Nationalismus in Finnland:Was tun gegen den Rechtsruck in Europa

-

Timo Soini, Chef der Partei "Die Finnen" (vormals "Wahre Finnen") bei einer Wahlkampfveranstaltung 2011. Bei den Parlamentswahlen erhielt die Partei 19,1 Prozent der Stimmen.

(Foto: AFP)

Zuwanderung begrenzen, Homo-Ehe verhindern und das "Übel EU": Fast ein Fünftel der finnischen Wähler unterstützt das Programm der rechtspopulistischen "Basisfinnen". Aus Entsetzen über die Radikalisierung verbringt unsere Autorin nun ihre Freizeit damit, junge Menschen für Europa zu begeistern.

Ein Gastbeitrag von Sandra Grindgärds

Die Finnin Sandra Grindgärds, 27, ist Generalsekretärin der Svensk Ungdom, der Jugendorganisation der Schwedischen Volkspartei, in Finnland. Sie hat einen Master in Politikwissenschaften, war Praktikantin beim Europäischen Parlament und der Tanzania Women Cross-Party Platform in Dar es Salaam.

Bei den finnischen Parlamentswahlen im April 2011 ist etwas mit meinem Land passiert. Es war Frühling und ich genoss gerade als Erasmus-Studentin im französischen Rennes die beste Zeit meines Lebens.

Am Wahlabend erklärte ich meinen Freunden, dass ich zu Hause bleiben müsse. Ich wollte den Wahlausgang verfolgen, was die meisten nicht verstehen konnten. Da ist mir klar geworden, dass es bei jungen Europäern nicht üblich ist, sich für Politik zu interessieren. Ich gehöre zu den zwei Prozent junger Menschen in Europa, die Mitglied einer politischen Partei sind.

Das finnische Wahlergebnis war schockierend. Die "Wahren Finnen" hatten gewonnen - eine populistische und nationalistische Partei, deren Werte zu mir und meiner Partei, der Schwedischen Volkspartei, in starkem Widerspruch stehen. In meinem Land hat sich ein radikaler Wandel vollzogen. Vielleicht gab es dieses Phänomen vorher schon, aber nun wurde es offiziell. Plötzlich kam ich aus einem Land, in dem 19,1 Prozent der Wähler Nationalismus und Populismus unterstützen, Zuwanderung begrenzen wollen, die Homo-Ehe ablehnen und die EU als Übel sehen.

Ein Fünftel der Wähler stimmte mit den Positionen der Basisfinnen (so nennt sich die Partei heute, Anm. der Redaktion) überein, die nicht nur rassistische Handlungen dulden, sondern auch die schwedisch-sprechende Minderheit in Finnland in Frage stellen, der ich angehöre. Sie befürworten Maßnahmen, die den Status meiner Muttersprache Schwedisch schwächen würden, die eine der beiden Nationalsprachen Finnlands ist.

Viele Finnen stellen mein Recht in Frage, in meinem Land zu leben

Der steigende Nationalismus in Finnland war für mich nicht nur ein gesellschaftliches Phänomen, sondern ich war auch persönlich betroffen. Meine Muttersprache ist für mich etwas mehr als nur die Sprache, die ich spreche. Sie ist Teil meiner Identität und Kultur. Als sich am Wahlergebnis abzeichnete, dass viele Finnen mein Recht in Frage stellen, in meinem Land zu leben, war ich enttäuscht und erkannte meine Heimat nicht wieder.

Ich hatte das starke Bedürfnis, mich zu engagieren und den Wählern der Basisfinnen sowie dem Rest Finnlands und Europas zu erklären, dass Rassismus, Nationalismus und Isolation keine Lösung für die wirtschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit sind. Zurück in Finnland wurde ich Vizechefin der Jugendorganisation meiner Partei.

Unserem Eindruck nach war unsere Rolle als sozialliberaler und proeuropäischer Akteur für Finnlands Politik wichtiger als je zuvor. Wähler verschiedener Parteien hatten für die Nationalisten gestimmt, aber auch viele Menschen, die sonst nicht wählen gehen. Unsere Aufmerksamkeit muss besonders jungen Menschen gelten.

In drei Wochen wählen Europäer die Abgeordneten des neuen Europaparlaments. Umfragen deuten erneut auf große Unterstützung für nationalistische Parteien in ganz Europa hin, in meinem Land gehen die Umfragen von 15 bis 17 Prozent für die rechtspopulistischen Basisfinnen aus.

Der typische Wähler der Basisfinnen ist männlich, älter als 60 Jahre, vom Land kommend und Vertreter der Arbeiterklasse. Allerdings haben bei den letzten Wahlen haben junge Menschen Finnen gewählt, wie eine Analyse der Organisation Counterpoint zeigt.

2011 ist die Unterstützung für die Basisfinnen bei jungen Menschen genauso stark gestiegen wie die Unterstützung für diese Partei insgesamt. Gleichwohl sind die Basisfinnen auch eine der Parteien, die von jungen Menschen in Finnland am kritischsten beurteilt werden.

