Nahost:Irans langer Arm

Die tiefen Wurzeln des jetzigen Konflikts reichen bis nach Teheran. Für die Israelis ist die Zerschlagung der strategischen Brücke von den libanesischen Schiiten über Syrien nach Iran das wichtigste Kriegsziel.

Rudolph Chimelli

Die Schüsse von Sarajewo waren der Anlass für den Ersten Weltkrieg, nicht seine Ursache. Genauso ist die Entführung zweier Israelis durch die libanesische Hisbollah nur der Auslöser eines Konflikts, dessen tiefe Wurzeln weit über den Nahen Osten hinaus reichen - bis nach Teheran.

Während der vier arabisch-israelischen Kriege zwischen 1948 und 1973 hatte in Iran der Schah regiert. Er sah in Israel einen Verbündeten gegen den arabischen Nationalismus. Heute ist die Islamische Republik die ideologische Heimat der libanesischen Hisbollah und ihr wichtigster Waffenlieferant. Käme es zu einem fünften Krieg - was die Gemetzel im Süden Libanons trotz ihrer Abscheulichkeit noch immer nicht sind - wäre diesmal zwangsläufig Iran Partei.

Für die Israelis - und die Amerikaner, die ihnen die Stange halten - ist die Zerschlagung der strategischen Brücke von den libanesischen Schiiten über Syrien nach Iran das wichtigste Kriegsziel. Sie ist eines der letzten Hindernisse für die Beherrschung der Region durch die USA und ihre Klienten. Für die Iraner, die ihrerseits nach Hegemonie streben, ist die Hisbollah ein Arm ans Mittelmeer.

Von solchen allgemeinen Überlegungen abgesehen, wurden die libanesischen Glaubensbrüder aus einem ganz bestimmten Grund aufgerüstet: Israel hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass es die iranischen Atomanlagen bombardieren würde, bevor diese Waffen hervorbringen könnten. Umgekehrt warnte Teheran stets, in diesem Fall würden seine Streitkräfte und getreue Glaubenskämpfer überall in der Welt mit allen Mitteln zurückschlagen. Am Persischen Golf sind die Iraner selbst präsent.

Die Iraner wollen kein Prestige verlieren

Am Mittelmeer, in der Nachbarschaft Israels, haben sie nichts und niemanden - außer der Hisbollah. Auf sie und ihre Raketen, von denen die wenigen modernen, weiter reichenden möglicherweise noch nicht verschossen sind, hätten sich die Iraner für diesen Fall verlassen können. Falls aber jene Pistole, die vom Südlibanon nach Israel weist, zerstört oder durch politische Regelungen entschärft wird, hätte Teheran ein wichtiges Mittel für Repressalien verloren.

Iran kann deshalb nicht daran interessiert sein, dass die Hisbollah ihr Arsenal in einem langen, lokalisierten Konflikt verpulvert, und noch weniger an militärischen Weiterungen, die mit vorhersehbaren Niederlagen enden würden. Schon gar nicht wollen die Iraner Prestige verlieren, das ihnen zuerst die anti-israelischen Tiraden ihres Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad in der arabischen Welt eingebracht haben.

Jetzt entspricht ihre eindeutige Parteinahme für die Hisbollah genau dem, was die Mehrzahl der Araber an ihren Führern vermisst. "Sie wetteifern, wer unter ihnen die Favoritin im Harem Bushs ist", schrieb ein arabischer Kommentator, während die Bomben auf den Libanon fielen. Auf der Teheraner Bühne lässt sich deshalb leicht ein Schattenspiel um das baldige Ende des jüdischen Staates aufziehen. In der Kulisse aber predigen die Unterhändler nach allen Seiten Zurückhaltung, damit es nicht zur Feuerprobe kommt.

Doch es geht um mehr als Ansehen. Irans Außenminister ist in Beirut. Die Franzosen sprechen als erste Europäer aus, dass es keine Lösung ohne Iran gibt. Andere Mitspieler wissen es ebenso. Viele Gewichte haben sich in drei Kriegswochen von arabischen Hauptstädten nach Teheran verschoben.

Die Hisbollah ist kein reiner Befehlsempfänger Teherans

Der Beschluss des Sicherheitsrates, der Iran zur Einstellung der Uran-Anreicherung binnen eines Monats verpflichtet, führt alle Spekulationen ad absurdum, der Grenzzwischenfall samt Entführung der beiden israelischen Soldaten könnte als Ablenkungsmanöver inszeniert worden sein. Niemand in Teheran kann dies ernsthaft gehofft haben, kein Verantwortlicher im Westen wäre auf solche Tricks hereingefallen. Mit Sanktionen hatten die Iraner seit langem gerechnet.

Schon jetzt ist klar, dass der Weg dazu noch weit ist, obwohl Ahmadinedschad bereits seine Weigerung erklärt hat, dem UN-Beschluss zu folgen. Sanktionen beträfen Wirtschaft, Reisemöglichkeiten und Kommunikation, wären aber nicht militärischer Natur. Die Iraner haben gedroht, das ihnen vorliegende Angebotspaket als erledigt zu betrachten, falls der Sicherheitsrat gegen sie beschließt. Ob sie dies wirklich tun werden, ist ein Indiz für ihre wahren Absichten.

Die Hisbollah-Bewegung wurde von den Iranern im Libanon nach 1982 aufgebaut, als die Israelis zum ersten Mal mit ihren Truppen im Land standen. Seither ist sie von der Ziehtochter zur selbstbewussten politischen und militärischen Bewegung geworden, als Vertretung der schiitischen Volksgruppe, der stärksten des Libanon, ein Staat im Staate. Sie nimmt Steuern ein, macht Geschäfte und kann Waffen, die Teheran nicht gibt, auch auf dem internationalen Schwarzmarkt kaufen.

Wer immer die Hisbollah entwaffnen wollte, müsste den libanesischen Bürgerkrieg neu beginnen. Es funktioniert, wenn überhaupt, nur mit ihrer Zustimmung - und vorausgesetzt, die Strukturen des Libanon, des einzigen pluralistischen und leidlich demokratischen Staates der Region, werden bis dahin nicht völlig zerbombt. Wahrscheinlich wird die Hisbollah dabei auf die Iraner hören. Reiner Befehlsempfänger Teherans ist sie aber nicht.

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