Tunesien:33 Angehörige von Ben Ali verhaftet

Die tunesische Übergangsregierung beseitigt die Spuren von Ben Alis Herrschaft: Dutzende seiner Familienmitglieder wurden verhaftet, politische Häftlinge kamen frei und eine Generalamnestie beschlossen.

Nachdem der tunesische Ex-Präsident Zine el-Abidine Ben Ali ins saudi-arabische Exil geflohen ist, sind 33 Mitglieder seiner Familie verhaftet worden. Nach einem Bericht des tunesischen Fernsehens werden ihnen "Verbrechen gegen Tunesien" zur Last gelegt. Der britische Nachrichtensender BBC meldet, die 33 Angehörigen von Ben Ali seinen bei ihrem Versuch, das Land zu verlassen, festgenommen worden.

Tunesien: Tunesien im Umbruch: Demonstranten halten während Protesten im Zentrum der Hauptstadt Tunis die Nationalflagge hoch und fordern die Auflösung von Ex-Präsident Ben Alis Einheitspartei RCD.

Tunesien im Umbruch: Demonstranten halten während Protesten im Zentrum der Hauptstadt Tunis die Nationalflagge hoch und fordern die Auflösung von Ex-Präsident Ben Alis Einheitspartei RCD.

(Foto: AP)

Indes hat die tunesische Übergangsregierung die nächsten Schritte in Richtung Demokratisierung des Landes unternommen. Nach Angaben eines Ministers sind alle politischen Häftlinge aus den Gefängnissen entlassen worden. "Alle politischen Häftlinge wurden heute freigelassen", sagte der neu in die Regierung gekommene Oppositionsführer und Minister für Regionalentwicklung, Najib Chebbi, der Nachrichtenagentur Reuters am Mittwoch. Auch von den Mitgliedern der verbotenen islamistischen Bewegung Ennahda sei niemand mehr in Haft. Die nach dem Sturz von Präsident Zine el-Abidine Ben Ali gebildete Übergangsregierung hatte die Freilassung der aus politischen Gründen Inhaftierten kurz nach Amtsantritt zugesagt.

Die Übergangsregierung beschloss außerdem eine Generalamnestie für politische Häftlinge, die auch für verurteilte Islamisten gelten soll. Sie müsse aber noch vom Parlament gebilligt werden, erklärte Nejib Chebbi. Zudem werde es ab Freitag eine dreitägige Staatstrauer für die zahlreichen Opfer des Volksaufstands geben.

Die Amnestie soll auch der bislang verbotenen Bewegung Al-Nadha den Weg auf die politische Bühne ebnen, die vorerst nicht an der Übergangsregierung beteiligt ist. Zudem beschloss das Kabinett, den gesamten "mobilen und immobilen Besitz" der Regierungspartei RCD zu beschlagnahmen, um ihn dem Staat zurückzugeben.

Die Minister beschlossen demnach außerdem, die wegen der Unruhen am 10. Januar geschlossenen Schulen und Universitäten wieder zu öffnen. Der Chef der Partei Ettajdid, Ahmed Ibrahim, kündigte an, dass die Kommission zur Vorbereitung der Wahlen am Freitag ihre Arbeit aufnehmen werde. Gemäß der Verfassung müssen im Fall eines Machtvakuums innerhalb von zwei Monaten Neuwahlen stattfinden, Ghannouchi deutete jedoch bereits an, dass diese erst später abgehalten werden könnten.

Der tunesische Übergangspräsident Foued Mebazaa hat in seiner ersten Ansprache an die Nation einen Neuanfang versprochen. "Ich verpflichte mich persönlich, dass die Übergangsregierung einen totalen Bruch mit der Vergangenheit vollzieht", sagte Mebazaa im nationalen Fernsehen. Mebazaa versprach zudem, alles zu unternehmen, um das Land aus der schwierigen Übergangsphase zu führen. "Damit sich alle legitimen Hoffnungen des Aufstands und dieser Revolution der Freiheit und der Würde realisieren", ergänzte der frühere Parlamentspräsident.

Angesichts der früheren Dominanz der Einheitspartei RCD versprach Mebazaa eine Trennung von Parteien und Staat. Er sicherte Pressefreiheit und eine unabhängige Justiz zu. Die Verantwortlichen für die Gewalttaten der vergangenen Tage seien festgenommen worden.

Mebazaa soll das Land mit seinem Kabinett auf Neuwahlen vorbereiten. Die Übergangsregierung hat jedoch wegen ihrer Besetzung mit Vertretern der alten Nomenklatura Proteste ausgelöst. Am Mittwoch gingen in mehreren Orten des Landes erneut Menschen auf die Straße und forderten die Auflösung der Einheitspartei RCD des geflüchteten Präsidenten Zine el-Abidine Ben Ali. Ben Ali und andere führende Politiker wurden mittlerweile aus der Partei ausgeschlossen.

