Nahostkonflikt:Schwere Kämpfe im Norden Gazas

Augenzeugen berichten von heftigen Gefechten zwischen israelischen Soldaten und radikalen Palästinensern. Meldungen zufolge erreichen die Kämpfe erstmals dicht besiedelte Wohngebiete. Zahlreiche Menschen fliehen aus dem Norden Gazas. Die Opferzahlen steigen weiter. Israel hat indes Dutzende Hamas-Mitglieder gefangengenommen.

Am zehnten Tag der israelischen Militäroffensive sind schwere Kämpfe zwischen der israelischen Armee und militanten Palästinensern im nördlichen Gaza-Streifen ausgebrochen. Augenzeugen berichteten von Schusswechseln sowie Panzerangriffen. Nach Informationen der Zeitung Jerusalem Post ist die Armee erstmals in dicht besiedelte Wohngebiete nördlich von Gaza-Stadt vorgerückt.

Israelisches Militär, AP

Ein israelischer Soldat hält sich die Ohren zu, während Artillerie auf ein Ziel im Gaza-Streifen feuert.

(Foto: Foto: AP)

Zum ersten Mal seit Beginn der israelischen Bodenoffensive lieferten sich Soldaten und dutzende Kämpfer der Hamas sowie des "Islamischen Dschihad" schwere Kämpfe im Stadtteil Schedschaija, wie palästinensische Augenzeugen und israelische Militärkreise übereinstimmend angaben. Israelische Hubschrauber waren demnach im Einsatz. Die Hamas gab an, Raketen auf mindestens sieben Panzer abgefeuert zu haben.

Wie Augenzeugen weiter berichteten, wurden mehrere Wohnhäuser von Palästinensern zerstört. Sanitäter und Krankenwagen könnten das Gebiet wegen des Panzerbeschusses nicht mehr erreichen, um Verletzte und Tote zu bergen.

Das israelische Militär hat indes nach eigenen Angaben seit Beginn seiner Bodenoffensive Dutzende Mitglieder der radikalislamischen Hamas gefangengenommen. Ein Teil von ihnen sei bereits verhört und nach Israel gebracht worden, sagte ein israelischer Armeesprecher.

Der französische Präsident Nicolas Sarkozy rief zu einer raschen Waffenruhe auf. "Die Gewalt muss aufhören, und die humanitäre Hilfe sollte erleichtert werden. Wir können nicht verstehen, wie eine Demokratie wie Israel erlauben kann, dass die humanitäre Situation in Gaza immer schlechter wird", sagte Sarkozy nach einem Gespräch mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas in Ramallah. Allein eineWaffenruhe würde helfen, den Friedensprozess wieder aufzunehmen.

Zugleich machte Sarkozy die radikalislamische Hamas für das Leiden der Palästinenser im Gazastreifen verantwortlich. "Hamas trägt große Verantwortung für das Leiden der Menschen in Gaza", sagte er. Hamas habe unverantwortlich und unverzeihlich gehandelt, als sie am 19. Dezember die Waffenruhe beendet und mit den Raketenangriffen auf Israel begonnen habe.

Immer mehr zivile Opfer

Trotz der verstärkten internationalen Friedensbemühungen fordert das Blutvergießen im Gaza-Streifen immer mehr zivile Opfer. Am dritten Tag des Vormarsches der israelischen Armee wurden nach Palästinenserangaben bislang 50 Menschen getötet. Unter den Opfern seien auch zwölf Kinder, teilten palästinensische Ärzte mit. In Gaza wurden demnach eine Mutter und ihre vier Kinder getötet, zwei weitere Kinder kamen bei israelischen Luftangriffen in Dschabalija und eines in Seitun, einem Vorort von Gaza, um.

Laut dem Chef des ärztlichen Notdienstes, Muawija Hassanein, sind seit Beginn der israelischen Offensive gegen die radikalislamische Hamas am 27. Dezember insgesamt 555 Palästinenser getötet worden, 2700 weitere wurden verletzt.

Israel hat nach eigenen Angaben bislang einen toten Soldaten zu beklagen. Die israelische Armee will die Zahlen über eigene Verletzte und Tote künftig nur noch einmal täglich am Abend veröffentlichen. Das sei eine neue Politik, sagte eine Armeesprecherin in Tel Aviv. Einen Grund nannte sie nicht. Nach Informationen der israelischen Tageszeitung Haaretz sind seit Beginn der Bodenoffensive bislang ein Armeeangehöriger getötet und 55 weitere verletzt worden.

Israel will internationale Überwachung

Seit Sonntagabend feuerten radikale Palästinenser nach Angaben der israelischen Polizei erneut 24 Raketen auf Israel ab. Seit Beginn der Offensive töteten palästinensische Geschosse vier Israelis und verletzten mehr als 30 weitere.

Israel hatte am Samstagabend nach tagelangen Luftangriffen mit einer Bodenoffensive in dem Palästinensergebiet begonnen. Das Militär will mit seinen Angriffen den anhaltenden Raketenbeschuss aus dem Gaza-Streifen auf Israel beenden.

Um eine Wiederaufrüstung der Hamas zu verhindern, fordet Israel einen internationalen Überwachungsmechanismus. Israel verhandele seit Sonntag mit seinen Verbündeten über eine Waffenruhe im Gazastreifen, sagte Regierungssprecher Mark Regev. Für dauerhafte Ruhe und ein Ende der Raketenabschüsse aus dem Gazastreifen auf Südisrael müssten internationale Akteure eingeschaltet werden und wichtige Aufgaben übernehmen. Israel führt nach Angaben Regevs deshalb Gespräche mit den USA, der EU sowie einigen arabischen Ländern. Es gebe internationale Unterstützung für Israels Ziel, seine Bevölkerung von der tödlichen Angst vor Raketeneinschlägen zu schützen, fuhr Regev fort.

