Nach Tötung von Isaf-Soldaten in Kabul:Nato zieht alle Mitarbeiter aus afghanischen Ministerien ab

Im Innenministerium in Kabul sind zwei Angehörige der Isaf-Schutztruppe getötet worden. Als Reaktion darauf zieht die Nato sämtliche ihrer Mitarbeiter aus den afghanischen Ministerien ab. Die radikalislamischen Taliban brüsten sich im Internet mit der blutigen Tat, sie sei eine Reaktion auf die Koranverbrennungen durch US-Soldaten. Im ganzen Land dauern die massiven Proteste an.

Nach den tödlichen Schüssen auf zwei Nato-Angehörige im Kabuler Innenministerium zieht das Militärbündnis sein Personal aus allen afghanischen Ministerien "in und rund um Kabul" aus Sicherheitsgründen ab. Das teilte Nato-Kommandeur John Allen mit. Die Nato ermittle und werde alles daran setzen, den Täter zu finden.

Auch die britische Botschaft kündigt nach dem Vorfall Konsequenzen an: Ein Botschafts-Sprecher sagte der BBC zufolge, alle britischen Zivilisten, die als Berater für die afghanische Regierung arbeiteten, seien aus den Ministerien abgezogen worden. Man hoffe, dass es sich um eine zeitlich begrenzte Maßnahme handele.

Ein Angreifer hatte Nato-Angaben zufolg im Kabuler Innenministerium zwei Angehörige der Afghanistan-Schutztruppe getötet. "Anfängliche Berichte deuten darauf hin, dass eine Person seine Waffe auf Mitglieder der Internationalen Schutztruppe Isaf in der Stadt Kabul gerichtet und zwei von ihnen getötet hat", sagte ein Nato-Sprecher. Das afghanische Innenministerium bestätigte, "zwei internationale Kollegen" seien im Gebäude getötet worden. Ermittlungen seien bereits im Gange, hieß es weiter.

Die Nato machte zur Nationalität der Opfer keine Angaben. Amerikanische Medien berichteten jedoch, dass es sich um zwei hochrangige US-Armeeangehörige, einen Oberst und einen Major, handelte. Laut afghanischen Medienberichten kam es in dem Ministerium nach einem "Wortwechsel" zu einer Schießerei.

US-Angaben zufolge konnte der Täter flüchten. Bei dem Schützen handele es sich möglicherweise um einen afghanischen Polizisten, hieß es von Seiten der Nato. Auch der US-Fernsehsender CBS, der eine Reporterin in Kabul hat, berichtete, ein afghanischer Polizist habe beiden US-Soldaten in den Kopf geschossen. Nach dem Vorfall seien alle Regierungsbehörden in Kabul abgeriegelt worden. Zwei afghanische Behördenvertreter erklärt hingegen, an der Schießerei seien keine Afghanen beteiligt gewesen. Die Schießerei habe sich in einem Sicherheitsraum zugetragen, zu dem Afghanen keinen Zutritt hätten.

Berichten zufolge sollen im Innern des Gebäudes acht Schüsse gefallen sein, meldete eine BBC-Reporterin aus Kabul. Das Innenministerium gelte als eines der sichersten Gebäude in der afghanischen Hauptstadt.

Die radikalislamischen Taliban haben sich unterdessen im Internet zur Tötung mehrerer US-Militärs in Kabul bekannt. Der "Held" Abdul Rahman habe vier US-Berater im afghanischen Innenministerium getötet, erklärten die Taliban im Internet. Es handele sich um eine Reaktion auf die Verbrennung von Koranexemplaren durch US-Soldaten in Afghanistan.

Blutige Proteste auf den Straßen dauern an

In Afghanistan gibt es seit Tagen blutige Proteste: Tausende Menschen gehen auf die Straße, um gegen die Verbrennung von Koranexemplaren auf der US-Basis Bagram zu protestieren. Mindestens 29 Menschen, darunter zwei US-Soldaten, wurden seither getötet. Die USA hatten die Koranverbrennung als Versehen bezeichnet, Präsident Barack Obama hatte sich dafür entschuldigt.

Ob der Vorfall im Innenministerium mit den Koranverbrennungen in Zusammenhang steht, blieb zunächst unklar. Allerdings gingen die Proteste auch am Samstag unvermindert weiter. Mindestens drei Afghanen starben bei landesweiten Aufständen, mehrere wurden verletzt.

In der Nordprovinz Kundus, wo deutsche Soldaten stationiert sind, schlug der zunächst friedliche Protest in Ausschreitungen um. In Kundus versuchte ein Mob, das Büro der Vereinten Nationen und das Polizeihauptquartier zu stürmen, wie der Vizepolizeichef der Provinz Kundus, Gulam Mohammad Farhad, mitteilte. Mindestens zwei Demonstranten seien bei den Zusammenstößen mit der Polizei in Kundus getötet worden, sechs weitere wurden verletzt. Auch drei Polizisten erlitten Verletzungen, sagte Farhad. Der Leiter des örtlichen Gesundheitsamtes sprach sogar von mindestens drei Toten und 50 Verletzten.

Auf einer Militärbasis im Nordwesten des Landes starben zudem sechs afghanische Soldaten beim Versuch, eine Bombe zu entschärfen. 14 weitere wurden bei der Explosion verletzt, wie der Gouverneur der Provinz Badghis mitteilte. Wie die Bombe auf das Militärgelände gelangt war, blieb zunächst unklar.

Die Proteste gingen auch in anderen Teilen des Landes weiter: In der ostafghanischen Provinz Logar südlich von Kabul starb Medienberichten zufolge mindestens ein Demonstrant bei Zusammenstößen mit der Polizei. In der östlichen Provinz Laghman versuchten Demonstranten, das Büro des Gouverneurs zu stürmen. "Sie warfen Steine auf die Polizei und das Büro des Gouverneurs", sagte ein Sprecher. "Dann wurden es gewalttätig, und wir versuchten, die Situation unter Kontrolle zu bringen." Zwei Menschen wurden durch Schüsse verletzt, acht weitere durch Steinwürfe.

Bundeswehr-Verband lehnt vorzeitigen Afghanistan-Abzug ab

Trotz der Gewalttätigkeiten lehnen Bundeswehr- und Reservistenverband einen vorzeitigen Abzug der deutschen Soldaten aus Afghanistan ab. Zwar sei die Sicherheitslage nach wie vor sensibel und könne jederzeit kippen, sagte Verbandschef Ulrich Kirsch der Passauer Neuen Presse. Sie sei aber grundsätzlich nicht anders als vor den Unruhen.

"Aus diesem Grund werden die zwischen den Verbündeten verabredeten Abzugsplanungen weiter verfolgt", sagte Kirsch weiter. Den Planungen zufolge sollen die Afghanen bis Ende 2014 schrittweise die Verantwortung für die Sicherheit übernehmen. Die Bundeswehr in Afghanistan hatte am Donnerstag wegen der Unruhen nach den Koranverbrennungen ihren Stützpunkt in Talokan komplett geräumt und die dort stationierten 60 Soldaten ins Feldlager Kundus verlegt.

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