Nach Kandidatenkür bei Rot und Grün:Planspiele in allen Farben

Es ist 2013. Der Bundeskanzler heißt Peer Steinbrück, der Finanzminister Jürgen Trittin, die Arbeitsministerin Katrin Göring-Eckardt - und der Justizminister Wolfgang Kubicki, FDP. Wie bitte? Ja, im Moment sieht es nicht gerade nach einer rot-grünen Mehrheit aus - selbst dann, wenn es Angela Merkel nicht gäbe.

Nico Fried

Vielleicht malen sich seit diesem Wochenende schon manche Sozialdemokraten und Grüne vor ihrem geistigen Auge aus, wie in einem Jahr eine neue Regierung aussehen könnte: Der Bundeskanzler heißt dann Peer Steinbrück, der Finanzminister Jürgen Trittin, die Arbeitsministerin Katrin Göring-Eckardt. Frank-Walter Steinmeier wird bestimmt auch noch was, hängt ein bisschen davon ab, welche Ressorts die Grünen noch wollen. Justizminister wäre Wolfgang Kubicki, FDP. Wie bitte? Und wieso ist Rainer Brüderle wieder Wirtschaftsminister? Tja, sorry Leute, aber für eine rot-grüne Mehrheit hat es dann doch nicht gereicht.

Man muss schon realistisch bleiben. Und die Realität ist jetzt und hier: Elf Monate vor der Bundestagswahl haben sich SPD und Grüne an der Spitze personell aufgestellt - die Sozialdemokraten im sehr kleinen Kreis, in dem am Ende einer übrig blieb; die Grünen in einer Urwahl, an der sich 35 000 Mitglieder beteiligt haben. Nicht nur bis zur Regierungsübernahme ist es für beide Parteien noch ein weiter Weg - schon bis zur Regierungsfähigkeit ist die Strecke, die vor SPD und Grünen liegt, ganz beachtlich. Und zwar selbst dann, wenn wir jetzt mal so tun, als ob es Angela Merkel gar nicht gäbe.

Die Auswahlverfahren endeten in beiden Parteien mit Überraschungen: Peer Steinbrücks Karriere in der ganz großen Politik schien mit dem Ende der großen Koalition 2009 vorbei zu sein. Entsprechend verhielt er sich auch: Mit seiner Partei rechnete er ab, mit seiner Popularität schaffte er sich ein finanzielles Pölsterlein für den zu erwartenden Ruhestand. Der Kanzlerkandidat Steinbrück war dem Menschen Steinbrück selbst eine Überraschung. Mit den Konsequenzen hat der Mensch Steinbrück nun nach seiner Rückkehr in die Politik zu kämpfen. Ausgang offen.

Bei den Grünen fällt vor der eigentlichen Überraschung zunächst auf, wie viel Ironie in dem Ergebnis liegt: Es war die Parteivorsitzende Claudia Roth, die mit ihrer Kandidatur die Urwahl überhaupt erst erzwang, bei der sie nun so brutal unterlegen ist. Und es war ausgerechnet Katrin Göring-Eckardt, die bis zuletzt gegen eine Urwahl argumentierte und stattdessen ein Team vorschlug. So demokratisch die Abstimmung verlief, so wenig stimmen nun Beschwichtigungen, dass niemand beschädigt worden sei. Ausgang ebenfalls offen.

Göring-Eckardt muss Rollen tauschen

Göring-Eckardt schien bereits nach dem Ende der Schröder-Regierung ihre Zeit in der ersten Reihe der Partei hinter sich zu haben. Noch schneller, als sie unter Rot-Grün zur Fraktionsvorsitzenden aufgestiegen war, wurde sie danach beiseite gedrängt. Ihr Kirchenamt und die Vizepräsidentschaft im Bundestag machten sie eher überparteilich und noch vor wenigen Monaten sogar zu einer möglichen Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten. Auf sie wartet jetzt ein Rollentausch, der dem Wechsel eines Badminton-Spielers zum Tennis gleicht.

Göring-Eckardt ist eine gute Wahl für die Grünen, weil sie Mut bewiesen hat, als sie in eine scheinbar aussichtslose Abstimmung ging; weil sie jünger ist als ihre Konkurrentinnen, weil sie weniger verbissen wirkt als manche Unterlegene und sympathischer als ihr künftiger Co-Kandidat Jürgen Trittin. Erklärungsbedürftig bleibt ihre Distanzierung von einer rot-grünen Reformpolitik, die sie selbst mit vorangetrieben hat. Und besonders spannend wird zu beobachten sein, wie sich Göring-Eckardt, aber auch Trittin positionieren, wenn die rot-grüne Machtoption so vage bleibt, wie sie es derzeit ist.

Das Personal für ein rot-grünes Projekt ist an diesem Wochenende jedenfalls nicht entstanden. Im Gegenteil: Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, versteckte in seinem Glückwunsch an beide Spitzenkandidaten der Grünen den verräterischen Hinweis, dass er sich auf die Auseinandersetzungen zwischen Steinbrück, Trittin und Merkel im Bundestag freue. Göring-Eckardt soll im Parlament offenbar schweigen. Sie gilt den Sozialdemokraten als zu soft, zu frömmelnd und vor allem als verkappte Sympathisantin einer schwarz-grünen Koalition.

Und da kommt doch noch mal Angela Merkel ins Spiel. Die Kanzlerin wird wieder einen Wahlkampf in der Mitte führen, ganz nah an der SPD. Das hat für sie zwei Vorteile: Die FDP bekommt genügend Platz, um sich über die Fünf-Prozent-Hürde zu retten. Wenn es aber doch nicht reicht, werden die SPD, aber mehr noch die Grünen große Schwierigkeiten haben, außer dem Betreuungsgeld noch weitere Themen zu finden, die sie von der Union unüberwindbar trennen. Und so könnte es in einem Jahr noch eine weitere Überraschung geben: Wolfgang Kubicki wird doch nicht Minister.

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