Nahost:100 000 Raketen in den Arsenalen

Die mit Israel verfeindete Hisbollah ist militärisch stark wie lange nicht. Jerusalem sieht eine neue Runde der Gewalt kommen.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Im Schutz der Dunkelheit sind sie gekommen, doch Israels Armee war vorgewarnt und äußerst wachsam: Vier Kämpfer, die sich von syrischer Seite her dem Grenzzaun auf den Golanhöhen näherten, um dort nach israelischen Angaben einen Sprengsatz zu deponieren, wurden in der Nacht zum Montag von einem Kampfflugzeug aus getötet. Premierminister Benjamin Netanjahu lobte sogleich die Soldaten für ihr "schnelles und präzises Engreifen". Vermutet wird, dass die Hisbollah, die in Syrien auf Seiten des Assad-Regimes kämpft, hinter dem vereitelten Angriff steckt. Für die Regierung in Jerusalem ist dies ein weiterer Beleg dafür, dass die libanesische Miliz Israel zu einer neuen Runde der Gewalt herausfordern will.

Die Grenze auf den Golanhöhen, die von Israel 1967 erobert und 1981 annektiert worden waren, ist im Schatten des syrischen Bürgerkriegs schon häufiger Schauplatz von Gefechten geworden. Zuletzt hatte es hier im Januar einen blutigen Schlagabtausch gegeben: Erst hatte Israels Armee bei einem Angriff auf einen Wagenkonvoi sechs Hisbollah-Mitglieder sowie sechs iranische Revolutionsgardisten getötet, darunter einen General. Zur Vergeltung jagte die Hisbollah wenige Tage später ein israelisches Patrouillenfahrzeug in die Luft, zwei Soldaten starben. Als Israels Armee darauf mit Artilleriefeuer antwortete, kam ein im Grenzgebiet stationierter spanischer UN-Soldat ums Leben. Lernen konnte man daraus, dass keine der beteiligten Seiten mehr gewillt ist, der Ruhe den Vorzug zu geben, und dass die Hisbollah, wie es in Israel heißt, offenbar auf eine Art Gleichgewicht des Schreckens aus ist.

In der vergangenen Woche soll Jerusalem zwei Luftangriffe in Syrien geflogen haben

Erkannt wird dahinter der lange Arm der Teheraner Führung, die seit Langem schon die schiitischen Kämpfer mit Waffen versorgt. Unmittelbar vor dem jüngsten Zwischenfall hatte Israels Verteidigungsminister Mosche Jaalon noch eine deutliche Warnung ausgesprochen: "Wir werden es Iran und Hisbollah nicht erlauben, eine Terror-Infrastruktur an unserer Grenze zu Syrien aufzubauen, und wir wissen, wie wir jeden erwischen, der Israels Bürger bedroht." Gesprochen war dies vermutlich mit Blick auf zwei Angriffe, die Israels Luftwaffe arabischen Medienberichten zufolge in der vorigen Woche auf Ziele in Syrien geflogen hatte, um zu verhindern, dass die Hisbollah sich mit fortgeschrittener Raketentechnologie ausstattet.

Doch obwohl es in den vergangenen anderthalb Jahren mehrere solcher Angriffe gegeben haben soll, die niemals offiziell von israelischer Seite bestätigt wurden, kann die Aufrüstung der Hisbollah kaum verhindert werden. Schätzungen zufolge sollen sich in den Arsenalen der Miliz mehr als 100 000 Raketen befinden. Das ist ein Vielfaches von dem, mit dem die Hisbollah 2006 in den letzten Krieg gegen Israel gezogen ist - und vier Wochen lang Angst und Schrecken in Israels Norden verbreitet hat. Die neuen Raketen sollen überdies relativ genau fast jeden Ort in Israel treffen können. Die Gefahr aus Richtung Norden ist damit noch deutlich höher als durch die Hamas im südlich gelegenen Gazastreifen. Israels Armee wird also auch nach dem nun vereitelten Anschlag auf den Golanhöhen wachsam bleiben. Mit dem nächsten Angriff der Hisbollah muss jederzeit gerechnet werden.

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