Merkel nach der Berlin-Wahl:Frieden, aber nicht um jeden Preis

CDU-Bundesvorstand

Bundeskanzlerin Merkel will ihre Flüchtlingspolitik besser erklären. Inhaltlich ändern will sie sie nicht.

(Foto: dpa)

Bei ihrem ersten Auftritt nach dem Wahldebakel in Berlin wird deutlich: Merkel hat nicht vor, sich für irgendetwas zu entschuldigen. Sie will aber gern mehr erklären.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Da gluckst CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel, das ist deutlich zu hören. Merkel hat etwas unbeabsichtigt Lustiges gesagt. Ein Journalist hatte angemerkt, sie wirke an diesem Tag noch kämpferischer als sonst. Was sie mit einem halb erfreuten Lächeln quittiert.

Sie finde, "dass ich, wenn ich aufstehe, eigentlich immer kämpferisch bin", sagt Merkel. Wer die Kanzlerin länger beobachtet, weiß, dass ein kämpferischer Auftritt und Merkel zwei Dinge sind, die nur ganz selten mal zusammenkommen. Vielleicht hat das Henkel so erheitert.

Ansonsten ist dies hier im Konrad-Adenauer-Haus, der Parteizentrale der Bundes-CDU, sicher kein guter Tag für einen notorischen Gute-Laune-Bären wie Henkel. Vor ziemlich genau drei Jahren haben sie dort vorne im Atrium, wo Henkel jetzt mit seiner Parteivorsitzenden und Kanzlerin Merkel steht, noch "An Tagen wie diesen!" gegrölt. Und Merkel sah sich genötigt, ihrem damaligen Generalsekretär Hermann Gröhe das nicht ganz im Takt geschwenkte Deutschland-Fähnchen aus der Hand zu reißen. Etwas mehr Bescheidenheit bitte. Auch nach diesem Wahlsieg mit über 40 Prozent.

Auch in Berlin war die CDU mal 40-Prozent-Partei

Nun, die CDU der Bundeshauptstadt hat gerade mit 17,6 Prozent das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte eingefahren. Sie war auch hier mal 40-Prozent-Partei. 1999 war das. Dann kam die Banken-Affäre, der Schuldennotstand, der Absturz. Davon hat sie sich nicht mehr wirklich erholt. Die Flüchtlingsfrage, die AfD und das Unvermögen der Hauptstadt CDU haben alles noch schlimmer gemacht.

Merkel nennt das ein "unbefriedigendes, ein enttäuschendes Ergebnis". Womit sie sicher nicht übertreibt. Und: Sie nimmt einen Teil der Verantwortung auf ihre Kappe. Was aber nicht bedeutet, dass sie ihre Haltung ändert. Wenn eine Ursache sei, erklärt sie vorsichtig, dass sie ihre Politik nicht gut genug erklärt habe, "so möchte ich mich gerne darum bemühen".

Zum Beispiel, wenn es um den Satz "Wir schaffen das" geht. Merkel stellt fest: "Der Satz ist Teil meiner politischen Arbeit, ist Ausdruck von Haltung und Ziel." Mit anderen Worten: Von diesem Satz wird sie nicht zurückweichen.

Dennoch mag sie ihn in den Debatten kaum noch wiederholen - was Seehofer als Friedensangebot werten könnte, wenn er das wollte. Die Fehlinterpretationen des Satzes seien Teil einer "immer unergiebiger werdenden Endlosschleife". Manche fühlten sich von dem Satz gar provoziert. So war er aber nicht gemeint. Sie spricht die Brüder und Schwestern der CSU nicht direkt an. Aber jeder darf sich denken, dass die Endlosschleifen-Kritik in Richtung München geht.

Merkel gesteht Fehler ein

Die offensichtlichen Fehler gesteht sie ein: Zu lange abgewartet, zu lang darauf verlassen, dass das Dublin-Verfahren funktioniere. "Das war nicht gut." Sie würde gerne "die Zeit zurückdrehen" und dann die Vorbereitungen auf das, was unweigerlich kommen musste, besser organisieren.

