Nachruf von Gerhard Schröder:Vertrauen auf die Kraft des Wortes

"Johannes Rau war der Präsident des Volkes und der Herzen" - Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder würdigt den verstorbenen früheren Bundespräsidenten in einem Exklusiv-Beitrag für die Süddeutsche Zeitung.

"In Johannes Rau hat unser Land eine herausragende Persönlichkeit, einen leidenschaftlichen Demokraten und einen überzeugten, aufgeklärten Patrioten verloren. Johannes Rau hat in mehr als 40 Jahren politischer Tätigkeit Großartiges für unser Land geleistet. In der Kommunalpolitik, in der Landespolitik, in der Bundespolitik, schließlich und vor allem aber als populärer und hoch angesehener Bundespräsident hat er vorbildlich gewirkt und viele Spuren hinterlassen.

Nachruf von Gerhard Schröder: Politische Weggefährten: Gerhard Schröder und Johannes Rau

Politische Weggefährten: Gerhard Schröder und Johannes Rau

(Foto: Foto: AP)

Unermüdlich hat Johannes Rau mit seiner moralischen Autorität für Toleranz und Solidarität, für Gerechtigkeit und Weltoffenheit in unserem Land geworben und sich ganz besonders um das friedliche Zusammenleben verschiedener Kulturen und von Menschen unterschiedlicher Herkunft, Sprache, kultureller Prägungen, Religionen und Hautfarben verdient gemacht.

Wie sein großes Vorbild, der "Bürgerpräsident" Gustav Heinemann, hat Johannes Rau als Staatsoberhaupt eine große Integrationsleistung vollbracht. Mit seiner unprätentiösen Art zu repräsentieren, mit seiner aufrichtigen, aber niemals aufdringlichen Art, gesellschaftliche Diskussionen anzustoßen, hat Johannes Rau Maßstäbe gesetzt. Er vertraute auf die Kraft des Wortes. Und er begründete Vertrauen durch die Kraft seiner Worte.

Sympathieträger, Identifikationsfigur und moralisches Gewissen

In einer Zeit des Umbruchs, des rasanten Wandels, der Veränderung, der Reformnotwendigkeit, aber auch der gesellschaftlichen Konflikte und Gegensätze hat der Bundespräsident Johannes Rau durch seine Reden und seine Interventionen einen unschätzbaren Beitrag zum Erhalt des inneren Friedens und des sozialen Zusammenhalts in unserer Gesellschaft geleistet.

Als Mensch wie als Politiker hat sich Johannes Rau durch Ehrlichkeit, Integrität, Glaubwürdigkeit, Wärme, Herzlichkeit und Menschlichkeit ausgezeichnet. Als Bundespräsident ist es ihm gelungen, die Würde des Amtes zu wahren und trotzdem die Nähe zu den Menschen nie zu verlieren. Er war Sympathieträger, Identifikationsfigur und moralisches Gewissen.

In unnachahmlicher Weise schaffte er es, Distanzen abzubauen und Menschen einander näher zu bringen. "Politik ist angewandte Liebe zur Welt, jedenfalls zu den Menschen" - dieser, leicht abgewandelte, berühmte Satz von Hannah Arendt beschreibt vielleicht am treffendsten Johannes Rau und sein Verständnis von Politik. Und die Menschen haben gespürt, dass Johannes Rau sich mit Hingabe und Empathie zum Anwalt ihrer Belange und Interessen machte. Auch wenn er nicht vom Volk direkt gewählt worden ist, so war er doch der Präsident des Volkes und der Herzen.

Geprägt von der NS-Diktatur

Wie viele andere seines Alters haben Erfahrungen und Erlebnisse während der nationalsozialistischen Diktatur den Menschen Johannes Rau nachhaltig geprägt. Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und dem Zivilisationsbruch des Holocaust haben seine Einstellungen und sein Leben verändert. Der überzeugte Christ fand den Weg in die Politik und engagierte sich für die Demokratie und das Gemeinwohl.

Immer war er bestrebt, seinen Beitrag für eine Gesellschaft zu leisten, in der niemand Angst vor anderen Menschen haben muss. Eine Gesellschaft, in der alle Menschen ohne Angst verschieden sein können. In all seinen politischen Ämtern war er vorbildlicher und vorausschauender Wegbereiter und ein Mentor für den Dialog der Kulturen.

Eine Herzensangelegenheit war für Johannes Rau die Versöhnung zwischen Deutschen und Juden, die Verständigung zwischen Christen und Juden, die Weiterentwicklung des deutsch-israelischen Verhältnisses. Kaum jemand hat mehr getan für das Zusammenleben mit Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland als Johannes Rau. Und es war der Bundespräsident Johannes Rau, der am 16. Februar 2000 in einer wahrhaft historischen Rede in der Knesset um Vergebung für das unermessliche Verbrechen des Holocaust bat.

Mit dieser mutigen Rede wie auch bei allen seinen Auslandsreisen hat Johannes Rau unser Land nicht nur würdig repräsentiert, sondern das Ansehen Deutschlands in der Welt gemehrt.

Sich mit ganzer Kraft - und seien die eigenen Mittel auch noch so bescheiden - für eine bessere, lebenswertere und allemal für eine friedlichere Welt einzusetzen, das war Johannes Rau eine bleibende Aufgabe. Er hat für Humanismus, Solidarität und Nächstenliebe geworben, indem er sie vorgelebt hat, aufrichtig und authentisch.

In seinem Sinne weiterzuarbeiten, den Sozialstaat zu erhalten und die rechtsstaatliche Demokratie zu verteidigen, alles für die Bewahrung des inneren wie des äußeren Friedens zu tun, das ist unsere Verpflichtung. Unser Land hat Johannes Rau viel zu verdanken. Er wird uns Deutschen unvergessen bleiben."

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