Nach der Festnahme in Köln:Ein schrecklich unauffälliger Bombenleger

Den Studenten aus Kiel hatte keiner im Visier - mit seiner Ergreifung wird klar, dass die Terrorgefahr in Deutschland eine neue Dimension erreicht hat.

Annette Ramelsberger

Der Junge kommt angeschlendert, mit diesem betont lässigen Gang, der zeigt, wie sicher da einer wirken will. Er hat die langen, schwarzen Haare nach hinten gekämmt und trägt ein Fußballtrikot - die Nummer 13, mit der Michael Ballack immer bei der Fußball-Weltmeisterschaft auflief.

Nach der Festnahme in Köln: Terrorist im Deutschlandtrikot: Der festgenommene Libanese auf einem Überwachungsvideo.

Terrorist im Deutschlandtrikot: Der festgenommene Libanese auf einem Überwachungsvideo.

(Foto: Foto: AP)

Ein schlaksiger Junge im Nationaltrikot, mit einem Rucksack auf dem Rücken und einem schweren Koffer an der Hand - so einer fällt nicht auf. Er setzt sich auf die Bank auf Bahnsteig 2 und 3 im Kölner Hauptbahnhof, nimmt noch einen Schluck von seinem Orangensaft, bevor der Zug kommt.

Gute Kinderstube

Offensichtlich ist der Junge gut erzogen: Er steht eigens auf, um die leere Saftflasche in den richtigen Mülleimer zu werfen. Dann stemmt er seinen Rucksack auf die Schulter, nimmt den schweren Koffer und steigt ein. Zwei Stunden später zündet der Junge die Bombe.

Der Zünder klickt kurz vor dem Koblenzer Hauptbahnhof. Genau um 14.30 Uhr am 31. Juli 2006. Und 180 Kilometer weiter klickt im gleichen Augenblick ebenfalls ein Zünder - in einem anderen Koffer, kurz vor dem Bahnhof Dortmund.

Nur weil die Täter zuviel Sprengstoff in die Bomben gequetscht hatten, schaffte der Zünder es nicht, das Ganze hochzujagen. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung war die Bombe schlicht "zu fett", wie Sprengstoffexperten das nennen. Die Täter handelten nach dem Motto: Viel hilft viel. Und sie wollten zu viel.

Nur durch diesen handwerklichen Fehler ist Deutschland dem wohl schwersten Terroranschlag seiner Geschichte entgangen. Zwei Feuerbälle, ausgebrannte Waggons, entgleiste Züge, Tote und Schwerverletzte auf offener Strecke - das ist das realistische Szenario, das das Bundeskriminalamt (BKA) infolge der Sprengkraft der Bomben gezeichnet hat.

Stundenlange Qualen

Kein Rettungswagen hätte die Züge auf offener Strecke schnell erreicht. Stundenlang hätten sich die Schwerverletzten gequält.

Als die Sprengstoffspezialisten des BKA erkannten, dass beide Zünder angeschlagen hatten, wussten sie, dass sie einen Wettlauf gegen die Zeit gewinnen mussten. Denn der nette Junge vom Kölner Hauptbahnhof konnte wieder unterwegs sein. Irgendwo in Deutschland.

Es ist der vergangene Samstag, drei Uhr morgens in Kiel, als die wenigen Männer, die noch an den Tischen des Restaurants "Sultans Grill" sitzen, scheinbar gelangweilt in ihren Kaffees rühren. Müde sind die Menschen, die um diese Zeit den Imbiss am Hauptbahnhof von Kiel besuchen. Manche bestellen sich noch Pommes oder einen Döner, essen in sich versunken. Doch die Männer, die in dieser Nacht hier sitzen, sind bis in die Nervenenden gespannt. Sie warten.

Und dann kommt er. Dieser junge Mann, mit den langen, nach hinten gekämmten Haaren, den sie von den Videobändern kennen, die das BKA am Kölner Hauptbahnhof sichergestellt hat. Der Junge mit dem Nationaltrikot und dem schweren Koffer. Diesmal hat er wieder einen Koffer dabei. Er setzt sich an einen der Tische, stochert in seinem Essen. Dann geht er Richtung Bahnhof. Um 3.55 Uhr soll auf Gleis 4 die Regionalbahn nach Hamburg losfahren. Der Junge steuert auf den Bahnsteig zu.

