Wahlsieger in Österreich:Die Mission des Sebastian Kurz

Sebastian Kurz ist angetreten, Österreichs altes politisches System aufzubrechen. Der junge Konservative kann sich selbst gut verkaufen - aber kann er als Kanzler auch das Land voranbringen?

Porträt von Peter Münch, Wien

Stahlblau ist der Himmel und berechtigt zu den schönsten Hoffnungen, als Sebastian Kurz am Sonntagmorgen um halb zwölf in seinem Heimatbezirk Wien-Meidling zur Wahl geht. An der Hand hält er die Freundin Susanne Thier, ein bisschen nervös ist er vielleicht, weil er zuerst zum falschen Wahllokal abbiegt. Aber er lächelt wie immer, und im glatten Gesicht zeigt sich keine Spur von den Anstrengungen eines enorm harten, langen Wahlkampfs. Der Auftritt gehört zum Programm: Wer das Land verändern will, muss mit frischer Kraft ans Werk gehen.

Als um 17 Uhr die ersten Hochrechnungen vorliegen, zeigt sich, dass der Plan aufgegangen ist: Platz eins für Kurz und seine "neue Volkspartei". Nun hat er beste Aussichten, der jüngste Regierungschef in Europa zu werden.

Österreichs Wähler haben, Überraschungen bei der Koalitionsbildung einmal ausgeschlossen, die Zukunft ihres Landes in die Hände dieses 31-Jährigen gelegt, der noch jünger aussieht, wenn er vor einem steht, und älter wirkt, je länger man ihm zuhört. Einen Eilmarsch durch die Institutionen hat er längst hinter sich. Niemand kann ihm Erfahrung absprechen nach sieben Jahren im Kabinett. Und jeder weiß um seinen Machtinstinkt, den als Erstes die eigene Partei zu spüren bekommen hat. In den Iden des Mai hat er sie im Handstreich übernommen, um danach sogleich die große Koalition mit der SPÖ aufzukündigen und Neuwahlen zu erzwingen. Doch nun wird er beweisen müssen, dass er nicht nur sich selbst gut verkaufen, sondern auch das Land voranbringen kann.

Unterschätzen sollte ihn gewiss niemand. Sebastian Kurz ist ein Stratege, der nichts dem Zufall überlässt. Vertrauen ist gut, Kontrolle gefällt ihm besser. Was er nicht weiß, das lernt er schnell und gründlich. Er lässt sich meist gut beraten und gilt als Zuhörer, der Ideen aufsaugt, um sie bei Bedarf zu seinen eigenen zu machen.

Das Kanzleramt als logische Fortentwicklung

Als er 2013 zum Außenminister berufen wurde, da hatte er keinerlei diplomatische Erfahrung, sieht man einmal von einem wenige Jahre zuvor absolvierten Praktikum an der österreichischen Botschaft in Washington ab. Doch schon nach kürzester Zeit wusste er sich in Brüssel oder New York mit den Großen auf Augenhöhe zu inszenieren.

Das Kanzleramt erscheint da nur als logische Fortentwicklung, und dass die Erwartungen an ihn nun riesengroß sind, ist am Jubel abzulesen, der nach der ersten Hochrechnung unter seinen Anhängern ausbricht, die sich im Wiener "Kursalon Hübner" versammelt haben. Hier gilt "der Sebastian" als Lichtgestalt, und den Mythos hat er selbst nach Kräften befördert mit markigen Ankündigungen: "Ich habe den festen Willen, das alte System aufzubrechen." Vom Wahlerfolg fühlt er sich nun bestätigt. "Das Ergebnis ist ein Auftrag zur Veränderung des Landes", sagt er am Abend - und lässt sich feiern für ein "historisches Ergebnis".

Das klingt nach radikalem Aufbruch, und vor allem klingt es nach Emmanuel Macron. Bei dessen erfolgreicher Wahlkampagne in Frankreich haben sich Kurz und sein Team viel abgeschaut - angefangen damit, dass statt der alten Österreichischen Volkspartei nun die "Liste Sebastian Kurz" zur Wahl angetreten ist.

"Von 'En Marche' in Frankreich zu 'Gemma' in Österreich - so einfach ist das allerdings nicht", merkt der Wiener Politikberater Thomas Hofer an. Kurz habe "auf der symbolischen Ebene viel gemacht", zum Beispiel die Parteifarbe von Schwarz zu Türkis verändert. Die alten Strukturen der Partei mit den Bünden und Landesfürsten bestehe aber weiter. "Den Kotau hat die Partei vor ihm nur gemacht, weil er ihr letzter Hoffnungsanker ist", meint Hofer.