In Tunis hielten sich die Polizisten erstmals zurück und ließen die Demonstranten gewähren. In den vergangenen Tagen hatte sie noch Tränengas eingesetzt und scharf geschossen.

Währenddessen wird die Luft für den ins Exil geflohenen tunesischen Ex-Präsidenten immer dünner. In Tunesien wurde am Mittwoch gegen den ins Exil nach Saudi-Arabien geflohenen Ben Ali ein Ermittlungsverfahren eröffnet. Es soll klären, ob der 74-Jährige und seine Familie illegal Vermögen anhäuften und ins Ausland schafften.

Die Schweiz hat bereits den Zugriff auf Konten und Immobilien blockiert. Bei der EU werden Maßnahmen beraten, um den demokratischen Wandel in Tunesien zu unterstützen und Vermögen von Ben Ali und seinem Clan zu sperren. In Paris reichten drei Hilfsorganisationen Korruptionsklagen gegen den früheren Machthaber ein. Nach neuen Schätzungen der Vereinten Nationen sind bei den Unruhen in den vergangen Wochen mehr als 100 Menschen ums Leben gekommen.

RCD-Minister verlassen die Partei

In den kommenden Tagen sollen Experten nach Tunesien reisen, um sich ein Bild von der Lage zu machen, sagte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, in Genf. Die tunesische Regierung geht hingegen von 78 Todesopfern während der Demonstrationen aus. Die neue Übergangsregierung, aus der sich mehrere Vertreter der Gewerkschaft und ein führender Oppositioneller noch vor der Vereidigung verabschiedet hatten, verschob eine erste Kabinettssitzung auf Donnerstag.

Wie die Nachrichtenagentur AFP an diesem Donnerstag aus offiziellen Kreisen erfahren hat, sind unterdessen alle Minister, die der Partei RCD des gestürzten Präsidenten Ben Ali angehören, aus der Einheitspartei ausgetreten.

Die tunesische Menschenrechtlerin Sihem Bensedrine hatte zuvor korrupte "Symbolfiguren des alten Regimes" zum Rücktritt aufgefordert. Allerdings stünden nicht alle Staatsdiener des alten Regimes unter Generalverdacht. "Unter ihnen sind doch auch viele Menschen, die sauber geblieben sind, das wissen wir", betonte die Journalistin, die für ihren Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen und Korruption im Gefängnis gesessen hat.

Trotz Ausgangssperre: Der tunesische Alltag normalisiert sich langsam

Fünf Tage nach dem Sturz Ben Alis waren am Mittwoch zahlreiche Geschäfte und Cafés der Hauptstadt wieder geöffnet. Die meisten Tunesier gingen auch wieder zur Arbeit. Die Atmosphäre in Tunis war wesentlich entspannter als in den vergangenen Tagen. Zwar gilt die Ausgangssperre weiter, aber künftig erst ab 20 Uhr. Viele Händler klagen über Einbußen durch die Schließungen der vergangenen Tage. Die Rating-Agentur Moody's stufte Tunesiens Kreditwürdigkeit herunter und änderte die Aussicht wegen der politischen und wirtschaftlichen Lage von stabil auf negativ.

Die Bundesregierung sprach sich für einen schonungslosen Umgang mit Ex-Machthaber Ben Ali aus. Dem 74-Jährigen und anderen ins Ausland geflohenen Mitgliedern seines Clans sollen notfalls alle Konten in der EU gesperrt werden. Deutschland setze sich dafür ein, "dass die EU keinen sicheren Hafen für veruntreutes Staatsvermögen bietet", sagte der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Werner Hoyer (FDP), dem Tagesspiegel.

Ben Ali war am Freitag nach 23 Jahren an der Macht gestürzt worden. Auslöser seines Abgangs waren Massenproteste gegen Korruption und hohe Arbeitslosigkeit, die sich in der vergangenen Woche zu einem Volksaufstand ausgeweitet hatten. Ben Alis Frau Leila soll vor ihrer Flucht mehr als eine Tonne Gold ins Ausland geschafft haben. Die tunesische Zentralbank dementierte jedoch Berichte, wonach Leila das Gold dort abgeholt habe. Die Goldvorräte im Umfang von 5,3 Tonnen seien seit Jahren nicht angetastet worden, hieß es. Einer der Ben-Ali-Getreuen - der Vorsitzende der zweiten Parlamentskammer und frühere Innenminister Abdallah Kallel - war am Mittwoch von der Polizei am Verlassen des Landes gehindert worden. Er steht im Verdacht, einst Gefangene gefoltert zu haben.

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