Nach Prism-Skandal:Gesucht: die Balance aus Freiheit und Sicherheit

Der Prism-Enthüllungen von Edward Snowden haben das gegenseitige Vertrauen der Demokratien erschüttert. Sie machen bewusst, dass das Internet alle Menschen den Entscheidungen fremder Regierungen unterwirft. Jetzt müssen wir uns einigen, wie wir das Internet als Allgemeingut erhalten können.

Ein Gastbeitrag von Ben Scott

Der Autor ist Direktor des Programms "Europäische Digitale Agenda" der Stiftung Neue Verantwortung in Berlin. Von 2009 bis 2012 beschäftigte er sich als Berater für Innovation von US-Außenministerin Hillary Clinton mit den Auswirkungen neuer Informations- und Telekommunikationstechnologien auf die Außenpolitik.

Vertrauen Sie Ihren Freunden und Nachbarn? Das ist eine heikle Frage, wenn sie ein Amerikaner mitten in der Debatte um die NSA-Überwachung in einer deutschen Tageszeitung stellt. Aber man muss sie stellen, denn die Antwort wird uns auch einen Weg aus unseren derzeitigen Schwierigkeiten zeigen. Und um das Vertrauen zwischen allen Demokratien wieder herzustellen, brauchen wir zunächst eine transatlantische Aussöhnung.

Es wird keine einfache Antwort geben. Die Wiederherstellung des Vertrauens wird sich an Bedingungen knüpfen. Außerdem reden wir von Vertrauen zwischen Nationen, also von Vertrauen, das Bevölkerungen in die jeweils anderen Regierungen finden müssen. Für Demokratien ist das eine delikate Angelegenheit - Regierungsvertretern zu vertrauen, die sie nicht selbst gewählt haben. Das ist in internationalen Beziehungen nichts Neues. In Fragen der internationalen Sicherheit waren Regierungen immer schon voneinander abhängig. Es geht aber nicht mehr nur um gemeinsame Feinde, sondern auch um die Beziehung zwischen Verbündeten in einer digitalen Welt.

Die Struktur des Internets unterwirft alle Menschen den Entscheidungen fremder Regierungen. Das zwingt dazu, sich ganz anders mit den Absichten von Freund und Feind auseinanderzusetzen. Will man dabei die Qualitäten des Internets erhalten, müssen die Nationen in Fragen der Sicherheit und der Freiheit eng miteinander verbunden bleiben.

Und wenn sich die große Aufregung über die Enthüllungen ein wenig gelegt hat, wird uns gar nichts anderes übrig bleiben, als hart daran zu arbeiten, das Vertrauen wieder herzustellen.

Zunächst sollte man einmal die Logik untersuchen, mit der demokratische Gesellschaften Überwachung legitimierten. Die Netzwerke der Telekommunikation wurden von Regierungen von Anfang an zur Strafverfolgung benutzt. Die Legitimität dieser Art von Überwachung - die seit 1970 in so ziemlich jeder Folge des "Tatort" vorkommt - wird von der demokratischen Öffentlichkeit keineswegs angezweifelt.

Abhörmaßnahmen werden natürlich in einem rechtlichen Rahmen von Transparenz, Verantwortlichkeit und Rechtsstaatlichkeit durchgeführt. Die Polizei legt dafür einem Richter Beweismaterial vor, bekommt die Berechtigung für eine Überwachung, die sie der Telefongesellschaft vorlegt und erhält so Zugang zur Leitung. Diese Idee des "gesetzlichen Abhörens" wurde auf die internationale Kommunikation ausgeweitet, wenn auch mit weniger Rechenschaftspflichten. So wurde für die Geheimdienste ein rechtlicher Rahmen geschaffen, der dem der Polizei entsprach.

Vom Abhören zur Überwachung des Internets

Während der Vorgang sich nur wenig verändert, ist die Technik um ein Vielfaches mächtiger geworden. Um dem gerecht zu werden, wurde der rechtliche Rahmen ausgeweitet. Die Logik des Abhörens wurde vom Telefongespräch auf das Internet übertragen. Mit den neuen technischen Mitteln kann man viel mehr, als nur Kommunikation mitzuschneiden. Wir können nun riesige Datenmengen sammeln und diese später nach bestimmten Personen oder Schlüsselwörtern durchsuchen. Das gesetzliche Regelwerk hat sich so entwickelt, dass es diese Praktiken zugleich erlaubt und einschränkt, um nicht nur den technischen Fortschritten, sondern auch den neuen Bedrohungen gerecht zu werden.

Wir müssen uns nun fragen, ob die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit noch stimmt. Die demokratische Legitimation dieses Systems des gesetzlichen Abhörens basiert immer noch auf dem öffentlichem Vertrauen, dass Gerichte und Gesetzgeber die Erlaubnis zur Überwachung nur dann geben, wenn es unbedingt notwendig ist, und dass der Umfang dieser Überwachung in einem vertretbaren Verhältnis zu den Sicherheitsbedürfnissen steht.

Snowdens Enthüllungen haben eine Debatte darüber ausgelöst, wo die Grenzen gezogen werden müssen. Manche Fragen sind einfach zu beantworten, zum Beispiel, ob es für Verbündete legitim ist, die Botschaften von Bündnispartnern zu verwanzen. Doch es ist weit weniger klar, wie die Mehrheit in den meisten Demokratien über die richtige Balance zwischen Sicherheit und Freiheit in Bezug auf Massenüberwachung denkt.

Und es ist nahezu gewiss, dass weiterhin ein unterschiedliches Maß an das Schnüffeln von innen und an das von außen angelegt wird. Ab wann sind es zu viele Daten, zu viele Menschen, wann liegt nicht genug Beweismaterial vor, und ab wann reichen Transparenz und Verantwortlichkeit nicht mehr? Jede Gesellschaft wird diese Fragen für sich beantworten und ihre Regierungen dazu bringen müssen, den Willen des Volkes umzusetzen.

Aber wie werden wir damit umgehen, dass Überwachungsmaßnahmen nicht mehr von einzelnen Nationen kontrolliert werden? Aus Kosten- und Strukturgründen leitet das Internet den Mail- und Netzverkehr oft durch die halbe Welt, auch wenn das Ziel nur ein paar Blocks vom Sender entfernt ist. Sind wir bereit, anderen Regierungen zu vertrauen, dass sie Entscheidungen treffen, die unsere eigenen Bürger betreffen? Und wenn ja, zu welchen Bedingungen werden wir ihnen dieses Vertrauen zugestehen?

Das ist das neuartige Problem des Internetzeitalters. Wer sich mit den Technologien und ihren Möglichkeiten auskennt, den haben die aktuellen Enthüllungen nicht überrascht. Man wusste, was diese Technologien können. Und man weiß nun, dass alle Regierungen, die technisch dazu imstande sind, ähnlich verfahren. Die Unterschiede liegen im Umfang, in der Reichweite der Kooperation zwischen Regierungen und - besonders wichtig - im Zweck und in den Handlungen, die aus diesen Programmen resultieren.

Katalysator für Innovation und neue Arbeitsplätze

Bevor wir zu voreiligen Urteilen und überstürzten Handlungen kommen, sollten wir eine Bestandsaufnahme der Möglichkeiten machen, die uns bei der Lösung der Krise zur Verfügung stehen. Aus der Perspektive der NSA mag das Internet ein dunkler und furchterregender Ort sein. Seine globale Vernetzung und technische Nutzung über Ländergrenzen hinweg haben eine Ausweitung der Überwachung in atemberaubendem Ausmaß ermöglicht. Aber eben diese Eigenschaften haben auch den größten offenen Markt der Ideen und des Handels geschaffen, den die Welt je kannte. Das hat unser Leben in einer Art und Weise verändert, die vor zehn Jahren noch unvorstellbar war und die nur wenige von uns einfach aufgeben würden.

Das globale Internet ist ein Gemeingut. Bürger wie Regierungen haben sich sowohl auf die Risiken als auch auf den Nutzen eines Netzwerks eingelassen, das zwar den jeweiligen nationalen Gesetzen untersteht, soweit die Leitungen und Computer innerhalb ihrer Grenzen liegen, das auf globaler Ebene allerdings von niemandem kontrolliert wird. International ausgehandelte technische Standards und Verhaltensnormen haben das Internet von Anfang an locker geregelt. Diese informellen Übereinkünfte wurden durch Zensur, Cyber-Waffen und Überwachung immer wieder auf die Probe gestellt. Die Existenz des Internets als Gemeingut blieb aber auf Grund des allgemeinen Nutzens bestehen. Nicht einmal die Nationen, die dieses System am stärksten bekämpfen, haben sich je völlig davon verabschiedet.

Die Snowden-Affäre könnte nun dazu führen, dass diese Übereinkünfte aufgegeben werden und wir uns auf die Sicherheit unserer "technologischen Souveränität" zurückzuziehen. Das wäre ein Fehler. Wir sollten trotz des Spionage-Skandals nicht vergessen, warum wir die Verwundbarkeit eines offenen Internets in Kauf genommen haben - wegen sozialer und wirtschaftlicher Errungenschaften, die viel verändern können. Das Internet befeuert die Wirtschaft. Als oft gefeierter digitaler Katalysator für Innovation und die Schaffung von Arbeitsplätzen hängt es von einem offenen, globalen Markt für Produkte und Dienstleistungen ab.

In ähnlicher Weise erfordern die sozialen Vorteile des Internets - der Zugang zu Wissen, transnationale Kommunikation, kultureller Austausch, Redefreiheit - ein offenes, globales Netzwerk, um ihren Wert zu maximieren. Das soll nicht heißen, dass diese Vorteile Privatsphäre und Sicherheit ausschließen, doch Veränderungen in der Architektur des Internets zum Zweck einer größeren Sicherheit laufen Gefahr, das Kind mit dem Bade auszuschütten.

Stattdessen müssen wir uns in einer historisch einzigartigen Anstrengung damit befassen, neue internationale Standards zu verhandeln, mit denen wir die Gesetze zwischen und in den Nationen gestalten. Diese Standards müssen definieren, welche Arten der Überwachung notwendig und angemessen sind, um Sicherheit mit möglichst minimaler Einschränkung der Freiheit zu gewährleisten. Sie dürfen die Legitimität von Überwachungsprogrammen nicht allein aufgrund ihrer Existenz, sondern aufgrund der gesetzlichen Zwänge und der daraus resultierenden Handlungen beurteilen. Und wir müssen dies insbesondere auf eine Art und Weise tun, so dass die Bevölkerungen anderer Länder darauf vertrauen können, dass sich unsere Regierungen an diese Standards halten.

Das ist die Übereinkunft des Gemeinguts. Das ist, was Vertrauen in die Nachbarn im digitalen Zeitalter globaler Vernetzung bedeuten sollte.

Vertrauen braucht allerdings auch ein gewisses Maß an Kontrolle. Das haben uns die Abrüstungsdebatten des Kalten Krieges gelehrt. Nun ist die internationale Gemeinschaft wieder einmal gefordert. Die Kontrollmechanismen sollen aber nicht nur im internationalen Dialog von Sicherheitsbehörden entwickelt werden sondern auch ein multinationales Forum gewählter Volksvertreter einschließen. Dieser Prozess sollte von intensiven nationalen und internationalen Debatten begleitet werden, wie das digitale Allgemeingut zum Wohle unserer Sicherheit und Freiheit geschützt und erhalten werden kann.

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