Nach den Landtagswahlen:Die grüne Milieu-FDP

Einst Fundamental-Opposition, heute Mehrheitsbeschafferin für wechselnde Partner: Die Grünen stehen heute weniger für unverwechselbare Ziele als für einen Lebensstil.

Kurt Kister

Oskar Lafontaine hätte sie im Saarland am liebsten aus dem Landtag ferngehalten. Im Sommer bezichtigte der Oberverdachtsschöpfer Lafontaine die Grünen, sie würden heimlich mit den Schwarzen eine Jamaika-Koalition verabreden. Grün und Dunkelrot beschimpften sich ausführlich. Zwischen den Saar-Grünen und ihrem potentiellen Partner in einem rot-rot-grünen Bündnis herrscht also wenig Sympathie. Andererseits aber deutet die Lafontaine'sche Befürchtung auch darauf hin, dass die Grünen mittlerweile mit jeder anderen der in Bundestag und Landesparlamenten vertretenen Partei koalieren können (die selbstverständliche Ausnahme sind die Rechtsextremen).

ddp, Özdemir, Grüne

Der Grünen-Bundesvorsitzende Cem Özdemir (links) mit den Spitzenkandidatinnen Antje Hermenau (Sachsen, mitte) und Astrid Rothe-Beinlich (Thüringen): Mehrheitsbeschaffer für jedermann?

(Foto: Foto: ddp)

Für die Grünen war es ein langer Weg. Vor gut dreißig Jahren entwickelte sich aus einer Anti-Establishment-Bewegung sehr mühsam so etwas wie eine Partei, damals eine klar linke Partei. Was in der Fundamentalopposition begann, ging über rot-grüne Bündnisse, begleitet von heftigen internen Flügelkämpfen, bis zur Zusammenarbeit mit der CDU in Hamburg.

Mensch, Umwelt, guter Wein

Heute ist die grüne Partei die Sympathieorganisation jenes irgendwie um Mensch, Umwelt und guten Wein besorgten Teils der Mittelschicht geworden, der seinen relativen Wohlstand gerne auf andere ausgedehnt sähe ohne allerdings, wie die Linke, gleich "Reichtum für alle" zu fordern. Um ein wenig garstig zu sein: Die Grünen haben sich zur FDP mit mitmenschlichem Antlitz gewandelt.

Damit haben sie auch eine Funktion übernommen, die lange Zeit zu den identitätsstiftenden Merkmalen der FDP zählte. Die Grünen sind dabei, Mehrheitsbeschaffer für nahezu jedermann zu werden, der halbwegs bereit ist, "grüne Inhalte" zu vertreten. Auch das ist seit der Nachrüstung und Holger Börners Dachlatten-Politik deutlich leichter geworden.

Der gesellschaftliche Wandel hat aus manchen einst avantgardistisch anmutenden Zielen Normalität werden lassen. Grünes Denken ist Mehrheitsdenken geworden, ohne dass deswegen allerdings die Grünen ihren Status als Minderheitspartei hätten überwinden können. Die große Mehrheit der Wähler glaubt, man brauche keine grüne Partei, um grüne Ziele zu verfolgen.

Lebensstil statt Ziele

Zwar haben die Grünen bei den jüngsten Landtagswahlen überall die Fünf-Prozent-Hürde problemlos genommen. Aber sie sind auch überall nur als die Kleinsten der Kleineren in die Landtage gekommen. Gegenwärtig müssen sie nicht um ihre parlamentarische Existenz fürchten, wie dies vor einigen Jahren in etlichen Bundesländern noch der Fall war. Auch die Grünen profitieren vom Niedergang der traditionellen Volksparteien, vor allem vom Absturz der SPD in die tiefen Täler unterhalb der 30-Prozent-Marke.

Anders als früher stehen die Grünen jedoch nicht mehr so sehr für eigene unverwechselbare Ziele als vielmehr für einen Lebensstil, ein Milieu. Wie schnell sich solche Milieus gegen die sie vermeintlich repräsentierende Partei wenden können, erlebt die SPD gerade.

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