Nach gescheiterten Sondierungen:Eine Neuauflage von Jamaika funktioniert nicht

SondierungsgesprâÄ°che

Nach dem Jamaika-Aus politisch angeschlagen: Kanzlerin Merkel und CSU-Chef Seehofer.

(Foto: Maurizio Gambarini/dpa)

Gegen einen zweiten Versuch sprechen nicht nur die liberalen Hyper-Egos, sondern auch die schwierige Lage von Bundeskanzlerin Merkel und CSU-Chef Seehofer.

Kommentar von Kurt Kister

Ein Mann hat einen Traum. Er will Emmanuel Macron sein oder wenigstens Sebastian Kurz. Er ist aber nur Christian Lindner.

Nein, man soll den Einfluss von Personen auf politische Vorgänge nicht überbewerten. Wenn aber in einem sehr kleinen Kreis von Parteioberen entscheidende Gespräche geführt werden, und die Vertreter einer Partei sind beide narzisstisch veranlagte Rollenspieler, dann hat dies Auswirkungen. Der eine, Wolfgang Kubicki, ist als Held der Talkshows hinlänglich bekannt. Der andere, Lindner, inszeniert die Flucht aus der Verantwortung gerne als mutigen Opfergang. So hat er es 2011 gemacht, als er, damals FDP-Generalsekretär, seinem Chef Philipp Rösler die Brocken hinwarf; so hat er es in der Nacht zum Montag wieder getan.

Das Spitzenpersonal, nicht nur bei der FDP, ist ein erhebliches Hindernis für die nach dem Sonntagsdesaster eigentlich am nächsten liegende Möglichkeit: abkühlen, durchschnaufen, noch einmal probieren. So macht man das in der Familie, in der Firma und durchaus auch in der Politik - vor allem dann, wenn andere Optionen schlechter sind oder sie ohnehin nur dahin zurückführen, wo man glaubte, nicht mehr weiterzukommen.

Seehofer ist politisch der dead man walking der CSU

Leider sprechen gegen den pragmatischen Noch-einmal-Ansatz nicht nur die liberalen Hyper-Egos, sondern auch die jeweils prekäre Lage der Chefin und des Chefs von CDU und CSU. Horst Seehofer ist politisch der dead man walking der CSU. Sein größter strategischer Fehler, der impulsive, aber planlose Kampf gegen Merkel, hat die CSU unglaubwürdig gemacht. Die Quittung war das katastrophale Wahlergebnis in Bayern, bei dem die Partei auf allen Flanken verlor, nicht nur auf der rechten. Es herrscht Chaos, und der Profilierungsstreit in der CSU trug zum Scheitern der Sondierung bei.

Seehofers Tage also sind gezählt; er wird gehen oder gestürzt werden. Es gibt eine Handvoll Leute, die ihn dringend beerben wollen. Bei Angela Merkel ist dies anders. Zwar verantwortet auch sie eine veritable Wahlniederlage; die CDU aber führt bisher keine ernsthafte Nachfolgedebatte. Das hat damit zu tun, dass in der CDU niemand vom Format Merkels in Sicht ist, auch weil die Kanzlerparteichefin Nachfolgepolitik bisher eher nach dem Rübe-ab-Prinzip betrieben hat.

In den Sondierungsgesprächen war sie die Maklerin zwischen dem politisch-kulturell nahezu verfeindeten Trio CSU, FDP und Grüne. Sie ist eine gute Maklerin, aber für eine Koalition aus Antagonisten reicht das nicht. Merkel ist müde geworden; nach Jahren an der Spitze vermittelt sie den Eindruck, es gebe eigentlich nur wenig zu verändern. Wer mit dieser Einstellung FDP und Grüne oder Grüne und CSU zur Kooperation bringen will, legt den Grundstein für ein Scheitern. Für Seehofer ist es jetzt schon zu spät. Für Merkel ist es dann zu spät, wenn sie in den nächsten Wochen und gar bei Neuwahlen weiter nur als Status-quo-Kanzlerin auftritt.

Die SPD weiß nach dem Schulz-Desaster immer noch nicht, wer sie ist

Die Grünen schließlich - nun ja, sie haben sich bemüht. Mutmaßlich hätten die Verhandler enorme Schwierigkeiten bei einem Parteitag bekommen, der zum Beispiel eine modifizierte Obergrenze bei den Flüchtlingen als Teil der Koalitionsvereinbarung hätte absegnen müssen. Möglicherweise wäre Jamaika auch daran gescheitert. Spekulationen darüber aber sind müßig. Obwohl es auch bei den Grünen Lindnerismus der Freiburger oder Göttinger Spielart gibt, waren die Grünen bei den Sondierungsgesprächen zumindest beweglich.

Wenn es keine Neuauflage des Jamaika-Versuchs geben sollte, wären auch Gespräche zwischen Union und SPD möglich. Allerdings wissen die Sozialdemokraten seit ihrem Schulz-Desaster - der 100-Prozent-SPD-Chef mit einem 20-Prozent-Wahlergebnis - immer noch nicht, wer sie sind. Sie sind von heftiger Ausschließeritis befallen, wie sie gerade per Vorstandsbeschluss wieder bewiesen haben. Trotzdem aber gibt es nach wie vor zwischen der Union und der SPD in vielen Bereichen größere Übereinstimmung als zwischen den Jamaika-Parteien. Das beliebte Argument, "die" Wähler hätten kein Mandat für eine große Koalition im Bund erteilt, ist so valide, wie es das etwa in Niedersachsen ist. Dort wurde auch keine große Koalition "gewählt", aber dennoch haben sich beide Parteien aus Verantwortung gegenüber ihren Wählern und dem Land dafür entschieden. Mit Schulz allerdings wird das nicht gehen; vielleicht auch nicht mit Merkel.

Über Neuwahlen wird viel zu leichtsinnig dahergeredet

Eine Minderheitsregierung von Union und FDP würde bedeuten, dass sie manchmal auch von der AfD toleriert werden würde - zum Beispiel beim Familiennachzug für Flüchtlinge. Der Rechtspartei mit ihren extremen Ausfransungen diese Mitwirkung zu ermöglichen, bedeutete einen Dammbruch für alle überzeugten Demokraten. Das wäre falsch, ja fatal. Die andere Variante - eine schwarz-grüne Minderheit - wäre ebenfalls nicht praktikabel, vor allem wegen der CSU.

Und die Neuwahlen, die jetzt so viele fröhlich fordern, auch wenn der Bundespräsident zu Recht diese Nonchalance kritisiert? Die Beteiligung würde wohl abnehmen, denn viele Leute hätten das Gefühl, dass man ihre Wahlentscheidung sowieso nicht ernst nimmt. Außerdem deutet kaum etwas darauf hin, dass es grundsätzliche Verschiebungen im Wahlverhalten gäbe. Die Union würde ein paar Prozentpunkte verlieren; die SPD als Raushaltepartei nur wenig gewinnen. Für eine Zweierkoalition wird es nicht reichen; für Rot-Rot-Grün auch nicht (da müsste die SPD deutlich über 25 Prozent kommen). Die AfD wäre das Problem Petry los und würde vielleicht zulegen, es sei denn, sie verlöre an die FDP (nicht unwahrscheinlich).

Tja, und was bleibt dann? Ganz genau: Nach einer Wahl im März oder April 2018 müssten sich entweder Union und SPD auf eine große Koalition verständigen - oder es würden wieder Jamaika-Sondierungen beginnen. Vielleicht fielen die dann mit der Erfahrung aus diesem Herbst nicht ganz so schwer.

Eine deutsche Krise ist das alles noch nicht. Es wird in absehbarer Zeit eine Regierung geben, und im Vergleich zu Österreich rückt das Land weder nach rechts, noch gibt es ähnlich volatile Verhältnisse wie in Italien oder Frankreich, wo "Bewegungen" die Parteien ersetzen. Trotzdem wären weniger Lindnerismus und weniger Nein-das-machen-wir-nicht-Trotz gut. Vor allem aber müsste das Verständnis dafür wachsen, dass eine Bundesregierung nicht nur eine Veranstaltung zur Befriedigung von Parteiinteressen ist.

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