Nach Rücktritt von Premier Jebali:Tunesiens Demokratie ist zum Stillstand gekommen

Ministerpräsident Hamadi Jebali Tunesien Rücktritt

Eine Tunesierin bei einer Demonstration in Tunis.

(Foto: AFP)

Die Krise in Tunesien verschärft sich: Nachdem Premier Hamadi Jebali mit seinem Plan gescheitert ist, ein Technokraten-Kabinett einzurichten, erklärt er seinen Rücktritt. Immer wieder war es zuletzt zu Ausschreitungen in dem Land gekommen.

Von Sonja Zekri, Kairo

Der tunesische Premierminister Hamadi Jebali ist am Dienstagabend zurückgetreten, nachdem sein Plan für ein "Kabinett der Technokraten" gescheitert ist. Jebali, ein gemäßigter Islamist, gab seine Entscheidung in einer Erklärung im Fernsehen bekannt.

Damit verschärft sich die politische Krise nach der Ermordung des Oppositionspolitikers Chokri Belaïd. Das Kabinett der Technokraten hätte nach der Vorstellung Jebalis aus einer verkleinerten Regierung mit Ministern ohne Parteizugehörigkeit bestehen sollen, die Neuwahlen hätten vorbereiten sollen. Viele Tunesier fürchten allerdings, dass damit auch Funktionsträger des alten Regimes wieder zu Macht hätten kommen können.

Bemühen im Regierungsbildung geht weiter

Am Montagabend hatte Jebali das Scheitern seines Planes erklärt: "Ich sage in aller Klarheit, dass meine Initiative, also eine Regierung aus Mitgliedern, die keiner politischen Bewegung angehören, keinen Konsens gefunden hat." Das Bemühen um eine Regierung, auf die sich alle Parteien einigen können, gehe aber weiter.

Auch Jebalis eigene Partei, die islamistische En-Nahda, hatte den Vorstoß abgelehnt. Im Falle seines Scheiterns hatte Jebali mit Rücktritt gedroht, war darauf am Montag aber nicht eingegangen, sondern hatte gesagt, er wolle am Dienstag mit Präsident Moncef Marzouki "weitere Schritte" besprechen. Nach dem Treffen sagte er: "Ich habe versprochen, dass ich zurücktrete, wenn meine Initiative scheitert."

Kompromiss scheint möglich

En-Nahda-Chef Raschid Ghannouchi hatte Jebali zuvor der Unterstützung der Partei versichert. Obwohl En-Nahda ihrem eigenen Mitglied Jebali in der Frage des Technokraten-Kabinetts in den Rücken gefallen war, sagt Ghannouchi nun: "Wir von En-Nahda unterstützen weiterhin Hamadi Jebali als Regierungschef, und dies gilt für alle Parteien dieses Treffens."

Zugleich stellte Ghannouchi erneut in Aussicht, dass Islamisten und Säkulare in wichtigen Ministerposten einen Kompromiss finden könnten. Zum wiederholten Male bot er an, dass En-Nahda über die Posten der Verteidigungs-, Justiz-, Außen- und Innenminister reden werde - derzeit alle in En-Nahda-Hand. "Jede stabile Herrschaft in Tunesien braucht eine moderate islamistisch-säkulare Koalition", sagte er.

Schwelende Spannungen zwischen den Lagern

Zuvor hatte die Partei von Präsident Marzouki, der "Kongress der Republik", drei Minister aus der Regierung abgezogen, um einen Wechsel im Außen- und Justizministerium zu erzwingen. Bei einem Treffen hätten sich die Führer verschiedener Parteien auf ein kleineres Kompromisskabinett aus Technokraten und Politikern geeinigt. Ghannouchis Islamisten haben die Mehrheit im Übergangsparlament.

Schwelende politische Spannungen zwischen den Islamisten und ihren Gegnern waren eskaliert, als Chokri Belaïd, Anführer einer kleinen linken Partei, konsequenter Kritiker der Islamisten und nach Ansicht vieler der kommende Mann der Opposition, am 6. Februar am helllichten Tag vor seinem Haus erschossen worden war. Die Gegner der Islamisten machen En-Nahda für die Tat verantwortlich. Ghannouchi hat dies, auch in einem SZ-Gespräch, bestritten.

Ausschreitungen bei Beerdigung

Bei der Beerdigung Belaïds war es zu Ausschreitungen gekommen. Im ganzen Land waren En-Nahda-Büros verwüstet worden, Zehntausende hatten protestiert. Ein Polizist war bei Ausschreitungen gestorben. Die Gegner der Islamisten werfen der En-Nahda-Regierung Komplizenschaft mit Milizen oder salafistischen Krawallmachern vor, die Kunstausstellungen zerstören und Frauen und Säkulare terrorisieren.

Neue Wut bei den Gegnern der Islamisten dürfte die Zerstörung eines spontan errichteten Denkmals für Belaïd auslösen. Tunesische Künstler hatten vor einigen Tagen eine abstrakte Statue errichtet, die Unbekannte in der Nacht zu Montag in drei Teile zerschlagen haben.

Die Blumen zu Füßen der Statue waren zertrampelt. Belaïds Witwe Bassma Khalfaoui sprach von einem "kriminellen Akt": "Wer das getan hat, ist unmenschlich. Sie haben alle Grenzen überschritten." Khalfaoui gab En-Nahda-Innenminister Ali Larayadh die Schuld an der Zerstörung des Denkmals. Sie habe Personenschutz für ihre Familie und ihre Wohnung beantragt, bislang ohne Erfolg.

Der Tourismus leidet, die Arbeitslosigkeit steigt

Präsident Marzouki, ein Säkularer, der zu Zeiten des vor zwei Jahren gestürzten Diktators Zine el-Abidine Ben Ali als Menschenrechtsanwalt arbeitete, will baldmöglichst Parlaments- und Präsidentschaftswahlen abhalten. Tunesien galt lange als aussichtsreichster Kandidat für einen gelungenen Übergang zur Demokratie nach dem Ende der Polizeiherrschaft von Ben Ali im Januar 2011 - vor allem verglichen mit dem Bürgerkrieg in Syrien oder tribalistischen Rückfällen im Nachbarland Libyen. Der Tourismus aber leidet, die Arbeitslosigkeit steigt.

Ähnlich wie Ägypten verhandelt auch Tunesien mit dem Internationalen Währungsfonds über einen Kredit von 1,78 Milliarden Dollar. Wahlen im Herbst 2011 hatten die Islamisten von En-Nahda an die Regierung gebracht, während die islamistischen Salafisten im Übergangsparlament nicht vertreten sind. Dennoch hatten Streitereien den Entwurf einer Verfassung und damit den Weg zu Neuwahlen über Monate verzögert. Der Mord an Belaïd hatte die Krise eskalieren lassen.

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