Nach ZDF-Interview mit SPD-Chef:Gabriels gerechter Zorn

Gabriel und Slomka

Gabriel und Slomka im heute journal vom 28. November 2013.

(Foto: dpa)

SPD-Chef Sigmar Gabriel streitet im ZDF mit Moderatorin Marietta Slomka - das zeigt, wie sauer mittlerweile viele Politiker auf Journalisten sind. Denn kein Berufsstand erträgt so harsche Kritik bis zur Selbstverleugnung wie die oft geschmähten Politiker.

Ein Gastbeitrag von Dirk Metz

Dirk Metz, 56, war von 1999 bis 2010 Sprecher der hessischen Landesregierung unter Ministerpräsident Roland Koch (CDU). Er betreibt eine Agentur für Kommunikation in Frankfurt.

Es scheint die Meinungsfreiheit auf dem Spiel zu stehen: Eine "mutige Moderatorin" muss gegen den "polternden Politiker" in Schutz genommen werden. Beim Duell "Gabriel vs. Slomka" geht es nicht einfach um die Frage, warum das Interview der ZDF-Journalistin Marietta Slomka mit dem SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel schiefging. Es steht sofort der Vorwurf im Raum, Politiker könnten kritische Fragen nicht ertragen.

"Welch ein Unsinn!", würde Sigmar Gabriel sicher ausrufen - zu Recht. Kein Berufsstand - Unternehmer und Manager folgen mit erheblichem Abstand - erträgt so harsche Kritik bis zur Selbstverleugnung wie die oft geschmähten Politiker. Und letztlich forderte die Moderatorin von Gabriel Selbstverleugnung, als sie sich zu der Aussage verstieg, es sei nicht in Ordnung, dass die Mitglieder einer Partei mehr zu sagen hätten als die "normalen" Wähler in Deutschland. Muss man tatsächlich erwarten, dass ein Parteivorsitzender dies widerspruchslos hinnimmt?

Das Interview und die Diskussion der vergangenen Tage bieten Anlass, sich mit dem generellen Umgang des Journalismus und der Gesellschaft mit der Politik, den Parteien und den Politikern zu beschäftigen. Man muss nicht so weit wie Sigmar Gabriel gehen, der beklagt hat, dass manche Journalisten Politiker geradezu verachteten. Aber Geringschätzung und Überheblichkeit ziehen sich tatsächlich häufig durch ihr Reden und Schreiben. Und nicht nur der Moderatorin, sondern vielen Journalisten und Bürgern muss gesagt werden, dass Parteimitglieder mit gutem Recht in noch viel mehr Bereichen mitsprechen, als die SPD-Mitglieder es in diesen Tagen per Mitgliederentscheid tun.

Sie riskieren es, beschimpft zu werden

Parteimitglieder dürfen Wahlkreiskandidaten für Parlamentsmandate aufstellen und Wahlprogramme formulieren; sie dürfen Parteitagsdelegierte nominieren und Bürgermeisterkandidaten vorschlagen. Sie können den Fraktionen in ihren Städten und Gemeinden empfehlen, eine Straße in eine Fußgängerzone umzuwandeln, die Zuschüsse für den Sport zu erhöhen oder die Friedhofsgebühren anzuheben. Und das alles mit gutem Recht.

Denn diese Menschen haben sich aus freiem Willen und aus ganz unterschiedlichen Überzeugungen heraus entschieden, einer Partei beizutreten. Sie zahlen Mitgliedsbeiträge, opfern ihre Freizeit, reden sich die Köpfe heiß, ringen um den besten Weg. Sie übernehmen Verantwortung und stehen für Entscheidungen gerade. Und sie riskieren es, vom Nachbarn über den Gartenzaun oder vom Anonymus im Netz beschimpft zu werden, wenn eine Entscheidung anders ausfällt als gewünscht. Sie nehmen es in Kauf, von Leuten öffentlich kritisiert zu werden, die auf der Zuschauertribüne des politischen Lebens sitzen.

