorgen sind auch unsere Sorgen." Artikel 5, der im Nordatlantikvertrag den Bündnisfall definiert, gelte "unverbrüchlich".

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