Nahostkonflikt:Israels Verteidigungsminister regt Rückzug aus Westjordanland an

Im Alleingang will Ehud Barak Bewegung in den festgefahrenen Friedensprozess bringen. Der israelische Verteidigungsminister sprach sich für den Rückzug aus Teilen des besetzten Westjordanlands und einen provisorischen Palästinenserstaat aus. Für seinen Vorstoß erntet Barak Kritik von allen Seiten. Neben guten Gründen dürfte für ihn auch innenpolitisches Kalkül eine Rolle spielen.

Peter Münch, Tel Aviv

Israels Verteidigungsminister Ehud Barak will im Alleingang Bewegung in den festgefahrenen Friedensprozess bringen. Wenn keine endgültige Einigung mit den Palästinensern zu erzielen sei, müsste Israel auf Interimsabkommen dringen und notfalls auch mit einseitigen Schritten Fakten schaffen, sagte er auf einer Konferenz in Tel Aviv.

Ehud Barak

Der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak hat im Alleingang einen provisorischen Palästinenserstaat angeregt. Dafür sprechen gute politische Gründe - aber auch sein eigenes Machtkalkül.

(Foto: AP)

Er regte dabei einen freiwilligen Rückzug aus Teilen des besetzen Westjordanlands an. Dort könnten die Palästinenser dann ihren eigenen Staat mit zunächst provisorischen Grenzen errichten. Israels Maßgabe müsse es sein, die großen Siedlungsblöcke zu behalten und seine Sicherheitsinteressen zu wahren. "Die Zeit drängt", mahnte Barak, die derzeitige Ruhe sei trügerisch und Israel könne sich "den Luxus eines Stillstands nicht leisten".

Für diesen Vorschlag erntete der Verteidigungsminister sogleich Kritik von allen Seiten - von Regierungskollegen ebenso wie von Siedlern und den Palästinensern. Aus dem Büro von Premierminister Benjamin Netanjahu hieß es, dies sei Baraks "persönliche Meinung", der Regierungschef werde dagegen weiterhin versuchen, die Palästinenser zurück an den Verhandlungstisch zu holen.

Ein Sprecher der Siedlervereinigung lehnte vehement jegliche Aufgabe von Land ab und erinnerte an den einseitigen Rückzug aus dem Gaza-Streifen vor sieben Jahren, der in die Machtübernahme der Hamas und in Raketenbeschuss auf Israel mündete. Vize-Premier Mosche Jaalon warf Barak vor, mit seinem Vorstoß der Verweigerungshaltung von Palästinenser-Präsident Machmud Abbas Vorschub zu leisten. "Er kann glauben, dass er nur warten muss, bis Israel einknickt und sich zurückzieht", sagte er auf derselben Konferenz.

Israelisches Interesse und innenpolitisches Kalkül

Doch auch auf Seiten der Palästinenser wurde Baraks Vorschlag eher als Drohung denn als Chance verstanden. "Damit wird der Konflikt nicht gelöst, sondern nur fortgesetzt und die Zwei-Staaten-Lösung begraben", erklärte Nabil Abu Rudeihneh, ein enger Berater von Präsident Abbas. Er lehnte einen provisorischen Staat von Israels Gnaden ab und forderte stattdessen "ein endgültiges Abkommen, in dem ein palästinensischer Staat mit Jerusalem als Hauptstadt" begründet wird. "Ohne Jerusalem unterschreiben wir gar nichts", sagte er.

Baraks Vorstoß dürfte von einem Bündel von Motiven getrieben sein. Zum einen nimmt er die neu formierte Einheitsregierung, die im Parlament über 94 von 120 Sitzen verfügt, zum Anlass, um auch gegen den üblichen Druck der Siedlerlobby einen Vorstoß im Friedensprozess zu wagen. Für ihn ist die Gründung eines palästinensischen Staates auch im israelischen Interesse, weil in einem gemeinsamen Staat zwischen Mittelmeer und Jordan die demographische Entwicklung die Juden zur Minderheit machen würde.

Zum anderen jedoch wird Barak auch die postwendende Kritik aus dem eigenen Regierungslager vorhergesehen haben. Sein Vorstoß entspringt zugleich innenpolitischem Kalkül. Der von ihm gegründeten Unabhängigkeitspartei droht die politische Bedeutungslosigkeit - weshalb er sich vor der nächsten Wahl nun noch einmal als Friedensbringer positionieren will.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: