Nach den Anschlägen in Paris:Was der Ausnahmezustand in Frankreich bedeutet

Soldaten vor dem Eiffelturm.

Soldaten vor dem Eiffelturm.

(Foto: Bloomberg)

Hausdurchsuchungen bei Nacht, Ausgangssperren, Sicherheitszonen: Worauf sich die Franzosen in den kommenden Monaten einstellen müssen.

Von Paul Munzinger

Dass eine Stadt oder ein Staat sich im Ausnahmezustand befindet, wird häufig behauptet: nach einer gewonnenen Meisterschaft im Fußball, während des Schlussverkaufs, bei unerwartetem Schneefall. Tatsächlich wird der Ausnahmezustand, im juristischen Sinne, höchst selten verhängt. In Frankreich war dies zuletzt während der Vorstadtunruhen im Jahr 2005 der Fall, damals allerdings beschränkt auf die betroffenen Departements. Einen état d'urgence auf dem gesamten französischen Staatsgebiet, wie ihn Präsident François Hollande noch in der Nacht von Freitag auf Samstag verhängte, gab es zuletzt während des Algerienkrieges, vor mehr als 50 Jahren. Eine Entscheidung von historischen Ausmaßen also.

Wann wird der Ausnahmezustand verhängt?

Der Ministerrat unter dem Vorsitz des Präsidenten kann den Ausnahmezustand per Dekret erklären, so regelt es das Gesetz Nummer 55-385, "wenn eine unmittelbare Gefahr durch schwere Bedrohungen der öffentlichen Ordnung" besteht oder "im Fall von Ereignissen, die aufgrund ihrer Art und ihrer Schwere eine öffentliche Katastrophe darstellen".

Geschaffen im Jahr 1955 vor dem Hintergrund des Algerienkrieges soll der Ausnahmezustand eine Zwischenstufe darstellen: zwischen dem Normalzustand und dem Belagerungszustand. Soll er länger als zwölf Tage dauern, muss an die Stelle des Dekrets ein Gesetz über den Ausnahmezustand treten, verabschiedet vom Parlament. Vorerst gilt er also bis Donnerstag kommender Woche. Präsident Hollande will ihn aber offenbar auf mindestens drei Monate verlängern lassen. Am Montagnachmittag sprach er vor den beiden Kammern des Parlamentes, der Nationalversammlung und dem Senat. Dem Vernehmen nach soll das Gesetz von 1955 an die Situation nach den Anschlägen von Paris angepasst werden. Was das im Einzelnen bedeutet, ist noch unklar.

Jean-Luc Mélenchon, Vorsitzender des linken Parti de Gauche, kritisierte eine mögliche Verlängerung der Notmaßnahmen. Bei drei Monaten handle es sich nicht mehr um einen Ausnahme-, sondern um einen Dauerzustand, schrieb er auf Twitter.

Was erlaubt der Ausnahmezustand?

Der Ausnahmezustand gibt den Präfekten in den Departements und dem Innenminister für das gesamte Staatsgebiet weitreichende Befugnisse, die bürgerlichen Rechte einzuschränken. Sie können den freien Verkehr von Personen und Fahrzeugen verbieten; sie können Schutzzonen um potenziell gefährdete Plätze oder Gebäude einrichten; sie können Personen den Zutritt zu einem Departement verweigern, wenn diese "die öffentliche Gewalt behindern wollen". Sie können Versammlungen und Demonstrationen verbieten und eine Ausgangssperre gegen Personen verhängen, "deren Verhalten sich als gefährlich für die öffentliche Sicherheit und die öffentliche Ordnung erweist". Sie können Kinos, Theater, Gaststätten und andere Versammlungsstätten schließen lassen. In Paris waren am Wochenende alle städtischen Einrichtungen geschlossen: Schulen, Schwimmbäder, Bibliotheken, Märkte. Bestimmte Waffen können beschlagnahmt werden.

Der Ausnahmezustand erlaubt den Behörden zudem, Hausdurchsuchungen bei Tag und bei Nacht ohne richterlichen Beschluss durchzuführen. Wie Frankreichs Premierminister Manuel Valls im Radiosender RTL mitteilte, fanden in der Nacht zu Montag mehr als 150 Durchsuchungen im islamistischen Milieu statt, unter anderem in Lyon, Toulouse und Grenoble. Mehrere Verdächtige wurden festgenommen, in Lyon wurde unter anderem eine Panzerfaust sichergestellt. "Wir müssen die Moscheen und Vereine schließen, die die Werte der Republik angreifen", sagte Valls. Einen direkten Zusammenhang zu den Attentaten von Paris soll es nicht geben.

Obwohl dies nicht explizit im Gesetz festgehalten ist, erlaubt der Ausnahmezustand nach Einschätzung des französischen Innenministers Bernard Cazeneuve auch eine leichtere Abschiebung derjenigen, "die abgeschoben werden müssen, weil sie in Frankreich Hass predigen, weil sie unter Terrorverdacht stehen oder an Terrorakten beteiligt waren". Konkret bedeute dies, so Cazeneuve, dass Moscheen schneller geschlossen werden könnten, in denen Hass verbreitet werde.

Was der aktuelle Ausnahmezustand nicht umfasst

Das Gesetz über den Ausnahmezustand ermöglicht es den Behörden auch, die Kontrolle über die Presse und alle Publikationen in Radio, Fernsehen, Kino und Theater sicherzustellen. Das aktuelle Dekret spart diesen Passus aber aus.

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