Nach Scheitern der UN-Resolution:"Noch viel gewalttätiger als alles, was wir bisher in Syrien gesehen haben"

Wie geht es weiter in Syrien? Nach dem Veto gegen eine Syrien-Resolution im UN-Sicherheitsrat hagelt es vor allem für Russland Kritik. Experten denken zwar, dass Präsident Assad sich nicht mehr lange halten wird - befürchten jedoch eine neue Eskalation der Gewalt. Wie kann der Westen reagieren? Und was erhofft sich Russland von der Entwicklung?

Hannah Beitzer

Gewalt und kein Ende: Nach dem Scheitern einer Syrien-Resolution im Weltsicherheitsrat lässt Syriens Präsident Assad offenbar weiter auf sein eigenes Volk schießen. Die Zahl der Opfer der Gewalt in Syrien dürfte inzwischen bei deutlich mehr als 5000 liegen. Während Russland und China dem Autokraten die Treue halten, erhöht der Westen den diplomatischen Druck. Die USA schließen ihre Botschaft, Kanzlerin Angela Merkel fordert Assad zum Rücktritt auf.

Wounded girl is seen in Baba Amro, a neighbourhood of Homs

Verwundetes Mädchen in der Nähe der Stadt Homs: Experten gehen nach der gescheiterten Syrien-Resolution im Weltsicherheitsrat von einer Verschärfung des Kampfes aus.

(Foto: REUTERS)

Wie wirkt sich das russisch-chinesische Veto im Weltsicherheitsrat auf die Lage in Syrien aus?

Die Enttäuschung über die Blockadehaltung von Russland und China ist groß - Experten befürchten verheerende Auswirkungen auf die Lage in Syrien. "Die Resolution hätte der syrischen Führung klar vor Augen geführt, dass sie auf internationaler Bühne weitgehend isoliert ist. Dies ist nun nicht geschehen", sagt zum Beispiel Muriel Asseburg, Leiterin der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Das Regime habe nach wie vor den Rückhalt wichtiger internationaler Akteure - dies schränke auch die Wirkungen der von den USA, der EU, der Türkei und der Arabischen Liga verhängten Sanktionen ein.

Auch die New York Times schreibt: "Das Veto wird mit ziemlicher Sicherheit Präsident Baschar al-Assad stärken." Bereits kurz nach dem Scheitern der Resolution habe die syrische Regierung ihre Angriffe auf die Rebellenhochburg Homs verstärkt. "Das ist eine Lizenz, noch mehr dergleichen zu tun - und Schlimmeres", urteilt Peter Harling von der International Crisis Group (ICG). Das Regime werde so in dem Glauben gelassen, dass es immer härter zuschlagen könne. Harling befürchtet deswegen Schlimmes für die Region: "Wir treten jetzt in eine neue Phase ein, die noch viel gewalttätiger sein wird als alles, was wir bisher gesehen haben."

Wird Assad seine Position halten können?

Wohl eher nicht, glauben die Experten. "Es sieht immer stärker so aus, als ob Assad sich nicht auf Dauer halten können wird", sagt Muriel Asseburg. Allerdings könne es bis zum Ende des Regimes noch dauern und die Gewalt enorm eskalieren. Dies berge auch die Gefahr eines Bürgerkriegs - also nicht nur eines bewaffneten Machtkampfes, wie er bereits begonnen habe, sondern auch von Gewalt zwischen den einzelnen ethnischen und konfessionellen Gruppen.

Auch der Guardian schreibt, dass Russlands Premierminister Wladimir Putin die Stabilität des Regimes Assad nicht richtig beurteile: "Putin schätzt den Aufstand in Syrien ebenso falsch ein, wie er auch die Proteste bei sich zu Hause falsch einschätzt." Assad werde fallen - und Putins "tödlichster Feind" sei die Isolation, in die er sich selbst begeben habe.

Sogar Deutschlands sonst so nüchterne Kanzlerin fand harte Worte: "Präsident Assad hat an der Spitze seines Landes nichts mehr verloren", teilte Angela Merkel über einen Sprecher mit.

Was hat Russland vor?

Russlands Außenminister Sergej Lawrow warf der internationalen Gemeinschaft vor, mit der Abstimmung nicht gewartet zu haben, bis er sich selbst ein Bild von der Lage in Syrien gemacht habe. Er will zunächst mit Baschar al-Assad sprechen - und reist dafür am morgigen Dienstag nach Syrien. Dort will er auf demokratische Reformen dringen - ein Vorhaben, für das die New York Times nur Kopfschütteln übrig hat: Mit diesem Schritt wolle Russland die Arabische Liga dazu überreden, ihre Beobachtermission fortzusetzen - obwohl diese schon längst für gescheitert erklärt worden sei. Das Urteil: "Hier mangelt es völlig an Realitätssinn."

Was können die anderen Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen tun?