Ein frommer junger Mann

Was will er mit dem Koffer? Was ist darin? Hat er nun den Regionalzug nach Hamburg im Visier? In diesem Moment greifen sie zu. Um 3.53 Uhr am Samstagmorgen greifen sie ihn, werfen ihn auf den Boden, schlagen ihm den Koffer aus der Hand. In diesem Moment ist einer der Attentäter von Köln gefasst. Er ist nicht bewaffnet, er leistet keine Gegenwehr. In Handschellen gefesselt liegt er auf dem Bahnsteig von Gleis 4.

Es ist der 21 Jahre alte Student Youssef Mohamad E., der seit zwei Jahren in Deutschland lebt und in Kiel Mechatronik studiert, eine Mischung aus Maschinenbau und Informatik. Ein frommer Mann, wie seine Studienkollegen berichten. Einer, der oft im Gebetsraum im Untergeschoss des Studentenwohnheims im Stadtteil Projensdorf betete und viel Besuch bekam. Ein Mann, den niemand im Visier hatte. Der weder Polizei noch Verfassungsschutz aufgefallen war.

Diesem Mann wirft Bundesanwältin Monika Harms nun die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vor, das "versuchte Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion" und "versuchten Mord mit gemeingefährlichen Mitteln in einer Vielzahl von Fällen". Youssef Mohamad E. wurde am Sonntag per Hubschrauber zum Bundesgerichtshof nach Karlsruhe gebracht.

Dort wurde am Abend Haftbefehl gegen ihn erlassen. Alles spricht gegen ihn: Seine Fingerabdrücke finden sich an den Bombenkoffern, auch DNA-Spuren von dort stimmen mit seinem Genmaterial überein. Außerdem hat der Mann offenbar telefoniert, bevor er zum Bahnhof ging. Und diesen Anruf haben die Ermittler abgehört - er brachte sie auf seine Spur.

Erleichterung aus allen Poren

Selten hat man einen Mann gesehen, der versucht, absolut nüchtern und sachlich zu sein, und dem doch die Erleichterung aus allen Poren strömt wie BKA-Präsident Jörg Ziercke. Er sitzt am Samstagnachmittag in Kiel neben dem schleswig-holsteinischen Innenminister Ralf Stegner und lässt kurze Einblicke in die Strategie der Polizei zu.

Erst am Tag zuvor war das BKA massiv in die Öffentlichkeit gegangen, hatte die Videobänder veröffentlicht, die Großfahndung nach den Bombenlegern ausgerufen. Keine 14 Stunden später ist nun einer der Täter gefangen. "Das war nicht vorhersehbar", sagt Ziercke.

Doch gehofft hatten die Kriminalisten natürlich darauf. Sie hatten damit gerechnet, dass die beiden Täter ihre Bilder im Fernsehen sehen, dass sie ihnen von allen Zeitungsseiten des Landes entgegenspringen. Und dass sie deswegen aus der Deckung kommen.

Man kann davon ausgehen, dass in dieser Nacht die Telefonüberwachung in Deutschland hochgefahren wurde wie nie zuvor. Dass der Bundesnachrichtendienst jedes Telefonat ins Ausland mit noch gespitzteren Ohren abhörte als sonst schon.

Anruf bei der Familie

Dass jeder Beamte, der Arabisch konnte, an den Lauschern saß, dass jeder Polizist, der hören konnte, mitgehört hat. Und dann hörten sie es. Offenbar rief Youssef Mohamad E. bei seiner Familie im Ausland an und fragte, was er nun tun solle. Er bekam den Rat, sich möglichst schnell aus dem Staub zu machen. Der früheste Zug nach Hamburg ging um 3.55 Uhr morgens.

Um 22 Uhr abends erfuhr die Polizei, dass sich ein Verdächtiger in Kiel absetzen wollte. Von da an zog sie das Sondereinsatzkommando zusammen, Sprengstoffexperten, das Bombenräumkommando, zehn Spürhunde. Zivilpolizisten standen in jedem Laden am Bahnhof, saßen in jeder Kneipe.

Ziercke und seine Leute hatten richtig gerechnet. "Der Fahndungsdruck und die Verunsicherung durch die Berichterstattung haben eine Reaktion des Verdächtigen provoziert", sagt der BKA-Präsident in seinem trockenen Polizistendeutsch. Doch er ist nicht beruhigt: Der zweite Verdächtige ist noch immer auf freiem Fuß.

Der, der ebenfalls am Kölner Hauptbahnhof gefilmt wurde. Der nur zwei Minuten vor Youssef Mohamad E. die Rolltreppe zum Bahnsteig hinauffuhr. Ebenfalls ein junger dunkelhaariger Mann, aber etwas anders ausstaffiert - nicht wie ein legerer Weltenbummler, sondern eher wie ein junger Geschäftsmann: Weißes Hemd, eine Laptop-Tasche über der Schulter, kurze Haare. Auch er zog einen Bomben-Koffer hinter sich her. Diesen Mann hat die Polizei noch nicht.

Spitze des Eisbergs?

Und was heißt hier auch schon zwei Verdächtige? Hat man es vielleicht nur mit der Spitze eines Eisbergs zu tun? Mit einer ganzen Gruppe von möglichen Attentätern, die nur die beiden Jungen vorgeschickt hat? "Wir müssen der Frage nachgehen, ob es autonome Zellen in Deutschland gibt", sagt Ziercke.

Terrorzellen, die keine Anweisung von al-Qaida oder sonst einem Netzwerk brauchen, die auf eigene Faust loslegen. Und die aufgewühlt sind von dem Krieg in Nahost, von der Bombardierung der libanesischen Hauptstadt Beirut durch die Israelis. "Wir wissen nicht, was in den letzten beiden Wochen passiert ist", sagt Ziercke.

"Vielleicht haben die Täter nachgedacht, warum die Bomben nicht explodiert sind. Wir wissen nicht, ob man dabei war, die handwerklichen Fehler zu korrigieren, ob man dabei war, eine neue Bombe zu bauen."

Zu diesem Zeitpunkt durchsuchen die Taucher der Kieler Polizei noch den kleinen Tümpel hinter dem Studentenwohnheim, in den der Verdächtige möglicherweise Beweise geworfen hat. Sie finden eine Diskette und ein Computergehäuse. Ob sie Youssef Mohamad E. gehören, ist noch nicht sicher.

Studentenwohnheim gefilzt

Seinen Koffer hatte die Polizei noch auf dem Bahnsteig geröntgt, um sicher zu sein, dass da nicht wieder eine Bombe tickte. Diesmal aber hatte er nur Kleider dabei. Stundenlang durchsuchten die Beamten dunter einem weißen Zelt die Sachen. Danach wurde das Studentenwohnheim gefilzt - "Explosions-Gefährliches" fand man nicht, erklärte die Bundesanwaltschaft.

"Ungewöhnlich ernst", nennt Innenminister Wolfgang Schäuble am Wochenende die Sicherheitslage in Deutschland. "So nah an einem Anschlag sind wir in Deutschland noch nie gewesen. Wir wissen nicht, wen wir noch hier haben."

Verfassungsschützer bemerken seit Beginn des jüngsten Libanon-Kriegs, dass die Stimmung in den muslimischen Gemeinden immer emotionaler wird. "Der Hass wird deutlicher", sagt Hamburgs Vize-Verfassungsschützer Manfred Murck. Doch eine rein emotionale Reaktion können die Bomben von Koblenz und Dortmund nicht gewesen sein.

Zu lang war der Vorlauf, zu aufwändig die Konstruktion, betonen die Fahnder. Die Bundesanwälte glauben, dass sie es mit einer bisher unbekannten terroristischen Zelle zu tun haben, mit Hintermännern, die beim Bombenbau geholfen haben. Die Generalbundesanwältin rechnet damit, dass "weitere, bislang noch unbekannte Personen sich dauerhaft zu einer Vereinigung zusammengeschlossen haben, um schwere Gewalttaten hier in der Bundesrepublik Deutschland zu verüben".

Frühe Spur in den Libanon

Das wäre eine terroristische Vereinigung nach Paragraph 129a Strafgesetzbuch. Eine terroristische Vereinigung, die aber ganz offensichtlich ihre Wurzeln im Libanon hat. Nicht "Home-grown Terrorists" wie in Großbritannien, wo die U-Bahn-Attentäter von Juli 2005 und auch die verhinderten Attentäter von August 2006 im Lande aufgewachsen waren. Sondern Ausländer, die ihren Hass nach Deutschland tragen.