Nach Angaben eines weiteren Regierungsvertreters hat Israel drei "grundlegende Prinzipien" festgelegt, die vor einem Ende seiner Angriffe erfüllt sein müssen: Die Beendigung der Raketenangriffe auf den Süden Israels, die Zerstörung eines Großteils der militärischen Stärke der Hamas sowie die Installation eines Schutzmechanismus' gegen die Wiederaufrüstung der radikalislamischen Organisation.

Dabei will Israel nach Angaben eines weiteren Regierungsvertreters aber keine Verhandlungen mit der Hamas führen, die das Existenzrecht Israels nicht anerkennt.

Auf der nächsten Seite: Hamas-Führer Sahar droht: Es sei legitim, auch israelische Kinder zu töten.

Schwere Kämpfe im Norden Gazas

Erstmals seit Beginn der israelischen Offensive meldet sich Hamas-Führer Mahmud Sahar zu Wort - und kündigt Anschläge auf Israelis weltweit an. Die radikale Palästinensergruppe "Islamischer Dschihad" droht mit blutigen Straßenkämpfen, die Fatah sieht alle Palästinenser "in einem Boot".

Sahar droht mit Anschlägen auf Israelis

Hamas-Führer Mahmud Sahar sagte in seiner ersten Fernsehansprache seit Beginn der israelischen Militäroffensive einen "Sieg" der radikalislamischen Palästinenserorganisation über Israel vorher.

Der bewaffnete Arm der Hamas, die Essedin-el-Kassam-Brigaden, habe gegen die "von der Welt als unbesiegbar geglaubten" israelischen Armee beispielhaft gekämpft. Die Hamas werde daran festhalten, "ganz Palästina zu befreien", hieß es in der Erklärung.

Sahar drohte mit Anschlägen auf israelische Zivilisten und Einrichtungen in der ganzen Welt. Die Tötung von Palästinensern im Gaza-Streifen rechtfertige das Töten von Israelis. Angesichts der israelischen Taten sei es legitim, auch israelische Kinder zu töten, sagte Sahar. Er forderte, die Kämpfer der Hamas sollten "den Feind vernichten". Es blieb indes unklar, wann die am Montag im Hamas-Fernsehen Al Aksa ausgestrahlte Botschaft aufgenommen wurde.

Sahar ist unter den im Gaza-Streifen lebenden Hamas-Führern der einflussreichste. Der politische Hamas-Chef, Chaled Maschaal, lebt im syrischen Damaskus im Exil. Seit Beginn der israelischen Offensive am 27. Dezember war die Hamas-Führung abgetaucht. Sahar gilt als Hintermann der Machtübernahme der Hamas im Gaza-Streifen im Juni 2007.

Der "Islamische Dschihad" drohte Israel indes mit einem blutigen Straßenkampf in den Städten des Gaza-Streifens. Ein Sprecher des militärischen Dschihad-Arms Saraja al-Kuds sagte: "Tausende von Kämpfern stehen auf den Straßen und in den Gassen bereit, um die feindlichen Streitkräfte anzugreifen und zu besiegen."

"Der echte Kampf hat noch nicht begonnen, er wird anfangen, wenn (die israelischen Soldaten) in die Städte vordringen", sagte der Sprecher weiter. In den Reihen der Dschihad-Kämpfer habe es bislang nur minimale Verluste gegeben.

Wegen der schweren Kämpfe im Norden Gazas müssten Dutzende von Menschen ihre Häuser trotz der andauernden israelischen Angriffe aus der Luft und vom Boden verlassen und ihr Leben auf der Flucht gefährden, hieß es. Einwohner von Bet Hanun berichteten, Soldaten hätten sie angewiesen, ihre Häuser zu verlassen und weiter südlich in Richtung der Stadt Gaza zu fliehen.

Fatah: "Wir sitzen jetzt alle in einem Boot"

Die Fatah-Bewegung von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas wehrte sich gegen den Vorwurf, sie wolle die israelische Offensive gegen die Hamas im Gaza-Streifen für eine Rückkehr an die Macht in Gaza nutzen.

"Wir werden nicht die Macht aus den Händen Israels empfangen", sagte Fatah-Mitglied Mohammed Dahlan, der früher als skrupelloser Geheimdienstchef in Gaza die Feindschaft der radikal-islamischen Hamas auf sich gezogen hatte.

"Wir wollen keine Macht, die mit dem Blut von Palästinensern erkauft wurde", sagte er der Deutschen Presse-Agentur dpa am Sonntagabend in einem Telefoninterview. Die Fatah-Bewegung sei bereit, die Vergangenheit zu vergessen, sagte er mit Blick auf die gewaltsame Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen im Juni 2007. "Jetzt sitzen wir alle in einem Boot", fügte Dahlan hinzu.

Der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes, Rudolf Seiters, forderte die Kriegsparteien in Gaza zur Wahrung des Völkerrechts auf. Ein medizinisches Notfallteam des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz habe drei Tage an der Grenze zwischen Israel und Gaza auf die Genehmigung zur Einreise gewartet. Erst am Montag sei diese dann erteilt worden. Das Team soll nun im Shifa Hospital in Gaza-Stadt bei der Behandlung von schwer verletzten Opfern helfen.

Nach Schätzungen halten sich derzeit noch annähernd 100 Bundesbürger im Gazastreifen auf. Bei den meisten handelt es sich um Palästinenser, die auch die deutsche Staatsbürgerschaft haben. Etwa zehn von ihnen sollen bislang vergeblich versucht haben, das Gebiet zu verlassen.

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