Nach Verbot gewalttätiger Salafisten:"Macht so viele Razzien, wie ihr nur wollt"

Demokratie nennen sie Gotteslästerung - zwar gilt nur eine kleine Gruppe von Salafisten als gewaltbereit, doch die Szene hat fatale Anziehungskraft auf junge Muslime.

Jan Bielicki und Nico Fried

Die Razzia begann um 6 Uhr früh. Eine Hundertschaft Polizisten sperrte den Zugang zu einem Hinterhof in der Solinger Konrad-Adenauer-Straße. Dann verschafften sich die Beamten Zugang zu dem unscheinbaren Flachbau, hinter dessen Metalltür sonst vor allem junge, bärtige Männer in wallenden Gewändern zusammenkamen - und zwar, so sind sich die Sicherheitsbehörden sicher, nicht nur um zu beten.

Salafisten halten Friedenstreffen ab

Verfassungsschützer rechnen derzeit mit 4000 Anhängern und Sympathisanten des Salafismus in Deutschland - bei stark steigender Tendenz.

(Foto: dpa)

Am Donnerstag verbot Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich den hier residierenden Verein Millatu Ibrahim, in dem sich einige der nach Einschätzung von Verfassungsschützern gefährlichsten islamistischen Hassprediger aus der Szene der Salafisten gesammelt hatten. Gleichzeitig durchsuchten Polizisten 81 weitere Wohnungen, Geschäfte und Vereinsheime in sieben Bundesländern, wobei der Schwerpunkt der Aktion in Hessen und Nordrhein-Westfalen lag. Nach nur zwei Stunden war die Sache erledigt.

Die Razzia zielte nicht nur auf einen Verein, sondern auf ein ganzes Netzwerk radikaler Islamisten, zu dem neben dem nun verbotenen Salafistenverein aus Solingen vor allem zwei weitere Organisationen gehören: die Gruppe Dawa FFM des Frankfurter Predigers Abdellatif Raouli und der Verein "Die wahre Religion" (DWR) des Kölner Islammissionars Ibrahim Abou Nagie. Der Internet-Prediger Abou Nagie, an dessen Privathaus in Köln-Esch ebenfalls Polizisten klingelten, gilt als Cheforganisator des schlagzeilenträchtigen Vorhabens der Salafisten, Millionen Exemplare des Korans kostenlos in Fußgängerzonen zu verteilen.

Verboten ist vorerst freilich nur Millatu Ibrahim. Gegen Dawa FFM und DWR werden Vorermittlungen nach dem Vereinsrecht eingeleitet, an deren Ende ein Verbot stehen kann. Die Beweise bei diesen beiden Gruppen, hieß es in Berlin, seien "noch nicht zur Überzeugung aller Beteiligten gerichtsfest". Die öffentliche Darstellung der beiden Gruppen sei "moderater".

Tatsächlich haben die Hauptfiguren von Millatu Ibrahim - auf Deutsch etwa: Religion Abrahams - sich in ihren Netzpredigten kaum Mühe gegeben, ihre Sympathie für al-Qaida und dschihadistischen Terror zu verbergen. Ihr Gründer, der Österreicher Mohamed Mahmoud, saß bereits vier Jahre wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung in einem Wiener Gefängnis. Er hatte ein deutschsprachiges Netzwerk zur Werbung von Al-Qaida-Kämpfern gegründet. Kaum frei, zog es den ägyptischstämmigen Wiener zunächst nach Berlin, dann in die Solinger Hinterhof-Moschee - als Zentrum salafistischer Radikaler bekannt, seit zwei deutsche Konvertiten aus der Gemeinde im britischen Fährhafen Dover mit Bombenbau-Anleitungen im Gepäck erwischt wurden.

Unter dem Kampfnamen Usama al-Gharib rief der gerne in tarnolivfarbener Kampfesmontur auftretende Mahmoud wiederholt zum Heiligen Krieg auf: "Allah hat verpflichtet, dass Blut vergossen wird, dass Frauen Witwen werden, dass Kinder Waisen werden", schwadronierte er in einem Netz-Video. In Telefonaten, die von österreichischen Staatsschützern abgehört wurden, bot er sich einst selbst als Attentäter an und bat um Sprengstoff: "Gebt mir TNT!" Im April wurde er aus Deutschland ausgewiesen. Doch auch von Ägypten aus, wo er seither lebt, steuerte er seinen Verein nach Erkenntnissen der Behörden weiter.

