Nach der NRW-Wahl:Was Krafts Sieg für die SPD bedeutet

Seit Sonntag, 18 Uhr, hat die SPD ein neues Machtzentrum: Nordrhein-Westfalen. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft holt bei der Landtagswahl 39 Prozent und wird damit zur einflussreichsten Politikerin der Sozialdemokraten. Das ist nicht allein ihr Verdienst. Und es ist auch unklar, was sie damit anfangen will.

Michael König, Düsseldorf

Es wird viel gesungen am Sonntagabend im Düsseldorfer Medienhafen. "So sehen Sieger aus", skandieren die Genossen, als Hannelore Kraft um 18:27 Uhr auf der Wahlparty der SPD die Bühne betritt. Die alte und neue Ministerpräsidentin wischt sich ein paar Freudentränen aus den Augen und dreht sich zu Ehemann Udo und Sohn Jan um: "Alles klar?" Beide nicken. Dann kann es ja losgehen: "Liebe Genossinnen und Genossen, was für ein schöner Abend."

Hannelore Kraft

Nein, das war alles kein Traum: Hannelore Kraft freut sich am Tag nach der Wahl im Berliner Willy-Brandt-Haus über ihr Ergebnis.

(Foto: dpa)

39 Prozent, 13 Punkte mehr als die Union, hatten Kraft und die SPD bei der Wahl eingefahren. Gemeinsam mit den Grünen reicht es locker für eine Mehrheit. Wenn man die absolute Mehrheit in Hamburg beiseitelässt, ist es das beste Ergebnis der Sozialdemokraten seit langem. Kraft, die auf dem Bundesparteitag im Dezember 2011 mit 97,2 Prozent das beste Ergebnis aller stellvertretenden Parteivorsitzenden erhalten hatte, macht in der Macht-Hierarchie der SPD noch einmal einen Schritt nach vorne. Sie wird jetzt als Kanzlerkandidatin gehandelt. Ihre männlichen Konkurrenten Gabriel, Steinbrück und Steinmeier haben noch nie eine Wahl gewonnen. Kraft schon - und wie.

Ihr Erfolg lässt sich am Zustand der Union messen, die am Sonntagabend einem Trümmerhaufen gleicht. Mit 26 Prozent erreicht sie das schlechteste NRW-Ergebnis ihrer Geschichte. "Über eine Regierungsbeteiligung brauchen wir derzeit nicht einmal nachdenken", stöhnt einer aus dem CDU-Landesvorstand. Nur neun Minuten nach der ersten Hochrechnung tritt Krafts Herausforderer Norbert Röttgen von seinem Posten zurück. "Hit the road, Jack", singt eine Band zu späterer Stunde auf der SPD-Wahlparty. "Hau ab, Jack." Kraft kommt auf die Bühne und singt ein bisschen mit.

Sie wird das nicht böse gemeint haben. Es wäre nicht ihre Art. Ihr Wahlkampf war geprägt von einem versöhnlichen, landesmütterlichen Ton. Im Zwiegespräch mit Journalisten kann Kraft ungeheuer patzig werden, in der Öffentlichkeit ist sie allenfalls direkt. Wer bei ihren Anhängern nachfragte, bekam stets die gleichen Antworten: Die Ministerpräsidentin sei "authentisch", "gradlinig".

Zur Gradlinigkeit in der Politik ist Kraft jedoch immer auch ein wenig gezwungen worden. Als Schülerin wollte sie aufs Gymnasium und Abitur machen, was ihr gelang. Doch anschließend Jura studieren? Das war ihr eine Nummer zu groß. Also doch erst eine Banklehre. Und dann doch studieren, Wirtschaftswissenschaften. In Duisburg, das war nah an ihrer Heimat Dümpten, einem Stadtteil von Mülheim an der Ruhr. Aber dann ging sie doch ein Jahr ins Ausland, nach London. Um dann doch in Duisburg zu arbeiten.

Was ist mit 2017?

In die SPD trat Kraft erst 1994 ein, mit 33 Jahren. Da war ihr möglicher neuer CDU-Herausforderer, Karl-Josef Laumann, schon 20 Jahre aktiv. Richtig los ging Krafts Karriere im Jahr 2000, als sie in den Landtag einzog. 2001 wurde sie Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten, später für Wissenschaft und Forschung. 2005, als die SPD krachend die Landtagswahl verlor und Jürgen Rüttgers die "Herzkammer der Sozialdemokratie" für die Union gewann, galt sie plötzlich als Hoffnungsträgerin. Die SPD hatte in all den Jahren an der Regierung abgewirtschaftet, galt als verfilzt und verbraucht. Hannelore Kraft allerdings, die Spätberufene, wurde von diesen Vorwürfen ausgenommen.

"Dass ich Politik zu meinem Beruf mache, war nicht beabsichtigt", sagt Kraft. Es ergab sich halt so. So war das auch 2010, als Rot-Grün bei der Landtagswahl knapp die Mehrheit verpasste. Kraft wünschte sich anschließend eine große Koalition oder eine "Ampel" mit der FDP. Als das nichts wurde, drängte sie ihre Freundin Sylvia Löhrmann in die Minderheitsregierung. Die grüne Spitzenkandidatin hat daraus einen - physikalisch völlig unsinnigen - Wahlkampf-Slogan für 2012 gemacht: "Jede Kraft braucht einen Antrieb".

Auch als die Koalition Mitte März 2012 zu scheitern drohte, wirkte Kraft nur bedingt gradlinig. Sie wollte wohl keine Neuwahlen. Es gab Gespräche mit der FDP. Erst als die sich verweigerte, schwenkte Kraft auf "klare Kante" um, wie sie das später selbst nannte.

Letztlich hat Kraft alles richtig gemacht. Aber es war nicht immer allein ihr Verdienst. Sie braucht ein Korrektiv an ihrer Seite.

"Eine coole Mama"

Im Düsseldorfer Landtag ist das Löhrmann. Im Wahlkampf war das ein Stück weit ihr Sohn Jan, 19 Jahre alt und angehender Student. Kraft schirmt ihr Privatleben eigentlich rigoros ab, ihr Mann Udo trat nicht in Erscheinung. Aber der Sohn wich ihr in der letzten Wahlkampfwoche nicht von der Seite. Er war für Journalisten ansprechbar, natürlich, kein Problem. "Eine coole Mama" habe er, sagte der hochgewachsene Sohn dann. Oder, zur Wahl seiner Universität: "Wäre eigentlich blöd, wenn ich außerhalb von NRW studiere, wo meine Mutter jetzt die Studiengebühren abgeschafft hat."

Womöglich zieht es Jan Kraft aber doch ins baden-württembergische Freiburg, er schwärmt von der Stadt. Und seine Mutter? Die wird nun in Berlin als Kanzlerkandidatin gehandelt. Sie hat das für 2013 verneint und wird sich daran halten, um ihr größtes Pfund, ihre Glaubwürdigkeit, nicht zu beschädigen.

Was ist mit 2017? Auch das habe sie ausgeschlossen, sagte Kraft im SZ-Interview. Sie gilt vielen Sozialdemokraten ohnehin als zu heimatverwurzelt, um auch in Schleswig-Holstein oder Bayern Stimmen zu sammeln. Aber wenn die Umstände es so wollen, dann würde es zu Kraft passen, wenn sie wieder auf "klare Kante" setzt und antritt. Vorausgesetzt, es treibt sie jemand an.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: