Nato-Einsatz in Afghanistan:Das Scheitern des Westens

Man mache sich nichts vor: Der Westen kann in Afghanistan nicht gewinnen. Von Anfang an wurden zwei gravierende Fehler gemacht - auf die auch die neue Nato-Strategie keine Antwort gibt.

Herfried Münkler

Parallel zu den Nachrichten über eine sich rapide verschlechternde Sicherheitslage in Afghanistan hat die Debatte über einen Strategiewechsel des Westens am Hindukusch eingesetzt: Die wachsende Aktivität der Taliban vor allem im Süden und Osten des Landes soll in zwei Schritten eingedämmt werden.

Nato-Einsatz in Afghanistan: US-Truppen in Afghanistan: Eine militärische Niederlage kann noch vermieden werden, doch das bedeutet keinen politischen Sieg.

US-Truppen in Afghanistan: Eine militärische Niederlage kann noch vermieden werden, doch das bedeutet keinen politischen Sieg.

(Foto: Foto: AFP)

Zum einen wird die Stärke der Kampftruppen deutlich angehoben. Zum anderen soll die zivile Komponente der Stabilisierungsbemühungen verstärkt werden. Eine wirkliche Antwort auf die inzwischen immer bedrängender werdende Frage, ob und wie die hochgesteckten Ziele des Afghanistaneinsatzes erreicht werden können, bietet dieser Strategiewechsel nicht.

Das Grundproblem Afghanistans, die Entwicklung einer stabilen Friedensökonomie und die Herausbildung einer leidlich korruptionsresistenten Elite, wird damit nicht angegangen. Der Strategiewechsel kann dafür sorgen, dass die Nato-Truppen in Afghanistan den Krieg militärisch nicht verlieren. Aber er wird kaum dazu führen, dass sie ihn politisch gewinnen.

Unter den zwei genannten Defiziten, der Frage nach korruptionsresistenten Eliten und dem Erfordernis einer regulären Friedensökonomie, leidet die Afghanistanstrategie des Westens von Anfang an. Man hat auf der Petersberger Konferenz beide Probleme weitgehend ausgeklammert und darauf vertraut, dass sie sich mit der Vertreibung der Taliban und entsprechender wirtschaftlicher Hilfe aus dem Westen von selbst lösen würden. Das aber war eine Fehlkalkulation.

Man mag sie dem überstürzten Ablauf der Ereignisse im Winter 2001/2002 zuschreiben, aber auch dann wird man nicht umhinkommen, zwei gravierende Fehler zu konstatieren, die bei der Konzipierung der Afghanistanstrategie gemacht worden sind: einerseits der Kaprizierung auf den religiösen Extremismus und andererseits der weitgehende Verzicht auf eine gründliche Analyse des vorangegangenen sowjetischen Scheiterns am Hindukusch.

Irgendwann festigte sich die Vorstellung, bei den Taliban handele es sich um eine in den pakistanischen Madrassen ausgebildete religiös-extremistische Besatzungsarmee, die nur vertrieben werden müsse, um die Möglichkeit eines friedlichen Zusammenlebens und ökonomischer Prosperität in Afghanistan freizulegen.

Dass die Sowjets in Afghanistan gescheitert waren, wurde kurzerhand damit erklärt, dass sie die Unfreiheit mit sich gebracht hätten und damit auf den erbitterten Widerstrand eines freiheitsliebenden Volkes gestoßen seien.

Das sowjetische Scheitern

Man hätte es besser wissen können. Die Rolle der Sowjets in Afghanistan war nämlich zunächst die eines Unterstützers bei der sozialen und kulturellen Modernisierung des Landes.

Die nach dem Sturz des Königs in Kabul an die Macht gelangten Regierungen hatten dem Land eine beschleunigte Modernisierung verordnet, mit der die traditionellen Mentalitäten und sozialen Gepflogenheiten der Gesellschaft aufgebrochen werden sollten. Aber die Kabuler Modernisierungsdiktatur stieß auf den erbitterten Widerstand der Landbevölkerung.

Um das Scheitern der bündnispolitisch eher an Moskau als am Westen orientierten Modernisierer zu verhindern, ließ sich der Kreml zur militärischen Intervention verleiten. Dabei hatte man den Widerstand gegen die angestrebte Revolutionierung der gesellschaftlichen Strukturen unterschätzt.

Afghanische Illusionen

Als die Sowjets nach zehn Jahren abzogen, hatten sie nicht nur sich selbst erschöpft, sondern hinterließen auch ein sozial und wirtschaftlich ruiniertes Land, in dem der Krieg der Clans und Parteien unvermindert weiterging. Bei Lichte besehen waren die Chancen für eine Pazifizierung der afghanischen Gesellschaft zu Beginn des Jahres 2002 sogar um einiges schlechter, als sie dies zu Beginn der sowjetischen Intervention gewesen waren.

Dementsprechend größer und klüger mussten die Anstrengungen des Westens sein, wenn man Erfolg haben wollte. Die wirtschaftlichen und administrativen Eliten, die es nämlich 1980 in Afghanistan noch gab, waren inzwischen dem Bürgerkrieg zum Opfer gefallen, getötet worden oder hatten sich ins Exil abgesetzt.

Symbol Burka

Mit ihrem Reimport die Lage in den Griff bekommen zu wollen, war ein wahrhaft kühner Plan, dessen grundsätzliche strategische Schwäche nur dann nicht auffiel, wenn man die afghanische Herausforderung als eine des religiösen Extremismus und die Taliban als Besatzungsarmee begriff, mit deren Vertreibung sich alles zum Guten wenden würde.

Zu den afghanischen Illusionen haben freilich auch die Kritiker der Militärintervention das Ihre beigetragen, indem sie die Möglichkeiten eines militärischen Gegenhandelns der Taliban übertrieben und einen schon bald einsetzenden Partisanenkrieg in dem schwer zugänglichen Gebiet vorhersagten.

Auch sie konzentrierten sich also auf militärische Fragen und ließen die sozialen und wirtschaftlichen Probleme weithin außer Acht. Gleichzeitig entfaltete sich in den westlichen Gesellschaften eine Diskussion über die normativen Zwecke der Intervention, die im Ergebnis auf eine sehr viel radikalere Umgestaltung der afghanischen Gesellschaft hinauslaufen sollte, als dies die gescheiterten Sowjets beabsichtigt hatten.

Symbol dieser Normüberdehnung wurde die Burka, die den gesamten Körper bedeckende Bekleidung der Frauen, die nur einen Sehschlitz offenließ. Sie zumindest aus dem Straßenbild Kabuls verschwinden zu lassen, wurde zu einer der Interventionslegitimationen, mit denen auch die politische Linke für die Verteidigung Deutschlands am Hindukusch motiviert werden sollte - zusätzlich zum Versprechen einer Demokratisierung des Landes.

An diesen Vorgaben gemessen ist der Afghanistankrieg verloren. Die Chance, das Land in absehbarer Zeit nicht als Verlierer verlassen zu müssen, besteht allein in der Normabrüstung des Westens. Wir sollten zufrieden sein, wenn die bloße Stabilisierung gelingt.

Pakistans Schlüsselrolle

In militärischer Hinsicht wird es darauf ankommen, die lange "offene" Grenze zu Pakistan unter Kontrolle zu bekommen. Solange die Taliban im afghanisch-pakistanischen Grenzland Rückzugsgebiete sowie Versorgungs- und Rekrutierungsbasen besitzen, werden ihnen immer wieder neue Kräfte zuwachsen.

Der Schlüssel für die Stabilisierung Afghanistans liegt in Pakistan, und vermutlich hat er schon immer dort gelegen. Ein Strategiewechsel, der Aussichten auf Erfolg haben soll, muss dies berücksichtigen.

Das pakistanische Grenzgebiet zu pazifizieren wird jedoch große Klugheit und viel Geld erfordern. Die bislang von Seiten der Amerikaner geübte Praxis, mit gelegentlichen Militärschlägen die dortigen Taliban-Zentren zu attackieren, dürfte eher kontraproduktiv sein.

Es geht nicht darum, den Krieg auszuweiten, sondern das Gebiet, auf dem gekämpft wird, zu begrenzen und abzuriegeln. Der Strategiewechsel sieht einen stärkeren Einbezug der Nachbarländer vor. Das ist tatsächlich neu.

Problem Drogenökonomie

Nato-Einsatz in Afghanistan: Der Politologe Herfried Münkler wendet sich gegen die Illusionen des Westens in Afghanistan.