Es ist sehr wichtig, dass diese jungen Menschen Ende Mai wählen gehen, um ihre Unterstützung für die EU zu signalisieren. Junge Menschen sind von der Wirtschaftskrise am stärksten betroffen. Die gegenwärtige Situation führt zu Frustration, auf die die Nationalisten mit vereinfachenden Lösungen für komplexe Probleme reagieren. Arbeitslosigkeit und Arbeitsplatzunsicherheit gelten als Hauptfaktoren für den Zuwachs populistischer Bewegungen in Finnland.

Wahlbeteiligung der Jungen muss erhöht werden

Wie kann die Wahlbeteiligung junger Finnen erhöht werden? Zunächst sollte es junge Kandidaten auf den Wahllisten geben, die mit entsprechenden Ressourcen ausgestattet, einen glaubwürdigen Wahlkampf führen können. Meiner Jugendorganisation ist es gelungen, drei exzellente junge Kandidaten aufzustellen und Ressourcen für einen aktiven Wahlkampf bereitzustellen.

Um junge Menschen zum Wählen zu bewegen, müssen zudem Themen diskutiert werden, die sie interessieren. Und junge Leute müssen die Gelegenheit haben, sich als Kandidaten oder Aktive in den Wahlkampf einzubringen.

Als junger Kandidat muss man die Wähler viel stärker davon überzeugen, erfahren und kompetent zu sein als dies bei älteren Kandidaten der Fall ist. Aus diesem Grund benötigen junge Kandidaten auch stärkere politische Unterstützung. Wir haben ein EU-Wahlprogramm verabschiedet, das von jungen Menschen erarbeitet wurde. In diesem Programm haben wir den Schwerpunkt auf Themen gelegt, die für junge Menschen relevant sind, aber wir präsentieren auch unsere Vorstellung von der Zukunft der EU.

Um unsere politischen Positionen zu kommunizieren, haben wir eine Kampagne unter dem Motto "Wir gestalten die EU" gestartet. Wir junge Menschen gestalten eine EU, die wir als noch nicht fertig ansehen. Wir haben eine Webseite erstellt, auf der Informationen über unsere Kandidaten, unsere europäischen Positionen und Informationen über Abstimmungsmodalitäten zu finden sind.

Wir haben zudem Wahlwerbespots produziert, die wir über Social Media verbreiten, eines unserer wichtigsten Instrumente im Wahlkampf. Einige Wahlwerbespots haben wir mit der ersten Europaabgeordneten unserer Partei und späteren Ministerin Elisabeth Rehn gedreht, eine auf nationaler wie internationaler Ebene anerkannte Politikerin. In diesen Spots interviewt Rehn unsere Kandidaten und sagt ihnen ihre Unterstützung zu.

Wir brauchen die EU heutzutage genauso wie vor 50 Jahren

Im letzten Monat des Wahlkampfs gehen wir auch auf Tour durch Finnland und besuchen verschiedene Orte mit dem Ziel, junge Menschen zu erreichen. Zusätzlich zu den Aktivitäten der Parteien zur Einbindung junger Menschen in den Wahlkampf spielen die Medien eine wichtige Rolle bei der Mobilisierung der Jugend. Es ist wichtig, dass sie junge Kandidaten in ihrer Wahlberichterstattung berücksichtigen, über sie berichten und relevante Themen für junge Menschen hervorheben.

Politiker haben es versäumt, die Fragen anzugehen, mit deren Hilfe die Nationalisten stark geworden sind. Um Nationalismus und Populismus zu bekämpfen, müssen wir jungen und alten Wählern versichern, dass die Wahl des europäischen Weges zu Stabilität und Sicherheit beitragen wird.

Meiner Meinung nach brauchen wir die EU heutzutage genauso wie vor 50 Jahren. Die EU wurde geschaffen, um Stabilität und Frieden in Europa zu schaffen. Diese europäischen Kernwerte sind auch heute noch wichtig und müssen permanent betont werden. Als Politiker müssen wir unsere Kommunikation über europäische Politik verbessern, gleichzeitig muss aber auch das Allgemeinwissen über die EU erhöht werden.

In ganz Europa müssen nationalistische und rassistische Bewegungen bekämpft werden, bevor sie sich etablieren, Teil unserer politischen Kultur werden und unsere gemeinsame europäische Zukunft gefährden. Zudem müssen Politiker - Parteivorsitzende, Minister und Abgeordnete - populistischen Politikern deutlich widersprechen.

Das Erstarken des Nationalismus in meinem Land sowie in Europa allgemein macht mir Sorgen. Ich möchte auch in Zukunft in Finnland meine Muttersprache sprechen können und Menschen verschiedener Herkunft in meinem Land und meinem Europa willkommen heißen.

Dieser Artikel erscheint im Rahmen der Kooperation "Mein Europa" von Süddeutsche.de mit dem Projekt FutureLab Europe der Körber-Stiftung. Bis zur Europawahl Ende Mai werden in der Serie junge Europäer zu Wort kommen - streitbar, provokativ und vielfältig.

An English version of the text will soon be available at the website of FutureLab Europe.

Übersetzung: Dorothea Jestädt

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: