Nach tödlichen Fan-Krawallen in Ägypten:"Wir werden nie wieder Fußball spielen"

In Port Said stürmen die Fans des heimischen Teams Al-Masry den Rasen - und machen Jagd auf die Spieler der Mannschaft Al-Ahly. Mindestens 71 Menschen sterben, 1000 werden verletzt. Nun wollen sich die Spieler von Al-Ahly aus dem Profisport zurückziehen. Derweil sucht Ägypten nach einem Schuldigen: Viele sind wütend auf die Sicherheitskräfte. Die Muslimbruderschaft vermutet, dass Anhänger des früheren Regimes für die Krawalle verantwortlich sind.

Die Spieler der Kairoer Fußballmannschaft Al-Ahly stehen noch unter Schock: Nach den Fan-Ausschreitungen nach einem Fußballspiel im ägyptischen Port Said mit mindestens 74 Toten wollen sie sich offenbar aus dem Profisport zurückziehen. "Es ist vorbei. Wir haben alle eine Entscheidung getroffen, dass wir nie mehr wieder Fußball spielen werden", sagte Torwart Sherif Ikrami dem privaten Fernsehsender ONTV.

Tote und Verwundete seien am Mittwochabend in die Umkleidekabine getragen worden. "Da sind Leute vor unseren Augen gestorben", sagte Ikrami, der selbst bei den Krawallen verletzt wurde. Wie könne es möglich sein, da wieder Fußball zu spielen. "Wir können überhaupt nicht daran denken."

Derweil haben zahlreiche Menschen in der Nacht zum Donnerstag in Kairo gegen die mutmaßliche Nachlässigkeit der Sicherheitskräfte protestiert. Vor dem Gelände des Fußballvereins Al-Ahly skandierten Aktivisten Parolen, in denen der regierende Militärrat kritisiert wurde.

Hunderte versammelten sich zudem vor dem Hauptbahnhof, um aus der Mittelmeerstadt Port Said ankommende Verletzte zu empfangen. Auch in Port Said selbst kam es zu Protesten, in denen die Gewalt nach dem Ende des Erstligaspiels verurteilt wurde. Für Donnerstag wurde eine Demonstration vor dem Innenministerium in Kairo angekündigt.

Das ägyptische Staatsfernsehen berichtet, dass nun Soldaten in der nordägyptischen Stadt Port Said weitere Unruhen verhindern sollen. Der Chef des Militärrats, Mohammed Hussein Tantawi, kündigte eine Untersuchung der Vorfälle an. Die Schuldigen für die blutigen Zusammenstöße zwischen den Anhängern der Fußballmannschaften sollen bestraft werden, betonte er. Nach Worten von Innenminister Mohammed Ibrahim wurden bereits 47 Verdächtige festgenommen. Das ägyptische Parlament will am heutigen Donnerstag zu einer Krisensitzung zusammenkommen.

Sicherheitschef von Port Said angeblich entlassen

Die Muslimbruderschaft, die die stärkste Fraktion stellt, betonte in einem auf ihrer Website veröffentlichten Statement, dass Kräfte am Werk seien, die in enger Verbindung zu dem früheren Regime von Präsident Husni Mubarak stünden. Sie riefen den regierenden Militärrat auf, alle Maßnahmen zum Schutz der Menschen in Ägypten zu ergreifen. Zudem müsse untersucht werden, welche Verantwortung die Polizei an der Eskalation trage.

Ein für die öffentliche Sicherheit zuständiger Militärvertreter, Ahmed Gamal, wies in der Tageszeitung Al-Tahrir jegliche Schuld zurück. Es habe einen guten Sicherheitsplan bei dem Fußballspiel gegeben, sagte er. Doch der Gewaltausbruch nach Abpfiff sei nicht mehr einzudämmen gewesen.

Er verglich die Ereignisse mit dem Beginn der heftigen Massenproteste am 25. Januar vor einem Jahr gegen Mubarak, die schließlich zum Sturz des Machthabers führten. Die Nachrichtenagentur AFP berichtet, der Chef der Sicherheitskräfte in der Stadt Port Said sei inzwischen entlassen worden.

"Treffen der Vergeltung"

Die Ausschreitungen begannen unmittelbar, nachdem das Spiel zwischen den Teams Al-Masry und Al-Ahly bei einem Stand von 3:1 abgepfiffen worden war. Zuschauer stürmten auf den Platz und machten Jagd auf Spieler des Kairoer Klubs Al-Ahly. Viele Menschen wurden totgetrampelt oder erdrückt.

Laut Gesundheitsministerium wurden mindestens 1000 Menschen verletzt. Etwa 150 waren in der Nacht zum Donnerstag in kritischem Zustand. Der Sender al-Arabija sprach am späten Abend von 77 Toten. Andere Medien gaben die Zahl der Opfer mit 74 an, am Donnerstag wurde die Zahl der Toten von offizieller Seite auf 71 Menschen korrigiert. Das Gesundheitsministerium erklärte, dass zunächst drei Tote zu viel gezählt worden seien. Unter den Toten sollen auch Sicherheitskräfte sein.

Der ägyptische Fußballverband EFA setzte vorerst alle Spiele aus. Der portugiesische Al-Ahly-Trainer Manuel José sagte, er habe Dutzende von Toten gesehen. Zahlreiche schwerverletzte Fans seien von Ärzten seines Vereins behandelt worden, viele seien dabei in der Umkleidekabine gestorben.

"Die Schuld hat einzig und allein die Polizei. Es waren Dutzende im Stadion, aber die sind plötzlich alle verschwunden oder haben gar nichts unternommen", sagte der 65-Jährige kurz nach den Zwischenfällen in einem Telefon-Interview mit dem portugiesischen TV-Sender SIC.

Al-Ahlys Ko-Trainer Oscar Elizondo sprach von politisch gefärbter Gewalt. "Es gibt viel Hass", sagte er. Das Verhalten der Polizei bezeichnete er als Schande: "Es gab 3000 Polizisten und wohl niemand wurde verhaftet." Spieler und Trainer seien in "Militärfahrzeugen, die wie Kriegspanzer aussahen", aus dem Stadion gebracht worden. In einem Stadion in Kairo brach unterdessen ein Feuer aus, nachdem das dortige Fußballspiel als Reaktion auf die Ereignisse in Port Said abgebrochen worden war.

Das Spiel in Port Said war bereits vor Beginn von regionalen Zeitungen als "Treffen der Vergeltung" bezeichnet worden. Al-Ahly zählt zu den bekanntesten und wichtigsten Fußballvereinen in Ägypten und war lange Zeit ungeschlagen.

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