Nahost:Eklat nach Konzert für Holocaust-Opfer

Palästinenser aus Dschenin lösen ein Jugendorchester aus ihrem Flüchtlingslager auf - weil es in Israel vor Holocaust-Überlebenden musiziert hatte.

T. Schmitz, Tel Aviv

Musik verbindet Völker über Grenzen hinweg, heißt es, und so war es auch am vergangenen Mittwoch in Holon, einer ärmlichen Stadt im Süden von Tel Aviv. Eine Stunde lang schwebte eine Ahnung davon, wie es sich ohne Nahost-Konflikt leben ließe, durch die Räume einer Vereinigung für Holocaust-Überlebende.

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Geste der Versöhnung, die vielen Palästinensern missfällt: Musikerinnen des Jugendorchesters aus Dschenin beim Konzert in Holon bei Tel Aviv.

(Foto: Foto: AP)

Eine Gruppe von 13 palästinensischen Jugendlichen im Alter von elf bis 17 Jahren aus dem Flüchtlingslager von Dschenin gab für dreißig jüdische Schoah-Opfer ein Konzert mit Geigen und Darboukas. Das erste Stück des Konzerts, "Saiten der Freiheit", war der Versöhnung gewidmet und hieß "Wir beten für Frieden."

Doch die Begegnung zwischen Muslimen und Juden endet nun wie so viele Nahost-Friedenspläne zuvor auch: im Streit.

In Israel wurde das Konzert, das von der Wohltätigkeitsgruppe Ruach tova (Guter Wind) organisiert und im Klub der Holocaust-Hilfsorganisation Amcha in Holon gespielt wurde, in allen Medien gefeiert.

Im Fernsehen und in den Zeitungen sah man die palästinensischen Mädchen mit ihren Kopftüchern und die palästinensischen Jungen mit ihren Sonnenbrillen, wie sie mit ihrem Spiel Lächeln in die Gesichter der Holocaust-Überlebenden zauberten.

In der Palästinenserstadt Dschenin dagegen ist man über das Konzert so entsetzt, dass man dort das Jugendorchester nun aufgelöst hat. Der Sprecher des Flüchtlingslagers, Adnan Hindi, rechtfertigt die drakonische Maßnahme mit harten Worten.

Er leugne nicht, dass es den Holocaust an den Juden gegeben habe, "aber wir Palästinenser werden bis heute von den Juden verfolgt. Wir haben unser Land verloren, wir mussten fliehen und wir leben in Flüchtlingslagern."

Der Dirigentin des Orchesters, Wafa Junis, wirft er vor, mit dem Konzert Politik betrieben zu haben. Die 52-Jährige dürfe das Flüchtlingslager nicht mehr betreten.

Die Wohnung, in der die Jugendlichen auf ihren (übrigens aus Israel gespendeten) Geigen bisher gespielt haben, sei geschlossen. Junis habe eine Normalisierung in den israelisch-palästinensischen Beziehungen vorgespielt.

Chaos im Bus - das erste Mal in Israel

Wenn man Wafa Junis anruft, sagt sie: "Es macht mich traurig, dass man unser Konzert politisiert." Die pensionierte Musiklehrerin unterrichtet seit Jahren palästinensische Jugendliche im Geigenspiel und sucht vorurteilsfreie Menschen, die Musikinstrumente spenden und Auftritte finanzieren.

Sie glaube, sagt sie, an die "Überzeugungskraft von Musik". Und sie sagt, sie werde sich nicht von den Behörden in Dschenin vorschreiben lassen, vor wem das Jugendorchester auftreten darf und vor wem nicht. Sie räumt ein, dass sie es den Jugendlichen ,,nicht ganz klargemacht'' habe, vor wem sie in Holon auftreten würden.

Im Bus nach Tel Aviv habe Chaos geherrscht, "für alle war es das erste Mal, dass sie nach Israel fuhren". Auch die Holocaust-Überlebenden seien überrascht gewesen, als sie erfuhren, dass die Musiker nicht aus einer arabischen Stadt in Israel, sondern aus Dschenin im Westjordanland stammten.

"Doch darauf kommt es doch gar nicht an!" sagt Junis. "Die Hauptsache ist doch, dass wir vor Leuten gespielt haben, die eine schlimme Zeit hinter sich haben."

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