Die Hoffnungen hat er nun erfüllt, und die Politik wurde dabei in solcher Wucht personalisiert, dass kaum einer mehr auf die Idee kommt, in Kurz vielleicht doch noch einen Vertreter jener ÖVP zu sehen, die seit 31 Jahren ununterbrochen in der Regierung sitzt.

"Machen wir es wie die Deutschen", hat er gesagt

Für Politik als Personality Show eignet er sich tatsächlich ideal: Enorm selbstbewusst kommt er daher und doch so bescheiden, dass er als Außenminister seine Dienstflüge in Linienmaschinen absolviert, Economy natürlich. Freundlich ist er, aber bestimmt; zielstrebig und trotzdem von gewisser Lässigkeit. Nie verliert er öffentlich die Contenance. Er inszeniert sich als politischer Popstar, aber als einer mit Bodenhaftung, aufgewachsen in Wien mit bürgerlichem Elternhaus, dazu noch mit echtem Stallgeruch vom Bauernhof der Großeltern in Zogelsdorf. So einer spricht alle an. Die Zeitschrift Profil nennt ihn die "zarteste Versuchung", wohl seit es Populismus gibt.

Die Frage, ob er modern ist oder konservativ, rechts oder mittig, die hat Sebastian Kurz längst schon für irrelevant erklärt. Für ihn seien das Denkmuster aus dem vorigen Jahrhundert, betont er. Weil die Wähler allerdings zumeist auch aus diesem Jahrhundert stammen, hat er sich im Wahlkampf dann doch weit rechts positioniert. Ziemlich genau dort, wo sich sonst die FPÖ schön heimatlich eingerichtet hat. Denn mit der Warnung vor Migrantenmassen lassen sich auch in Österreich leicht Stimmen gewinnen.

Dabei kann keiner Kurz vorhalten, er hätte das Thema erst neu entdeckt. Im Gegenteil: Es begleitet ihn seit seinem Einstieg in die große Politik. Als er 2011 mit 24 Jahren zum Staatssekretär für Integration berufen wurde und dafür sein Jurastudium abbrach, macht er allerdings nicht mit kernigen Parolen, sondern mit solider Sacharbeit auf sich aufmerksam. "Integration durch Leistung" war sein Motto. Er machte sich für Sprachförderung in Kindergärten und für die schnellere Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse stark.

Doch im Sommer 2015, als die Flüchtlingskrise über Europa hereinbrach, änderte Kurz den Kurs. In der Regierung war er nun die treibende Kraft dafür, dass Österreich Obergrenzen für die Aufnahme von Asylbewerbern einführte. Bald darauf lud er die Vertreter einiger Balkanstaaten nach Wien ein, um mit ihnen gemeinsam und ohne Absprache mit der EU die Grenzen auf dieser Flüchtlingsroute zu schließen. Nun propagiert er dazu noch die Schließung der Mittelmeerroute. Flüchtlinge sollen auf hoher See abgefangen und zurückgeschickt oder auf Inseln interniert werden.

Angespanntes Verhältnis zu Merkel

Das Verhältnis von Kurz zur deutschen Kanzlerin Angela Merkel gilt seit der Flüchtlingskrise als angespannt. Doch künftig dürften es die beiden deutlich öfter miteinander zu tun bekommen. Auf die Interview-Frage, ob er manchmal Angst vor Merkel habe, antwortete Kurz: "Bis jetzt noch nicht." Ohne Umschweife aber räumt er ein, dass es Meinungsverschiedenheiten "in einigen Fragen" gegeben habe. "Mal schauen, was dann auf mich zukommt", sagte er noch mit Blick nach vorn.

Nun muss er aber erst einmal zu Hause Koalitionspartner finden. Wenn er dann am Ende Kanzler wird, will er sich in einer Sache immerhin an Merkel orientieren. Im Wahlkampf hat er gefordert, dass wie in Berlin künftig auch in Wien der Regierungschef eine "Richtlinienkompetenz" bekommen soll, damit er das Kabinett straffer führen und klarer entscheiden könne. "Machen wir es wie die Deutschen", hat er gesagt, "die sind erfolgreich."

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