Schon früh hatte die Spur der Kofferbomben in den Libanon gezeigt. Als die Süddeutsche Zeitung vier Tage nach dem missglückten Anschlag berichtete, dass die Fahnder in den Koffern Beutel mit arabischen Schriftzeichen gefunden hatten, da enthielten sich die Sicherheitsbehörden noch jeglichen Kommentars.

Man ließ die Gerüchte schwirren, dass es sich möglicherweise doch um eine Erpressung der Bahn handeln könnte oder um die Tat von harmlosen Stümpern. Nur keine Panik, schien die Devise. Sprach man aber hohe Sicherheitsverantwortliche auf die Kofferbomben an, dann versteinerten plötzlich ihre Mienen.

"Wir machen uns Sorgen"

Niemand ratterte mehr - wie all die Jahre zuvor - gebetsmühlenartig das Sprüchlein herunter: "Es besteht eine abstrakte Gefährdung in Deutschland, aber keine konkrete Gefahr." Jetzt war der Ton ein anderer, einer, dem man die Anspannung anmerkte. "Wir machen uns große Sorgen", hieß das jetzt, oder: "Das hat eine neue Dimension."

Die Verantwortlichen hatten erkannt, dass der Terror nach Deutschland gekommen war. Er kam in Gestalt von drei Orangensaftflaschen der Marke "Flirt", zwei kleinen grün-gelben Weckern und zwei großen Propangasflaschen. Alles ordentlich verstaut in zwei schwarzen Koffern. Damit die Flaschen nicht verrutschten, hatten die Bombenleger die Koffer ausgepolstert: mit Beuteln voller Speisestärke, mit alten T-Shirts.

Das alles sollte verbrennen, wenn die Bomben hochgingen. Doch die Sachen verbrannten nicht. So fanden die Ermittler die Beutel, entdeckten die Aufschrift "Fouad-Spices", erkannten, dass es sich dabei um einen Hersteller aus Beirut handelte, machten den Händler aus, der die Speisestärke in Deutschland vertrieb. Der berichtete, solche Tüten würden nur an rund 200 libanesische Familien im Raum Essen verkauft.

Verdächtiger Joghurt

Außerdem entdeckten die Fahnder in den T-Shirts einen zerknüllten Einkaufszettel, in dem auf Arabisch geschrieben stand: Mischbrot, Joghurt , Oliven. Vor allem die Art des Joghurts hat die Fahnder aufhorchen lassen: Der wird vor allem im Libanon gern gegessen, berichteten Experten.

Und es fand sich auch noch eine Telefonnummer zu einem libanesischen Anschluss in den Koffern. Ziemlich zerrissen der Zettel, aber lesbar. Dies scheint den Fahndern eine besonders heiße Spur. Hier hüllen sie sich in tiefes Schweigen. Auch weil der zweite Täter noch immer unterwegs ist.

"Die Gefahr ist nicht vorüber", sagte BKA-Präsident Ziercke. "Panik ist nicht angebracht." Immer wenn hohe Beamte diesen Satz sagen, bricht genau die Panik aus, die man verhindern will. Und so kam es, wie es kommen musste: Am Samstag war der Hamburger Hauptbahnhof zwei Stunden wegen einer Bombendrohung gesperrt, in Magdeburg wurde der Busbahnhof wegen eines verdächtigen Koffers abgesperrt, in Bonn der Bahnhof. Und in Koblenz koppelten sie einen Waggon ab, weil dort ein herrenloser Koffer stand. Es war überall falscher Alarm.

Im BKA in Wiesbaden analysieren die 100 Beamten der "Sonderkommission Trolley" die Videoaufnahmen. Sie beobachten, wie Youssef Mohamad E. und sein Freund mit ihren Koffern auf den Bahnsteig kommen. Wie erst der eine zum Zug geht, dann der andere.

Wie sie so tun, als hätten sie nichts miteinander zu tun. Und dann doch Youssef Mohamad E. genau dorthin geht, wo Minuten zuvor sein Kompagnon gestanden hatte - wie ein gut aufeinander eingespieltes Team.

Der Student aus Kiel könnte der Polizei helfen. Doch er schweigt eisern. Und sein Komplize ist noch unterwegs.

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