Nahostkonflikt:Eskalation mit Wucht und Wonne

Nahostkonflikt: Nahostkonflikt: Im Streit um den Zugang zum Tempelberg protestiert ein Palästinenser im Westjordanland.

Nahostkonflikt: Im Streit um den Zugang zum Tempelberg protestiert ein Palästinenser im Westjordanland.

(Foto: AFP)

Wenn ein Ort so heilig ist wie Jerusalem, dann scheint der Zweck auch die Mittel zu heiligen: Palästinenser werfen Steine, die israelischen Sicherheitskräfte schlagen hart zurück. Die Politik heizt die Eskalation nur noch an - auf beiden Seiten.

Kommentar von Peter Münch, Jerusalem

Mehr Polizisten, härtere Strafen, die eiserne Faust - wenn etwas so heilig ist wie Jerusalem, dann scheint der Zweck auch die Mittel zu heiligen. Der Zweck ist die Wiederherstellung der Ruhe in der umkämpften Stadt, in der sich die Gewalt ausbreitet wie eine Epidemie. Das Mittel, auf das sich Israels Regierung wie immer verlässt, ist unbeugsame Härte: Wer Steine wirft, soll künftig bis zu 20 Jahre ins Gefängnis kommen, die Ordnung soll mit Waffengewalt erzwungen werden. Doch man braucht kein Prophet zu sein, um vorherzusehen, dass dies nicht funktionieren wird.

Die Unruhe in Jerusalem speist sich aus vielen Quellen: Der Gaza-Krieg des Sommers hat das Klima vergiftet, am Tempelberg vermischen sich jüdische Provokationen und muslimische Paranoia zu einem giftigen Gebräu, und zu alledem gießt jeder neue Siedlungsplan Öl ins Feuer. Es gibt also mehr als nur einen Anlass dafür, dass sich in Jerusalem ein Aufstand anbahnt. Doch es gibt eine gemeinsame Ursache: Die arabischen Bewohner der Stadt, ungefähr ein Drittel der Bevölkerung, wehren sich dagegen, an den Rand gedrängt, von immer mehr jüdischen Siedlern umzingelt und mit immer neuen Abrissverfügungen und Bauverboten schikaniert zu werden. Sie folgen keinem Plan, keiner politischen Führung, sondern nur ihrer Wut. Das macht diesen Aufstand so unberechenbar und gefährlich.

In der Stadt schaukelt sich die Gewalt von Tag zu Tag hoch

Wer eine solch anarchische Intifada eindämmen will, der müsste also an die Wurzeln gehen und nicht die Auswüchse bekämpfen, was ohnehin ein hoffnungsloses Unterfangen ist. Steine liegen genug herum in Jerusalem, Feuerwerkskörper gibt es überall zu kaufen, und niemand kann verhindern, dass ein Autofahrer in eine Menge rast. Doch die Lebenslüge dieser Stadt, deren arabischer Ostteil 1967 von Israel erobert, später annektiert und zum Bestandteil der "auf ewig ungeteilten Hauptstadt" des Landes erklärt wurde, wird nun durch die Lüge von der Sicherheit durch Härte perpetuiert.

Umso bedrohlicher ist das, weil mittlerweile auf beiden Seiten mit Wucht und Wonne eskaliert wird. Da gibt es den (ausgerechnet) für Wohnungsbau zuständigen Minister Uri Ariel, der sich darin gefällt, seinen baldigen Umzug in das heftig umkämpfte arabische Viertel Silwan anzukündigen. Oder den Stellvertretenden Knesset-Sprecher Mosche Feiglin vom Likud, der den Zug der Zeloten auf den Tempelberg anführt. Und auf der anderen Seite heizt nicht mehr nur die Hamas mit martialischen Parolen die Stimmung an. Auch Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas hat sein Volk dazu aufgerufen, den Tempelberg "mit allen Mitteln zu verteidigen"; den von der Polizei erschossenen Attentäter, der in Jerusalem in der vorigen Woche den Rabbiner Yehuda Glick mit vier Schüssen niederstreckte, verherrlicht Abbas als einen "Märtyrer".

Vernunft und Mäßigung sind längst unter die Räder gekommen in diesem Konflikt. Zwei Offensiven prallen aufeinander. Und Jerusalem steht vor schweren Zeiten.

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