Wenn Parteien und ihre Vertreter aber von Montag bis Samstag schlechtgeredet werden, darf man sich nicht wundern, wenn die Sonntagsreden verhallen, es müssten sich mehr Menschen, gerade aus der Wirtschaft, politisch engagieren. So mancher Unternehmer oder Manager wäre sicher bereit, sich kommunalpolitisch im Heimatort einzubringen oder für eine gewisse Zeit ein Mandat im Bundestag oder Landtag zu übernehmen. Er möchte sich dafür aber nicht verachten und beschimpfen lassen.

Denn mehr noch als die harten Bandagen der Politik hält sie der aggressive Umgang der Medien mit den Handelnden davon ab, in die Politik zu gehen. Wehe dem Manager, der nach einer Phase in der Politik wieder zurück in die Wirtschaft möchte. Er wird sich vorhalten lassen müssen, politisch tätig gewesen zu sein, um leichter an Aufträge für sein Unternehmen heranzukommen. Oder er gilt als gescheitert - anderenfalls würde er den Job in der Politik ja sicher weitermachen. In Deutschland wird jeder Wechsel aus der Politik in die Wirtschaft, vorsichtig gesagt, medial negativ begleitet. "Der will nur die alten Kontakte nutzen", "dem geht's doch nur ums Geld", "Kein Wunder, dass sie da jetzt landet, hat ja auch vorher schon entsprechend Position bezogen", - so lauten die Kommentare. Glaubt jemand ernsthaft, dass dies den Wechsel aus der Politik in die Wirtschaft und umgekehrt erleichtert?

Die Haltung vieler Journalisten empfinden nach meiner Beobachtung immer mehr Politiker als nur noch schwer erträglich. Nicht die kritischen Fragen ärgern sie, es ärgert sie die überhebliche Attitüde. Das Besondere an dem Gabriel-Interview ist eigentlich nur, dass dem SPD-Vorsitzenden vor laufender Kamera der Kragen geplatzt ist. Aber sicher ist CSU-Chef Horst Seehofer ihm nicht nur beigesprungen, weil dies dem Klima zwischen designierten Koalitionspartnern guttut. Über die Parteigrenzen hinweg greift die Stimmung um sich, dass man sich nicht alles gefallen lassen sollte und auch Journalisten nicht sakrosankt sind.

An einem Nebenkriegsschauplatz verausgabt

Man mag die Reaktion Gabriels dünnhäutig nennen, was sie natürlich auch war. Man kann sie aber auch mutig nennen, weil einem Politikprofi wie ihm bewusst gewesen sein muss, dass die Mehrheit der Kommentatoren und User der Moderatorin beispringen würde. Es wäre zu wünschen, wenn Gabriels Reaktion Auslöser einer Diskussion darüber sein könnte, ob die permanente Geringschätzung von Parteien und Politikern unserem Land wirklich guttut oder nicht eher dauerhaft schadet.

Übrigens: Natürlich ist die Frage, ob der SPD-Mitgliederentscheid verfassungsrechtlich in Ordnung ist, ein interessanter Aspekt. Doch die Frage war für Gabriel locker mit dem Hinweis zu beantworten, dass in CDU und CSU nur wenige Mitglieder über das Zustandekommen des Koalitionsvertrags entscheiden, in der SPD dagegen Hunderttausende.

Statt sich an diesem Nebenkriegsschauplatz zu verausgaben, hätte man Sigmar Gabriel spannende Fragen stellen können: Warum traut sich die SPD-Führung nicht, die Partei selbstbewusst in eine Koalition zu führen? Was passiert, wenn die Mitglieder wider Erwarten Nein zur großen Koalition sagen sollten? Und auch die doch bemerkenswerte Antwort Gabriels auf Slomkas Frage, warum die SPD-Mitglieder nicht auch über Ressortzuschnitt und Köpfe an der Spitze der Ministerien entscheiden dürften ("Weil uns die Mitglieder aufgefordert haben, lediglich eine Sachentscheidung zu treffen") schrie nach der Zusatzfrage, ob man sich die Briefe und Mails einmal ansehen könne, in denen die Mitglieder diesen Wunsch geäußert haben.

Diese Fragen blieben leider ungestellt. Aber wenn das Interview eine Diskussion über den Umgang mit der Politik und den politisch Handelnden auslösen würde, dann hätte es neben dem unbestreitbaren Unterhaltungswert auch in der Sache etwas bewirkt.

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