Debatte um Verfassungsschutz:Chef des NSU-Ausschusses beklagt Behinderung bei der Aufklärung

Präsident Fromm ist weg, doch der Verfassungsschutz muss sich nach wie vor unangenehme Fragen gefallen lassen. Innenminister Friedrich will Aufbau und Arbeit des Dienstes prüfen. Der Ausschuss-Vorsitzende Edathy beklagt, die Abgeordneten würden bei der Aufklärung behindert. Die FDP erwägt sogar rechtliche Schritte gegen die Behörde.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz kommt nicht zur Ruhe: Nach dem Rückzug seines Präsidenten Heinz Fromm verschärft sich die Kritik an der Ermittlungsarbeit des Inlandsnachrichtendienstes zur Mordserie der Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) sogar noch.

Sachsens Landtags-Untersuchungsausschuss zu NSU

Muss das Bundesamt für Verfassungsschutz ein juristisches Nachspiel befürchten?

(Foto: dpa)

Der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag, Sebastian Edathy (SPD) kündigte an, dass in der Ausschusssitzung am Donnerstag neben Fromm voraussichtlich auch der direkt für die Aktenvernichtung verantwortliche Referatsleiter als Zeuge gehört werde. "Die skandalöse Vernichtung einschlägiger Akten ist nicht dazu geeignet, Verschwörungstheorien den Boden zu entziehen", sagte Edathy der Mitteldeutschen Zeitung.

Der Bundestagsabgeordnete beklagte sich zudem im ARD-Morgenmagazin darüber, dass der an der "Operation Rennsteig" ebenfalls beteiligte Militärische Abschirmdienst (MAD) "sich weigert, dem Untersuchungsausschuss die Akten zukommen zu lassen. Das wird noch viele Diskussionen geben - so geht's jedenfalls nicht. Ich habe schon den Eindruck, wir werden da ein bisschen behindert bei der Aufklärung."

Beim Bundesamt für Verfassungsschutz waren noch nach Bekanntwerden der Mordserie der rechtsextremen Terrorgruppe NSU, der bundesweit zehn Morde zur Last gelegt werden, Ordner mit Details zu einer Geheimoperation geschreddert worden, bei der es um den Einsatz von V-Leuten ging.

Innenminister Friedrich will Verfassungsschutz prüfen

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich hat eine grundsätzliche Überprüfung der Arbeitsweise des Verfassungsschutzes angekündigt. Man müsse prüfen, ob Aufbau und Arbeitsweise noch zeitgemäß seien, sagte der CSU-Politiker im Deutschlandfunk. Die Versäumnisse der Behörde bei den Ermittlungen der Neonazi-Mordserie müssten aufgeklärt werden. Vor allem die Vernichtung von Akten hätten das Vertrauen der Abgeordneten und der Öffentlichkeit erschüttert. "Es darf natürlich das, was passiert ist, nicht passieren. Deswegen muss es da auch Konsequenzen geben", sagte Friedrich.

Die Behörde sei ja nicht für sich selbst da, sondern für die Information der Abgeordneten als Vertreter der Bevölkerung. Man müsse die Vorgänge im Verfassungsschutz "sehr kritisch anschauen". Da gebe es Änderungsbedarf.

Auch andere Politiker zeigen sich erschüttert vom Ausmaß des Skandals. "Wir sind nahe an dem Zeitpunkt, zu dem geprüft werden muss, inwiefern die Parlamentarier auch juristisch gegen falsche Aussagen und Vertuschung vorgehen können", sagte der Bundestagsabgeordnete Patrick Kurth, der für die FDP im Untersuchungssausschuss sitzt, zur Mitteldeutschen Zeitung.

Grünen-Chef Cem Özdemir sagte dem Hamburger Abendblatt: "Der Verfassungsschutz auf Bundes- und Landesebene gehört komplett auf den Prüfstand." Die vergangenen Monate hätten gezeigt, dass die Aufklärung und Erneuerung allein aus der Behörde heraus nicht funktioniere. Der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele will V-Männer auch vor dem NSU-Untersuchungsausschuss hören. "Nach 10, 12, 14 Jahren kann es nicht sein, dass V-Leute oder V-Leute-Führer nicht mehr aussagen dürfen", sagte Ströbele am Rande einer Ausschusssitzung. "Es kann nicht sein, dass wir das auf unseren Ermittlungsbeauftragten abschieben", kritisierte Ströbele. Dieser vom Ausschuss eingesetzte Beauftragte, ein ehemaliger Richter, soll laut Unionsobmann Clemens Binninger Einblick in die Klarnamendatei der Verfassungsschützer nehmen.

Edathy beschuldigt Bouffier

Sebastian Edathy macht auch Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) schwere Vorwürfe. Er habe sich im Zusammenhang mit einem 2006 in Hessen verübten Mord zu Unrecht auf die Seite des Verfassungsschutzes gestellt. Die Polizei habe den Nachrichtendienst um Informationen gebeten, nachdem einer seiner Mitarbeiter als Zeuge des Mordfalls ermittelt worden war. "Das ist abgelehnt worden vom Verfassungsschutz mit der Begründung, das sei nur ein Mordfall. Das sei nicht wichtig genug, dass der Verfassungsschutz der Polizei helfen muss." Am Ende sei das vom damaligen hessischen Innenminister Bouffier entschieden worden, "und der hat es so gesehen, wie der Verfassungsschutz. Und das ist, ehrlich gesagt, die Verhinderung von Strafverfolgung im Amt."

CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach sagte, der Rücktritt Fromms erledige das Thema keineswegs. "Allein bei persönlichen Konsequenzen für den Präsidenten wird es wohl nicht bleiben können", sagte er dem Kölner Stadt-Anzeiger. Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Ole Schröder (CDU), forderte im Hamburger Abendblatt Konsequenzen für die Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern.

Hamburgs Leiter der Verfassungsschutzbehörde, Manfred Murck, sprach sich für eine Stärkung der Landesämter aus. "Nicht überall ist eine Zentralisierung der Arbeit fachlich angebracht und effizient", sagte Murck der Zeitung. "Gerade in vielen operativen Aufgaben sollten künftig eher die vor Ort besser aufgestellten Landesämter gestärkt werden. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, fragte, ob es eine Verquickung des Verfassungsschutzes mit den Terroristen gab. Nachdem der NSU aufgeflogen sei, habe er noch sehr viele Fragezeichen hinter diesen Verdacht gemacht. "Heute kann ich maximal noch ein Fragezeichen machen. Ich habe heute überhaupt kein Vertrauen mehr in die Sicherheitsorgane - in den Verfassungsschutz schon gar nicht", sagte Kolat der Berliner Zeitung.

Die hessische Regierung zeigte sich unterdessen empört über die Vorwürfe Edathys an Bouffier. Hessens Regierungssprecher Michael Bußer bezeichnete sie als Unverschämtheit. Er nannte den Vorwurf der Behinderung der Strafverfolgung "geradezu absurd". Zum damaligen Zeitpunkt habe es nach Abstimmung mit den Sicherheitsexperten zwingende Gründe gegeben, den Quellenschutz zu beachten. Trotzdem sei ein Weg gefunden worden, wie diese Quellen trotzdem befragt werden konnten. Bußer warnte Edathy davor, den Ausschuss-Vorsitz politisch zu instrumentalisieren.

Bouffiers Stellvertreter Jörg-Uwe Hahn (FDP) stellte sogar die Eignung Edathys als Ausschussvorsitzender infrage. Er sagte, er habe noch nie erlebt, dass ein Vorsitzender eines solchen Ausschusses "in einer solchen Dreistigkeit eine solche Bewertung vorgenommen hat, bevor Zeugen befragt wurden". Die CDU-Landtagsfraktion legte dem SPD-Politiker nahe, sein Amt als Ausschussvorsitzender niederzulegen. Zudem müsse überprüft werden, ob seine Aussagen den Straftatbestand der Verleumdung erfüllten, sagte der Fraktionsvorsitzende Christean Wagner.

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