Nationalismus :Identität durch Feindschaft

Ein baskisches Lehrstück über die Entstehung des Nationalismus und unter welchen Umständen es dazu kam.

Von Sebastian Schoepp

Entgegen einer weitverbreiteten Annahme ist der Nationalismus, ähnlich wie der Kapitalismus, nichts, was zum Menschen dazugehören würde wie der morgendliche Gang zur Toilette - auch wenn sowohl Kapitalisten wie Nationalisten stets versuchen, den Eindruck zu erwecken, es wäre so. Beides sind Erfindungen des 19. Jahrhunderts. Ein kleines Laboratorium, an Hand dessen man die Entstehung von Nationalismus wie unter dem Mikroskop studieren kann, ist das Baskenland: Eine grüne, windige Region am Rande Europas, ausgestattet mit einer so rätselhaften wie schwer zu erlernenden Sprache sowie einem ausgeprägten Bewusstsein ethnischer Besonderheit, die sogar in den Terrorismus führte. Wie dieses Bewusstsein entstanden ist, beschreibt Ibon Zubiaur, jahrelang Leiter des Münchner Instituto Cervantes und Übersetzer deutscher Lyrik ins Spanische.

Zubiaur ist in Getxo bei Bilbao geboren und sozialisiert, er wurde in der Schule auf Baskisch unterrichtet. Ist er deshalb Baske? Aus der Sicht baskischer Nationalisten sind Geburt und Sprache zwar zwingende Bestandteile des Baskentums. Sie reichen aber nicht aus, einen zum Basken zu machen. Dies sei "eine Qualität des Seins, die man sich erst verdienen muss - und die man auch wieder verlieren kann", schreibt Zubiaur. Vieles spricht dafür, dass der Autor mit diesem bei Berenberg erschienen Büchlein sein Baskentum in den Augen radikaler Separatisten in Gefahr bringt.

Zubiaur schildert, wie ein einziger Mann eine "exotische Nation" erfand: Der Nationalist Sabino Arana dachte sich im 19. Jahrhundert nicht nur Fahne, Hymne und baskische Vornamen aus, sondern sogar einen Teil des baskischen Vokabulars, weil "die Basken längst selber angefangen hatten, die alte Sprache zu verdrängen". Doch ging es Arana laut Zubiaur weniger um den Erhalt der Sprache als Kommunikationsmittel, sondern als Abgrenzungsmerkmal zu Madrid, "wo man ja bekanntlich nichts besseres zu tun hat, als uns Basken misszuverstehen und zu diskreditieren".

Der baskische Nationalismus, so wie ihn Zubiaur beschreibt, ist ein Lehrstück darüber, wie radikale Identitisten es erreichen, Selbstverständnis auf Abgrenzung und Feindschaft aufzubauen - ein Phänomen, das gerade in Europa ja an vielen Orten in Form eines neuen Rechtspopulismus Auferstehung feiert. Das Baskenland kann auch als Lehrbeispiel dienen, wie man solchen Radikalismus wieder einfängt. Denn in letzter Zeit besinnen sich die Basken zunehmend darauf, dass ihnen ja doch greifbarere Dinge zur Identitätsfindung zur Verfügung stehen als die diffuse Blut- und Boden-Ideologie, die der irrlichternde Arana einst schuf.

Zubiaur erinnert daran, dass das Baskenland eine der reichsten Regionen Europas ist, deren Schwerindustrie einst 20 Prozent der Weltstahlproduktion lieferte. Ihr technisches und merkantiles Talent hat den Basken Wirtschaftszahlen eingebracht, die weit vor denen der restlichen Regionen Spaniens rangieren. Den Strukturwandel von Stahl und Kohle zu High-Tech haben sie bewältigt, der Terrorismus ist Vergangenheit. Eine Menge Dinge, um stolz zu sein - ganz ohne gewalttätige Absonderung.

Ibon Zubiaur: Wie man Baske wird. Über die Erfindung einer exotischen Nation. Berenberg, Berlin 2015

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