Nato:Europas Netz der Sicherheiten droht zu reißen

Nato: Litauische Soldaten im Nato-Manöver.

Litauische Soldaten im Nato-Manöver.

(Foto: AP)

Bündnispolitisch lebt die EU in einer neuen Zeitrechnung: Die Entfremdung von den USA ist spürbar, die Angst treibt viele dazu, in Nationalstaaten zu denken. Die Lösung liegt in Europa selbst.

Von Stefan Kornelius

Sicherheitspolitik funktioniert dann am besten, wenn man nichts von ihr spürt. Wenn weder Bedrohung noch Unsicherheit wahrgenommen werden, dann ist die Welt entweder im Zustand des ewigen Friedens angekommen, oder es klappt mit der Abschreckung, den Verbündeten, der Sicherheit. Weil die Geschichte lehrt, dass es den ewigen Frieden nicht gibt, und weil - im Gegenteil - recht viele Europäer momentan einen Zustand hoher Unsicherheit empfinden, bleibt nur ein Schluss: Europas Sicherheitspolitik funktioniert nicht mehr.

Es gehört zu den wichtigsten Aufgaben eines Staates, für ökonomische, innere und äußere Sicherheit zu sorgen. Nur so bewahren Gesellschaften ihre Stabilität, nur so lassen sich Radikalisierungen, populistische Aufwallungen, nationalistische Schutzreflexe verhindern. Nur eine sichere Gesellschaft kann eine offene Gesellschaft sein.

Die Sicherheitspolitik der EU steht vor einer neuen Zeitrechnung

Europa und Deutschland in seiner Mitte kämpfen schon seit Langem mit gewaltigen Unsicherheiten. Die Schulden- und Euro-Krise haben das wirtschaftliche Sicherheitsversprechen zerstört, der Ukraine-Krieg und die Migrationskrise haben die Angst vor innerer und äußerer Bedrohung geschürt. Das aus Tausenden Knoten geknüpfte Netz von Sicherheiten in Europa - von der Währung bis zur Milchordnung - scheint zu reißen.

Ob das subjektive Gefühl tatsächlich einer ernsten Gefahr entspricht, sei dahingestellt. Aber da ist nun mal dieser Instinkt, der viele Europäer in die vermeintlich schützende Hülle ihres Nationalstaates treibt, indem sie entweder für den Brexit stimmen oder für Viktor Orbáns Zaun oder für das Verständnis von Gewaltenteilung polnischer Nationalisten.

Der Instinkt für die neue Unsicherheit hat die Europäer nicht erst an jenem Tag überwältigt, an dem Donald Trump zum Präsidenten gewählt wurde. Gleichwohl hat diese Wahl das Gefühl der Auflösung nur verstärkt. Obwohl Trump noch keine belastbare Entscheidung gefällt hat (und wohl sehr erratisch regieren wird), bleibt in seinem Weltverständnis nicht viel Platz für Bündnisse und Gemeinschaften. Sein Isolationismus ist aggressiv und altbacken, was in Europa berechtigte Fragen über den wichtigsten Bündnispartner aufwirft.

Die Entfremdung zwischen den USA und Europa ist wechselseitig

In der außenpolitischen Logik Europas sind die USA schon seit einiger Zeit keine dominierende Größe mehr. Seit dem Irak-Krieg von George W. Bush und dem Aufstieg der Neocons triftet die Weltsicht in Washington und den europäischen Hauptstädten auseinander, bis hin zum Zusammenbruch der Kommunikation. Unter Barack Obama rückten beide Seiten wieder ein bisschen zusammen, allerdings mit der klaren Ansage aus den USA, dass diese Weltregion jenseits des Atlantiks doch bitte selbst für sich sorgen möge. Obama überließ das russische Problem den Europäern, genauso wie er offenbar den neuen türkischen Autokratismus nicht als Bündnisbeschwernis sah.

Die Entfremdung ist wechselseitig: Die Fixierung mitteleuropäischer Staaten auf die USA schwindet, der klassische Antiamerikanismus wird langweilig und nur den ganz Rechten und Linken zum Problem, weil sie im Präsidenten plötzlich einen Geistesbruder und kein Feindbild mehr haben.

Die Liste ist erweiterbar - und sie spiegelt eine Realität wider, die bei vielen erst mit dem Namen Trump ankommen wird: Europa lebt in einer neuen bündnispolitischen Zeitrechnung, sowohl was seine sicherheitspolitische Allianz mit den USA angeht, als auch was seinen inneren Zusammenhalt betrifft. Die ätzende Wirkung des Brexit wird noch zu spüren sein. Und der lustvolle Gebrauch des Feindbildes Deutschland/Merkel in den Wahlkämpfen in Österreich oder Italien etwa lässt Schauriges ahnen.

Bringt die EU die Kraft auf, ihr eigenes Bündnis als Chance zu sehen?

Jetzt kommt es darauf an, was Europa mit seinem Sicherheitsdefizit anstellt. Es hilft wenig, den Bruch mit Trumps Amerika zu verlangen, die Allianz zerbröselt längst schon. Umgekehrt wird auch die Unterwerfungsgeste eines Horst Seehofers oder eines Nigel Farage keine neue Liebe entflammen. Die Lösung liegt in Europa selbst: Bringt die EU die Kraft auf, ihr eigenes Bündnis als Chance zu sehen?

Die Erfahrung macht wenig Hoffnung. Natürlich wird es keine EU-Armee jenseits aller nationalen Souveränitäten geben. Aber ein bisschen Koordination? Gemeinsame Rüstungsbeschaffung zwecks effizienterer Verteidigungsbudgets? Gar eine europäisch finanzierte Forschung - etwa zur Abwehr von Cyber-Angriffen, die ja auch nicht am Schlagbaum enden? Ein Signal der Versicherung gegen das Gefühl der Unsicherheit? Eine gute Sicherheitspolitik wäre auf alle Unsicherheiten vorbereitet. Bei Europa wäre man schon mit weniger glücklich.

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