Der Politologe Herfried Münkler wendet sich gegen die Illusionen des Westens in Afghanistan.

(Foto: Foto: dpa)

Eine mindestens ebenso große, wenn nicht gar größere Herausforderung ist die Umstellung der irregulären Ökonomie der Drogen und des Schmuggels auf eine stabile Friedensökonomie. Wie das zu bewerkstelligen ist, ist eine offene Frage, und bislang ist nicht erkennbar, welche Antwort der Westen darauf geben will.

Die bisherige Praxis, das Problem weitgehend zu ignorieren, lässt sich nicht fortsetzen, wenn man Afghanistan stabilisieren will. Aber auch die Idee, mit Napalm die der Opiumgewinnung dienenden Mohnfelder zu vernichten, ist kaum überzeugend, da man auf diese Weise einen erheblichen Teil der Bauern definitiv in die Arme der Taliban treiben würde.

Ohne Mohn kein Geld

Wie heikel die Bekämpfung von Drogenökonomien ist, haben unterschiedliche US-Administrationen in Kolumbien erfahren müssen. Der Hebel dürfte darin liegen, den agrarischen Produzenten alternative Perspektiven zu eröffnen. Das wird freilich nicht verhindern können, dass die Hauptprofiteure der Drogenökonomie, die Händler und Warlords, mit verstärkten Angriffen gegen die westlichen Soldaten vorgehen, um sie aus dem Projekt der ökonomischen Konversion herauszudrängen.

Wenn der Westen hier zurückschreckt, hat er verloren. Wenn die Verstärkung der Kampftruppen eine Vorbereitung auf diese Auseinandersetzung ist, hat sie einen Sinn. Aber man muss sich darüber im Klaren sein, dass die in den Drogenhandel involvierten Warlords den Interventionstruppen erheblich schwerere Verluste zufügen können als die eigentlichen Taliban.

Es ist ein Charakteristikum der "neuen Kriege", dass Erwerbsleben und Gewaltpraxis ineinanderfließen und partisanische Operationen von organisierter Kriminalität nicht immer klar zu unterscheiden sind.

Man kann jedoch die Frage der sozio-ökonomischen Grundlagen Afghanistans nicht unerledigt lassen: wegen der zentrifugalen Loyalitäten nicht, die aus der irregulären Ökonomie erwachsen, und auch nicht wegen der fehlenden Steuereinnahmen, die dazu führen, dass der afghanische Staat sein administratives, polizeiliches und militärisches Personal nicht angemessen bezahlen kann, um von ihnen Korruptionsresistenz erwarten zu können.

Man hatte gehofft, diese Lücke durch zeitweilige Finanzspritzen aus dem Westen schließen zu können, aber die waren nicht groß genug oder sind ihrerseits von den korrupten Eliten angeeignet worden, und vor allem stellt dies keine dauerhafte Lösung dar. Wer sich nicht zutraut, das Problem der Drogenökonomie anzugehen, sollte eher heute als morgen über eine Exit-Strategie nachdenken.

Der Staat ist keine Perspektive

Offenbar zählen nach wie vor Stammesbindungen und Clanbeziehungen mehr als die Ordnung des Staates. Es wird kaum möglich sein, in der verbleibenden Zeit des Afghanistaneinsatzes dieses Problem effektiv anzugehen. Also wird man, wie dies der US-General Petraeus im Irak erfolgreich praktiziert hat, auch hier auf ein Bündnis mit den Clans und Stämmen setzen müssen.

Das aber heißt, dass man das westliche Modell von Staatlichkeit als Perspektive aufgeben muss, und das wird Folgen für die Polizeiausbildung haben, um die sich unter anderem die Deutschen kümmern.

Eine Strategie der bloßen Stabilisierung Afghanistans wird jedenfalls ganz anders aussehen als das ursprüngliche Konzept, das auf politische Demokratisierung und gesellschaftliche Modernisierung setzte. Insofern ist der jetzt angekündigte Strategiewechsel selbst eine kleine Exit-Strategie: die aus dem normativen Überschwang der ersten Jahre.

Der Autor lehrt Politologie an der Humboldt-Universität in Berlin. Für seine Monographie "Die Deutschen und ihre Mythen" erhielt er im März den Preis der Leipziger Buchmesse.

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