Nahost:Angriffe Israels bedrohen Friedensplan

Wenige Tage nach dem Nahost-Friedensgipfel hat Israel mehrere Angriffe auf Palästinenser im Gaza-Streifen verübt. Bei einem gezielten Überfall, den der ranghohe Hamas-Vertreter Abdel Asis Rantisi überlebte, kamen zwei Menschen ums Leben. Am Abend tötete die Armee weitere vier Palästinenser, mindestens 30 wurden verletzt.

Thorsten Schmitz

(SZ vom 11.6. 2003) - Die Angriffe verstoßen gegen den Nahost-Friedensfahrplan, der Gewalt gegen Palästinenser verbietet.

Die Hamas schwor Rache, die Israel "wie ein Erdbeben erschüttern" werde. US-Präsident George W. Bush zeigte sich nach Angaben seines Sprechers "sehr beunruhigt".

Der palästinensische Ministerpräsident Machmud Abbas sprach nach dem Angriff auf Rantisi von einer "terroristischen Aktion".

Abbas sagte, der Liquidationsversuch am Dienstagvormittag in Gaza-Stadt sabotiere den Versuch einer politischen Lösung im Nahost-Konflikt.

Zugleich forderte der Premier die USA zum Eingreifen auf. An dem Angriff waren nach Angaben des israelischen Rundfunks zwei Apache-Kampfhubschrauber beteiligt, die mindestens vier Raketen auf den Geländewagen von Rantisi und ihm folgende Autos abgefeuert hätten.

Sekunden vor dem Angriff habe Rantisi aus dem Wagen flüchten können, berichteten palästinensische Medien. Bei dem Angriff seien eine Frau und ein Leibwächter Rantisis getötet sowie mehr als 30 Palästinenser verletzt worden, unter ihnen der Sohn Rantisis.

Am Abend kamen bei Granatenangriffen der Armee im Norden von Gaza vier weitere Palästinenser ums Leben, mindestens 30 Menschen wurden verletzt. Zuvor hatten Palästinenser mehrere Kurzstreckenraketen auf die israelische Stadt Sderot abgefeuert.

Hamas will Verhandlungsstopp

Der 52-jährige Hamas-Sprecher, der leicht am Bein verletzt wurde, gilt als hochrangiger Führer der Terrororganisation. Rantisi gehört zu den Mitbegründern und bekanntesten Gesichtern der Palästinenserorganisation und zeichnet für die meisten Selbstmordattentate verantwortlich.

Während Scheich Ahmed Jassin das geistliche Oberhaupt der Hamas ist, wird das Führungsmitglied Rantisi als politischer Chef der radikalen Gruppierung angesehen. Von einem Krankenhaus in Gaza-Stadt aus erklärte Rantisi, der "heilige Krieg" werde solange fortgesetzt, bis "kein Zionist mehr auf unserem Land" lebe.

Die Hamas hatte zuvor den Angriff als "Kriegserklärung des israelischen Feindes" bezeichnet. Unmittelbar nach dem Liquidierungsversuch protestierten Tausende von Hamas-Anhängern im Gaza-Streifen, schworen "blutige Rache" und verlangten von Abbas einen sofortigen Verhandlungsstopp mit Israel.

Die gescheiterte Liquidierung verstößt gegen die erste Phase des Friedensfahrplans, in der Israel unter anderem dazu aufgefordert wird, von jeglicher Gewalt gegen Palästinenser im allgemeinen und gegen palästinensische Zivilisten im besonderen abzusehen.

Der israelische Justizminister Tommy Lapid bezeichnete den Angriff hingegen als "legal", um sich gegen palästinensischen Terror zur Wehr zu setzen. Verteidigungsminister Schaul Mofaz hatte eine kurzfristig anberaumte Pressekonferenz zuvor ohne Begründung abgesagt.

Kurz nach dem Angriff soll Mofaz vor einem parlamentarischen Ausschuss erneut die Ausweisung von Palästinenserpräsident Jassir Arafat nicht mehr ausgeschlossen haben, berichtete der Rundfunk.

Mitglieder der palästinensischen Regierung verurteilten den Angriff heftig. Der palästinensische Informationsminister Nabil Amer sagte, Israel torpediere "alle Bemühungen um eine Beruhigung der Region" und setze den Gaza-Streifen "in Brand". Auch israelische Politiker übten Kritik.

Der liberale Infrastrukturminister Josef Parizki sagte, man dürfe gegenwärtig nichts unternehmen, um Abbas zu schwächen. Eine Sprecherin der linken Meretz-Partei sagte, die Aktion beweise, dass zwischen den Worten und Taten Scharons ein Gegensatz bestehe.

USA verurteilen Angriff

Die US-Regierung verurteilte den Liquidierungsversuch scharf.

Präsident George W. Bush sei "sehr beunruhigt" über den Angriff, zitierte der Nachrichtensender CNN den Sprecher des Weißen Hauses, Ari Fleischer. Bush befürchte, dass so die Bemühungen des palästinensischen Ministerpräsidenten Machmud Abbas untergraben würden, den Terrorismus zu bekämpfen.

Sollten die palästinensischen Bemühungen um ein Ende der Gewalt dadurch gefährdet werden, trage "dies nicht zur Sicherheit Israels bei". Bei einem Gipfeltreffen mit Bush hatten Abbas und der israelische Ministerpräsident Ariel Scharon in der vergangenen Woche zugesagt, einen neuen, internationalen Friedensplan umzusetzen. Dieser sieht ein sofortiges Ende der Gewalt und die Gründung eines Palästinenser-Staats bis 2005 vor.

Rantisi hatte einen Stopp des Terrors mehrfach abgelehnt. Die Hamas hatte Abbas Aufruf zu einem Ende der gewaltsamen Intifada am Wochenende mit Gesprächsabbruch über einen Waffenstillstand quittiert.

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