Ist das aber alles Anlass genug, den Kurs ganz oder teilweise zu ändern, wie jüngst in einer Umfrage 82 Prozent der Befragten forderten? Merkel: "Wenn ich der Umfrage präzise entnehmen könnte, welche Korrektur gemeint ist, wäre ich bereit darüber nachzudenken." Wenn aber damit gemeint sei, es dürften keine Fremden mehr aufgenommen werden, "dann stehen dem unser Grundgesetz, vor allem auch das ethische Fundament der Christlich Demokratischen Union und meine Überzeugungen entgegen." Sie sagt es ganz klar, so klar, dass auch Seehofer es eigentlich verstehen müsste: "Den Kurs kann ich und die CDU nicht mitgehen."

Wenn die 82 Prozent aber sagen wollen, dass sich eine Situation wie 2015 nicht wiederholen dürfe, "dann kämpfe ich genau dafür, dass sich das nicht wiederholt".

Da helfe die Schließung der Balkan-Route. Da helfe vor allem das EU-Türkei-Abkommen. Auch wenn es umstritten sei: "Das hat vielen Menschen das Leben gerettet."

Nein, Merkel wird nicht klein beigeben, wird sich nicht entschuldigen für den Satz "Wir schaffen das". Und auch nicht dafür, die Grenzen aufgemacht zu haben im Sommer 2015.

"Das war absolut richtig." Auch wenn es danach eine Phase des Kontrollverlustes gegeben habe. Damals war ein Schiff untergangen mit 800 Flüchtenden an Bord. Es gab den Laster, in dem Flüchtende "jämmerlich erstickt" seien. Merkel will da nicht einfach drüber hinwegsehen. Sie setzt auf Solidarität und Werte. "Das bedeutet, ich stehe voll zu diesen Entscheidungen."

Und denen, die sich von Fakten längst nicht mehr beindrucken lassen, hält auch sie ihr Gefühl entgegen. Das "absolut sichere Gefühl" nämlich, "dass wir aus dieser Phase besser herauskommen als wir hineingegangen sind".

Schon mal gehört? Ja, das hat sie auch über die europäische Finanz- und Schuldenkrise gesagt. Und selbst scharfe Kritiker räumen ein, dass sie das Versprechen - für Deutschland zumindest - durchaus eingehalten hat.

Aber was nützt es, wenn die CSU nicht mitgeht? Henkel jedenfalls ist sauer auf die Christsozialen. Denen macht er hier öffentlich den Vorwurf, dass "der Streit, der von der CSU aus München angezettelt wurde", seinem Wahlkampf geschadet habe.

Der Streit geht - immer noch - um die Obergrenze. Seehofer besteht darauf, dass nicht mehr als 200.000 Flüchtende im Jahr ins Land dürfen. Merkel hält so eine "statische Zahl" nicht für realisierbar.

Anfang November trifft sich die CSU zum Parteitag. Noch ist Merkel nicht eingeladen. Wenn es dabei bleibt wäre das ein tiefer Bruch zwischen den Schwesterparteien. Für wann erwartet sie denn, dass die Einladung eintrifft? "Unbestritten habe ich erst mal anderes zu tun", sagt sie. Als wäre sie nach ihrem Verhältnis zu Käseigeln gefragt worden.

Sie sei sich aber sicher, "dass die CSU das alles zum rechten Zeitpunkt entscheiden wird". Denn: "Gemeinsam sind wir mit Sicherheit stärker." Darin steckt noch nicht die konkrete Drohung, dass die CDU auch auf eigene Faust in den Wahlkampf 2017 starten werde. Aber doch der dezente Hinweis, dass die Trennung von der CSU notfalls das kleinere Übel sein könnte.

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