Verschiedene Staaten wollen nun unabhängig von der UN den Druck auf Assad erhöhen - zum Beispiel die USA. Außenministerin Hillary Clinton kündigte an, die Sanktionen gegen Syrien zu verschärfen. Die USA stecken laut New York Times in einem besonderen Dilemma: Sie wollen auf keinen Fall den Eindruck erwecken, den Aufstand gegen Assad zu steuern - dies würde, so schreibt die Zeitung, schließlich der Opposition in Syrien mehr schaden als nützen. Nach den erneuten Angriffen auf die Rebellenhochburg Homs sei diese Strategie jedoch hinfällig geworden.

"Russland will eben Probleme machen"

Die Sanktionen verschärfen will auch die EU. Bundesaußenminister Guido Westerwelle schlug außerdem eine internationale Kontaktgruppe vor, in der die Türkei und die Arabische Liga eine besondere Rolle einnehmen sollen.

Der Vorsitzende der Arabischen Liga, Nabil al-Arabi, erklärte, die Organisation werde im Hinblick auf eine "politische Lösung" mit der syrischen Regierung und deren Gegnern zusammenarbeiten. Hauptziel sei es, "der Gewalt und dem Morden ein Ende zu setzen und die Zivilisten zu schützen".

Welches Interesse hat Russland daran, Assad zu halten?

Russland wurde für sein Veto im UN-Sicherheitsrat besonders hart kritisiert - denn China allein hätte sich einer Resolution kaum widersetzt, denken Experten. Nicht weiter überraschend ist, dass Russland Interesse daran hat, einen Umsturz in Syrien zu vermeiden: Moskau ist Syriens wichtigster Waffenlieferant, der einzige Flottenstützpunkt Russlands im Mittelmeer liegt im syrischen Tartus - und außerdem sind sonst die meisten arabischen Staaten Verbündete der USA, was Washington einen geopolitischen Vorteil in der Region verschafft, der mit dem Sturz Assads noch verstärkt würde. Außerdem könnte eine Prise Widerstand gegen den Westen dem Wahlkampf von Premierminister Wladimir Putin den nötigen Aufwind geben - er will bei der Präsidentschaftswahl am 4. März nach einer Legislaturperiode Pause wieder russischer Präsident werden.

Wie sehen das die Russen selbst?

In den russischen Medien ist die Unterstützung für die Regierung Putin denkbar groß: Als "vernünftig und vorausschauend" bezeichnete die sonst durchaus kritische Zeitung Kommersant das Veto - schließlich möchte man auf keinen Fall al-Qaida in der Region erstarken sehen. "Wenn die Macht in Syrien von einem weltlichen Diktator auf eine Gruppe religiöser Fanatiker übergeht, dann ist das nicht in Russlands Interesse", schreibt der Kommersant.

Doch auch in Russland regen sich kritische Stimmen: So schreibt die oppositionelle Internetzeitung Gazeta.ru in ihrem typisch lakonischen Stil, dass es ganz einfache Antworten auf die Frage gebe, warum Russland einen Diktator stütze, dessen politisches Überleben derart ungewiss sei wie Assads: Zum einen handele Russland größtenteils wirtschaftspolitisch - und wolle eben nicht auf die Waffenlieferungen an Syrien verzichten. Zum anderen sympathisiere die russische Regierung aus naheliegenden Gründen mit autoritären Machthabern - lehne sie doch selbst alles ab, was nur den Eindruck einer Revolution erwecken könnte. Und drittens: "Russland will eben einfach dem Westen Probleme machen, besonders Amerika."

Wer hat außer Russland und China Interesse daran, Assad zu halten?

Syrien ist der einzige arabische Verbündete von Iran. Sollten die westlichen Staaten allzu offensichtlich in Syrien intervenieren, könnte dies deswegen die gesamte Region destabilisieren - gerade zu einer Zeit, wo der Streit um das iranische Atomprogramm zu eskalieren droht.

Was unterscheidet Syrien von den anderen Ländern des Arabischen Frühlings?

"Syrien ist ein Vielvölkerstaat, in dem bislang ein autoritäres Regime herrscht, dass sich auf eine Minderheit, die Alawiten, stützt", sagt Muriel Asseburg von der SWP, "auch andere Minderheiten - insbesondere die Christen, die Drusen, die Kurden - sind bislang zögerlich, sich dem Aufstand anzuschließen." Dabei spiele die Angst vor einem Bürgerkrieg und den Folgen insbesondere für die Minderheiten eine große Rolle. Die Syrer haben in zwei Nachbarstaaten, nämlich im Libanon und im Irak, gesehen, welches Leid das mit sich bringe.

Außerdem sei Syrien ein Schlüsselstaat in der Region - als "Frontstaat" zu Israel und als einziger staatlicher arabischer Verbündeter Irans. Eine Eskalation der Konfrontation könnte deshalb auch zu einem Stellvertreterkrieg in Syrien führen, in dem andere Staaten in der Region einzelne Kräfte unterstützen und ausrüsten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: