Nach Lindners Rücktritt:Union baut auf Schlitzohr Brüderle

Überraschung ja, Panik nein: Die Union hat bereits ihre Erfahrungen mit den Kapriolen des Koalitionspartners und bleibt nach dem Rücktritt von Generalsekretär Lindner ruhig. CDU und CSU haben aber noch einen anderen Grund für ihre Gelassenheit: Rainer Brüderle. Es wird sogar spekuliert, ob eine Neuordnung der FDP die Lage nicht eher verbessert statt verschlechtert.

Stefan Braun, Berlin

Es hat verblüfft, es hat ein bisschen ratlos gemacht. Aber es hat keine Panik ausgelöst bei den Christdemokraten. Als sich am Mittwoch die Nachricht vom Rücktritt des FDP-Generalsekretärs ausbreitet, überrascht das die Kanzlerin und die Unionsführung. Von Hektik, gar Verunsicherung ist dennoch wenig zu spüren. "Alles, was Unruhe schafft, ist nicht schön", heißt es dazu aus Angela Merkels Parteiführung. Zugleich aber träfen die neuesten Verwerfungen bei den Liberalen auf eine Union, die in zwei Jahren gemeinsamer Regierungsarbeit doch schon ziemlich viele Erfahrungen gesammelt habe, um die Kapriolen bei der FDP einigermaßen unberührt auszuhalten. Außerdem gebe es durch den Rücktritt eines Generalsekretärs erst mal "keine unmittelbare Berührung mit der Regierung", wie führende Christdemokraten immer wieder erklären.

Philipp Rösler, Rainer Brüderle, Guido Westerwelle

In der Krise der FDP gilt dem Koalitionspartner Rainer Brüderle (Mitte; links daneben Parteichef Rösler, rechts daneben Außenminister Westerwelle) als stabilisierender Faktor.

(Foto: dpa)

Technisch gesprochen ist das richtig; in normalen Zeiten kann ein Generalsekretär ausgetauscht werden, ohne dass die Partner das allzu sehr beschäftigen müsste. Doch weil die Zeiten alles andere als normal sind, weil in der Euro-Schuldenkrise gerade eine stabile Regierung dringend nötig wäre, hat natürlich auch die CDU-Führung am Mittwoch immer wieder konferiert, überlegt und beratschlagt, welche Weiterungen Lindners Rücktritt haben könnte.

Dabei bleibt für alle eines von zentraler Bedeutung: Dass die Bundestagsfraktion durch die Geschehnisse nicht wackelt. "Für uns ist entscheidend, ob Rainer Brüderle und die Fraktion stehen - und das tun sie", heißt es aus der Spitze der Unionsfraktion. "Die wollen mit aller Macht an der Macht bleiben, deshalb glauben wir fest daran, dass die Fraktion nicht wackeln wird." Solange Lindners Rücktritt dies nicht gefährdet, machen sich die Partner in CDU und CSU keine sonderlich großen Sorgen.

Damit kehren führende CDU-Politiker zu jener Einschätzung zurück, die sie vor zwei Jahren in die Koalitionsverhandlungen mit der FDP mitgebracht hatten: dass Brüderle der stabilste Faktor ist, der den Laden auch in einer Regierung am ehesten zusammenhalten könnte. Das war für ebendiese Christdemokraten nicht nur ein schöner Gedanke; die meisten halten den FDP-Fraktionschef für ein ausgebufftes Schlitzohr. Gleichzeitig haben sie ihn gerade zuletzt im Parlament wie in den Koalitionsrunden als den verlässlichsten Partner erlebt, der Wort hält und dessen Truppen stehen, wenn es drauf ankommt.

Eine Einschätzung und Hoffnung ist das, auf die sich die Unionsparteien auch beim Blick auf den FDP-Mitgliederentscheid immer gestützt haben. Obwohl dessen Ausgang tatsächlich erst nach der Auszählung endgültig feststeht, gehen die meisten führenden Koalitionspolitiker der Union davon aus, dass hier keine Gefahr mehr droht. Sollte das am Ende indes doch noch der Fall sein, glauben sie fest daran, dass Brüderle seine FDP-Fraktion trotzdem auf dem bisherigen Euro-Rettungskurs halten würde.

Das offensichtlich gewachsende Vertrauensverhältnis insbesondere zwischen den Fraktionsführungen von Union und FDP hat zu der Einschätzung geführt, dass eine weitere Stärkung Brüderles für die Koalition mit Abstand das Beste wäre. Entsprechend verbreiten sich am Mittwoch schnell Spekulationen, Lindners Rücktritt könnte die Lage verbessern statt verschlechtern - und das nicht, weil Lindner weg ist (das glauben die wenigsten), sondern weil seinem Schritt ein noch größerer Umbau folgen könnte - zugunsten Brüderles.

Und doch, so sehr manche Christdemokraten mit den neuen Verwerfungen beim Partner sofort neue Spekulationen verbinden: Offiziell haben sie sich der Rolle des teilnehmenden Beobachters verschrieben. Kein Wort, keine Einmischung, keine falschen Reaktionen provozieren, lautet das von oben ausgegebene Prinzip des Umgangs. Entsprechend ist nur leise zu hören, dass es für die Koalition derzeit egal sei, ob die FDP in den Umfragen bei drei oder bei 1,5 Prozent liege. Wichtiger sei, dass etwas geschehe. Ein führendes Mitglied der Unionsfraktion sagt: "Eigentlich kann es mit der FDP von hier aus ja nur noch besser werden."

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