Seinen engsten Mitkämpfer Denis Cuspert halten die Behörden für ebenso gefährlich. Der Berliner, einst unter dem Namen Deso Dogg als Sänger in der Szene des Gangsta-Rap bekannt, nennt sich heute Abu Talha al-Almani und trägt Sprechgesänge für den Dschihad vor: "Blut, darum sterben wir, Demokratie, die größte Lüge der Kuffar bekämpfen wir", wettert er gegen die, die er für die "Ungläubigen" (Kuffar) hält. Im Mai fanden die Behörden bei einer Durchsuchung in Berlin einen "selbstkonstruierten Vorläufer einer Sprengstoffweste", den sie Cuspert zurechnen.

"Die wahre Religion"

Vor der Solinger Millatu-Ibrahim-Moschee war es im Mai auch zu den ersten Angriffen gewalttätiger Salafisten auf Polizisten gekommen. Dem Verein verbundene Prediger wie Cuspert hatten auch zu der Salafisten-Kundgebung in Bonn aufgerufen, bei der im Mai zwei Polizisten bei einem Messerangriff eines islamistischen Demonstranten schwer verletzt wurden.

Auf dieser Demonstration hielt auch Abu Abdullah, einer der meistbeschäftigten Videoprediger von Abou Nagies "Die wahre Religion", eine Rede; dabei drohte er indirekt mit der Entführung und Ermordung Deutscher im Ausland. Und nicht nur hier taten sich Anhänger von DWR und Dawa FFM mit den Ultras aus Solingen zusammen. Millatu-Ibrahim-Mitglieder ließen sich stolz filmen, wie sie Abou Nagies Korane auf der Straße verteilten. Abou Nagie selbst, der in einer seiner Predigten davon schwärmte, als Märtyrer zu sterben, ließ sich bisher jedoch noch nicht mit strafrechtlich relevanten Sprüchen erwischen. Eine Anklage wegen Verunglimpfung von Religionsgemeinschaften musste die Kölner Staatsanwaltschaft im Januar fallen lassen.

Verfassungsschützer rechnen derzeit mit etwa 4000 Anhängern und Sympathisanten bei stark steigender Tendenz, wie es in Sicherheitskreisen hieß. Sie unterscheiden zwischen einem politischen Salafismus und einem kleineren Teil gewaltbereiter Salafisten. Grundsätzlich stufen sie den Salafismus als eindeutig verfassungsfeindlich ein. Die Gruppen agitierten gegen das Zusammenleben mit Ungläubigen, riefen auf zum Kampf gegen Feinde der Muslime und bezeichneten die Demokratie als Götzen, den es zu überwinden gelte.

Weil die Salafisten ihre Propaganda fast ausschließlich im Internet betreiben, wurden nach Angaben aus Berlin am Donnerstagmorgen auch "eine fast dreistellige Zahl" von Internet-Providern im In- und Ausland angeschrieben und mit Hinweis auf die Strafbarkeit mancher Inhalte um deren Entfernung von den Webseiten gebeten. Videos im Netz zeigen Schmähungen unter anderem gegen Journalisten; einem von ihnen wird in einer Sequenz mit einem filmischen Trick der Kopf weggesprengt. Die große Gefahr sehen Ermittler in der Anziehungskraft des Salafismus auf junge Muslime und Konvertiten. Der bekannteste Fall bislang war der Mordanschlag eines Salafisten am Frankfurter Flughafen, bei dem zwei US-Soldaten ums Leben kamen.

Die Seite des nun verbotenen Vereins verschwand im Laufe des Donnerstags aus dem Netz. Mohamed Mahmoud, auch nach seiner Ausweisung aktiv, reagierte mit einer Hasstirade. "Macht so viele Razzien, wie ihr nur wollt und könnt. Wir werden weiterhin sagen: Demokratie ist dreck, schmutz, schmutziger als schweinekott", ließ er über eine andere islamistische Internet-Seite verbreiten, "wir lehnen sie ab und bekämpfen sie."

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