Nach dem Massaker von Newtown:Die Lächerlichkeit der Waffenbesitzer

"Wo gibt es Waffen in meiner Nachbarschaft?" Eine Frage, die nach dem Amoklauf von Newtown viele Amerikaner bewegt. Eine US-Lokalzeitung hat nun eine Liste von Waffenbesitzern in ihrem Bezirk veröffentlicht, mit Namen und genauem Wohnort. Es folgt: Ein Aufschrei der Empörung.

Charlotte Theile

Mehr als 33.000 Bürger des US-Bundesstaates New York erlebten am Samstag eine Überraschung: Die Lokalzeitung The Journal News hatte ihre Namen und Adressen in einer interaktiven Landkarte veröffentlicht. Unter der Überschrift "Wo sind die Waffenscheine in deiner Nachbarschaft?" wollte die Zeitung den Einwohnern der Bezirke Westchester und Rockland die Möglichkeit geben, Waffenbesitzer in ihrer Umgebung zu identifizieren. Denn, so die lapidare Begründung der Zeitung, "die Bürger interessieren sich dafür."

Zum Beweis wird ein anonymer Nachbar eines Mannes angeführt, der im Mai eine Frau auf der Straße angeschossen hat. Der Nachbar sagte dem Blatt, wenn er von dem Waffenarsenal in der Nachbarschaft gewusst hätte, wäre er an einen anderen Ort gezogen.

Nach dem Amoklauf von Newtown diskutiert ganz Amerika über den Umgang mit Schusswaffen, strengere Gesetze sind wahrscheinlicher als je zuvor. Auch die Leser von The Journal News hatten zuletzt lebhaft über strengere Waffengesetze debattiert. So weit, so nachvollziehbar. Dass darum nun alle Waffenbesitzer mit Namen und Adresse veröffentlicht werden - dagegen gibt es berechtigte Bedenken, zuallererst, wenn es um die Privatsphäre geht.

The Journal News weiß um diese Bedenken. In einem fünfseitigen Bericht der Lokalzeitung kommt ein Staatsbediensteter, Paul Piperato, zu Wort: "Unter den Genannten sind Richter, Polizisten im Ruhestand und FBI Agenten. Wenn man der Öffentlichkeit verrät, wo sie wohnen, bringt man sie in Gefahr." Ein Risiko, das die Zeitung bewusst in Kauf nimmt - und wofür sie harsch kritisiert wird. In hunderten Kommentaren monieren die Leser, dass kaum journalistische Arbeit, sondern einfach eine Anfrage bei der Behörde und "Copy-and-Paste" hinter Artikel und Grafik stehe.

"Warum sollte ich das wissen wollen?" - die Zeitung wird scharf kritisiert

"Warum sollte ich wissen wollen, wo die Leute wohnen, die legal Waffen besitzen?" fragt ein User namens Mike Pandolfo, ein anderer, Harry Ball, veröffentlicht in seinem Kommentar Namen und Adressen der Journalisten bei The Journal News. "Was mich interessieren würde, wäre eine Karte, die die illegalen Schusswaffen zeigt" kommentiert Wendy Mierbeth, deren Eltern ebenfalls auf der Karte auftauchen, allerdings, wie sie verwundert bemerkt, mit nur einer Waffe.

Wie viele Schusswaffen und welche Kaliber die Bürger bei sich zu Hause lagern, das konnte The Journal News den Behörden nicht entlocken. Ohnehin reagierten die Ämter sehr unterschiedlich auf die Anfrage der Zeitung, die sich bereits 2006 mit einer ähnlichen Aktion den Zorn der Waffen-Freunde zugezogen hatte. Im Bezirk Putnam etwa erhielt die Lokalzeitung nur die Auskunft, es gebe etwa 11.000 Waffenscheine. Wer diese halte, könne man nicht sagen - zu zeitaufwendig.

"Sie geben Kriminellen eine Einkaufsliste" kritisert die NRA

Auch die Datensätze aus Rockland und Westchester sind unterschiedlich aussagekräftig. Während sich unter den 16.998 Waffenschein-Inhabern Rocklands auch Tote und längst Weitergezogene befinden können, handelt es sich bei den 16.616 potentiellen Waffenbesitzern Westchester tatsächlich um Menschen, die in den vergangenen fünf Jahren ihre Lizenz erneuert oder für einen Waffenkauf gebraucht haben.

Journalistisch ist das Vorgehen umstritten

Ein Großteil der nun veröffentlichten Personen sind Hobby-Schützen und Jäger. Etwa ein Sechstel, also rund 2300 Personen, braucht die Waffe aus beruflichen Gründen. Tom King, der die Waffenlobby NRA im Bundesstaat New York vertritt, kritisiert The Journal News hart. "Sie geben Kriminellen eine Einkaufsliste an die Hand." Eine Befürchtung, die viele aufgebrachte User teilen. Positives Feedback gibt es kaum - auch Waffenskeptiker haben offenbar ein Problem damit, Menschen ohne ihr Einverständnis im Internet zu outen.

Dennoch steht The Journal News zu der Aktion. Wie der Fernsehsender CNN und die New York Times berichteten, bekräftigte die Chefin der Journal News Media Group, Janet Hasson, dass es die Zeitung für ihre Aufgabe halte, öffentlich zugängliche Informationen zu publizieren, auch, wenn man sich damit unpopulär mache.

Journalistisch ist das durchaus umstritten. Al Tompkins von der Journalistenschule The Poynter Institute in Florida bezeichnete das Vorgehen als "ungerechtfertigt". Man gebe die Waffenbesitzer öffentlichem Spott preis - und missbrauche zudem die generelle Zugänglichkeit staatlicher, nicht vertraulicher Dokumente. Strafbar ist das Vorgehen der Lokalzeitung wohl nicht. Zwar gebe es kein Recht auf die nun veröffentlichten Informationen, einen Passus, der die Publikation ausdrücklich verbietet, jedoch ebenso wenig. Der Bundesstaat New York garantiert es seinen Bürgern per Gesetz, Informationen wie diese innerhalb von zwei Monaten zu erhalten. The Journal News hatte schon nach Tagen erste Ergebnisse.

Der Autor besitzt selbst eine Smith & Wesson

In jedem Fall hat sich die Lokalzeitung mit der Veröffentlichung ins Abseits geschossen. Journalist Tompkins verglich das Vorgehen damit, grundlos die Notrufnummer 911 zu wählen oder die Privatadressen von Richtern und Polizisten zu publizieren.

Dwight R. Worley, Autor der interaktiven Grafik und des dazugehörigen Artikels, ist übrigens selbst Waffenbesitzer. In einer Anmerkung der Redaktion über dem Artikel heißt es, er habe eine Smith & Wesson 686 .357 Magnum, die seit Februar 2011 in New York City genehmigt sei.

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