Nahost:So nah wie lange nicht

Israel und Ägypten haben einen Friedensvertrag, aber erst die wachsende Bedrohung durch Islamisten auf der Sinai-Halbinsel lässt die beiden Regierungen wieder eng kooperieren.

Von P.-A. Krüger, P. Münch, München/Tel Aviv

Einen quälend langen Tag dauerten die Gefechte im Norden der Sinai-Halbinsel, bis Ägyptens Armee in der Nacht zum Donnerstag den wohl bisher schwersten Angriff der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zurückschlagen konnte. Sie musste F-16-Kampfflugzeuge schicken und Apache-Hubschrauber, um zu verhindern, dass die Militanten die belagerten Polizeistationen der Orte Scheich Zuweid und der Provinzhauptstadt al-Arisch überrennen. Dschihadisten auf Motorrädern patrouillierten zeitweise in den Straßen und forderten die Bewohner auf, ihre Häuser nicht zu verlassen. Der offenbar lange und präzise geplante Überraschungsangriff auf mehr als ein Dutzend Stellungen der Armee hatte am frühen Morgen begonnen.

Selbstmordattentäter rasten mit Sprengstoff beladenen Autos in Straßensperren. Es folgten Geländewagen mit aufgepflanzten Maschinengewehren. Von Dächern feuerten Maskierte mit Raketenwerfern, Mörsergranaten trafen aus der Distanz Posten der Sicherheitskräfte. Die Szenen erinnern an das Vorrücken von Kämpfern des Islamischen Staates in der irakischen Stadt Ramadi. Schon länger warnen westliche Geheimdienste, dass auf dem Sinai noch vor Libyen die größte Gefahr eines "Strukturtransfers" bestehe - dass also die Militanten das Vorgehen des IS in Syrien und Irak kopieren oder gar direkt Unterstützung erhalten.

Nahost: Schweres Gerät vonnöten: Ein Konvoi mit Panzern der ägyptischen Armee fährt auf dem Sinai in Stellung.

Schweres Gerät vonnöten: Ein Konvoi mit Panzern der ägyptischen Armee fährt auf dem Sinai in Stellung.

(Foto: AP)

In Tunesien, Kuwait, Jemen fielen den jüngsten Anschlägen Touristen am Strand, Betende in einer Moschee und eine Trauergesellschaft zum Opfer - sie alle waren schlecht oder gar nicht geschützt. Dagegen attackiert die Provinz Sinai des IS direkt das ägyptische Militär, das seit Monaten mit Eliteeinheiten, schweren Waffen, Ausgangssperre und Ausnahmezustand versucht, der Lage im Norden der Sinai-Halbinsel Herr zu werden.

Der Islamische Staat stehe direkt vor der Grenze, warnt Netanjahu

Die Dschihadisten, deren Stärke auf einige Hundert bis weit über tausend geschätzt wird, können sich noch immer auf ein Netzwerk aus Unterstützern in der Bevölkerung stützen - ähnlich wie in Syrien und Irak, wo der IS lokale Verwaltungs- und Stammesstrukturen systematisch unterwandert hat, um seine Macht zu festigen. Sie halten Gebiete um Scheich Zuweid und Rafah, veranstalten dort Paraden, errichten Kontrollpunkte.

Die Armee hatte den Sinai schon zu Zeiten Mubaraks nicht im Griff. Die Beduinen dort fühlten sich immer vernachlässigt. Nach und nach wurde die Gegend zum Tummel- und Umschlagsplatz für militanten Islamisten und Waffen.

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Den Transfer zwischen Sinai und dem Gazastreifen versucht Kairo mit einer kilometerbreiten Pufferzone zu unterbinden. Die Armee schüttete die Schmuggeltunnel zu und machte die Grenzstadt Rafah dem Erdboden gleich. Die Bewohner wurden zwangsumgesiedelt. Zwar hat die Regierung erste Erfolge bei Bemühungen, die Beduinen für den Kampf gegen den IS zu gewinnen, doch hat sie auch vielen von ihnen Lebensgrundlage und Häuser genommen.

Entstanden ist die Terrorgruppe Ansar Beit el-Maqdis Anfang 2011. War sie erst eng mit al-Qaida verbunden, schloss sie sich im vergangenen November dem IS an. Seitdem das Militär in Kairo den islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi stürzte, werden vor allem Soldaten und Polizisten zum Ziel. Mehr als 600 Tote haben sie schon zu beklagen. Vorher richtete sich der Terror vor allem gegen Israel; Dutzende Male flog die Gaspipeline in die Luft, über die Ägypten das Nachbarland belieferte. Alarm lösten die blutigen Vorfälle deshalb auch jenseits der Grenze aus.

Israel verstärkte im Grenzgebiet die Armee, sperrte Straßen, setzte Drohnen zur Überwachung ein. Zwei Grenzübergänge für Warenlieferungen in den Gazastreifen blieben geschlossen. Befürchtet werden grenzüberschreitende Anschläge. "Der Terror klopft an unsere Pforten", warnte Benjamin Netanjahu. "Der Islamische Staat steht nicht nur auf den Golanhöhen, sondern auch in Ägypten" - mit anderen Worten, direkt an unseren Grenzen.

Tatsächlich wächst in Israel das Gefühl der Bedrängung durch die Dschihadisten, die sowohl im Norden als auch im Süden immer näher rücken. Während Israel in Syrien keine Einflussmöglichkeiten hat, wird daher die Kooperation mit Ägypten immer wichtiger. Unter Präsident Sisi sind die zwischenzeitlich gestörten Verbindungen wieder so eng wie zu den besten Zeiten des Mubarak-Regimes. Netanjahu beeilte sich nach den Angriffen mit Kondolenzbezeugungen "an die ägyptische Regierung, das ägyptische Volk und die Familien der Terroropfer". Mit Schulterschluss-Rhetorik beschwor er "die Partnerschaft zu Ägypten und vielen anderen Staaten im Nahen Osten und in der Welt im Kampf gegen radikalislamischen Terrorismus". Dahinter steckt eine klare Gefahrenanalyse: Wenn es Sisis Truppen nicht gelingt, den IS auf dem Sinai aufzuhalten, wird sich bald Israel direkt mit ihm auseinandersetzen müssen.

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