Nach dem Krieg im Kaukasus:Russland will nicht mehr nach Westen

Der Einmarsch in Georgien markiert eine Zäsur - Deutschland muss seine Strategie der Anbiederung überdenken.

Thomas Kleine-Brockhoff

Kaum sechs Wochen ist es her, da rühmte der Bundesaußenminister Dmitrij Medwedjew. Von "Freiheit und Recht" als "Grundlage staatlichen Handelns", spreche der russische Präsident. Er suche "aufrichtig eine engere Kooperation mit dem Westen". Darum wolle er, Frank-Walter Steinmeier, die Zusammenarbeit weiter ausbauen: "Nehmen wir den neuen russischen Präsidenten beim Wort."

Nach dem Krieg im Kaukasus: Angela Merkel und Dmitrij Medwedjew: Sieht Deutschland den neuen russischen Realitäten nicht ins Auge, droht es sich im Nato-Club zu isolieren.

Angela Merkel und Dmitrij Medwedjew: Sieht Deutschland den neuen russischen Realitäten nicht ins Auge, droht es sich im Nato-Club zu isolieren.

(Foto: Foto: dpa)

Inzwischen kann man Medwedjew an seinen Taten messen. Zu besichtigen ist der Versuch seines Landes, mit Gewalt ins Zentrum der Weltpolitik zurückzukehren. Die russischen Besatzungs-Panzer in Georgien stehen für den Versuch, alte Muster der Geopolitik neu zu etablieren.

Großmacht-Geschacher

Sich einen Gürtel von Klientenstaaten mit eingeschränkter Souveränität umzulegen, ist Moskaus Ziel. Die Integration in westliche Institutionen soll Russlands Nachbarn nicht erlaubt sein. Georgiens Führung, verfangen im eigenen Nationalismus, hat sich in eine Falle locken lassen und die von Moskau erwünschten Feindseligkeiten sogar selbst ausgelöst.

Präsident Medwedjew (und Premier Wladimir Putin) zwingen Europa in eine Zeitmaschine: Der postnationale Friedenskontinent des 21. Jahrhunderts findet sich plötzlich mitten im Großmacht-Geschacher des 19. Jahrhunderts wieder.

Mit der Errichtung einer traditionellen "Einflusszone" ist Deutschlands "strategischer Partnerschaft" mit Russland die Geschäftsgrundlage entzogen. Gesucht wird nun eine neue Russland-Politik. Die Beziehung wird nüchterner sein müssen, befreit von Tagträumen und Romantizismen, und ausgestattet mit einer Versicherungspolice.

Dauerverhandlungen unter Akzeptanz des totalitären Status quo

Seit der Barbarossa-Katastrophe des NS-Regimes versuchen deutsche Kanzler, sich Russland immer wieder anzunähern. Konrad Adenauer reiste nach Moskau, um die Kriegsgefangenen rauszupauken. Willy Brandt suchte nach "Wandel durch Annäherung", einem Verhandlungskonzept, das unter dem Schutz des amerikanischen Atomschirms langfristig auf Regimewechsel in Moskau setzte. Diese ursprünglich subversive Idee erstarrte später zu rituellen Dauerverhandlungen unter Akzeptanz des totalitären Status quo.

Dieselbe Sequenz aus politischer Innovation und folgender Versteinerung erlebte die deutsche Russland-Politik nach dem Mauerfall. Kanzler Kohl präsentierte den Russen im November 1996 sein neues ostpolitisches Konzept: Nato-Beitritt für die Länder Ostmitteleuropas und gleichzeitig Partnerschaft mit Russland als Anker europäischer Stabilität.

Es müsse im Interesse Russlands sein, hieß es damals, sich an westliche Institutionen anzulehnen. Wiederum unter amerikanischem Schutz, nämlich mittels der Beistandsklausel im Nato-Vertrag, gelang die Vollendung der europäischen Einigung in der EU. Nicht auszudenken, wie Europa heute ohne Nato-Erweiterung, aber mit neoimperialem Russland aussähe. Womöglich ähnelten heute Moskaus Beziehungen zu den baltischen Staaten und Polen jenen zu Georgien.

Auf der nächsten Seite: Wie Wunschdenken und Selbstbetrug zur Grundlage deutscher Russland-Politik wurden.

Russland will nicht mehr nach Westen

Dass Russland zum Partner werden könne, fußte auf der Annahme, dass es seine imperiale und obrigkeitsstaatliche Vergangenheit hinter sich zu lassen vermag. Auf dieser Hoffnung basierte das Konzept der strategischen Partnerschaft von Kanzler Schröder. Zu jener Zeit befand sich Russland aber schon erkennbar auf dem Weg zurück zu Zentralstaat und Autoritarismus.

Bald wurden Öl und Gas als Waffe entdeckt. Schließlich, gestärkt durch einen explosionsartig steigenden Ölpreis, machte sich Russland an eine Art Rollback. Die Teilbesetzung Georgiens ist der erste Höhepunkt dieser neuen Politik. Russlands "souveräne Demokratie" lässt den Souverän nicht entscheiden und dem Nachbarn Souveränität nur nach Moskaus Gusto.

Lupenreiner Demokrat

Eine Mischung aus Wunschdenken und Selbstbetrug wurde zur Grundlage deutscher Russland-Politik, die sich tatkräftig bemühte, die offensichtlichen Veränderungen dort zu übersehen oder wegzureden. Einen Höhepunkt bildete die tragikkomische Bemerkung von Kanzler Schröder, mit der er Präsident Putin zum "lupenreinen Demokraten" erhob.

In Außenminister Steinmeiers Planungsstab wurde später das Konzept "Annäherung durch Verpflichtung" erdacht. Vom Ziel des "Wandels" in Russland ist keine Rede mehr. Deutschland scheint mit seinem "strategischen Partner", der Presse und Individuen kujonieren lässt, durchaus zufrieden zu sein.

Umarmungsgesten verkommen zum Ritual

Wie während der Spätphase der Entspannungspolitik verkommen jetzt die Umarmungsgesten zum Ritual und sehen der Anbiederung zum Verwechseln ähnlich. Auf jede Problemstellung ist Annäherung die Antwort. Läuft es gut mit Russland, so sollte man die Beziehungen vertiefen; läuft es schlecht, erst recht.

Zieht in Moskau mal wieder irgendwer die Daumenschrauben gegen die eigene Bevölkerung an, so heißt es: "Umwege" auf dem Weg zur Demokratie seien "unvermeidbar" (Steinmeier, vor wenigen Wochen). Fragt sich nur, wie man ständig falsch abbiegen und doch am richtigen Zielort ankommen kann.

Derlei Interpretationskunst ist nun an eine Grenze gestoßen. Der russische Einmarsch in Georgien markiert eine Zäsur. So viel ist klar: Russland will nicht mehr nach Westen. Sieht Deutschland den neuen russischen Realitäten nicht ins Auge, droht es sich (zusammen mit Frankreich und Italien) im Nato-Club zu isolieren.

Die Angst ist groß, Druck auf Russland auszuüben. Traditionell wird jeder, der Russland etwas Unfreundliches sagen möchte, als "Hardliner" gebrandmarkt. Dabei will in Deutschland niemand einen neuen kalten Krieg heraufbeschwören. Dazu ist Russland zu wichtig. Ohne Russland geht nichts. Nicht in der Iran-Frage; nicht im Nahen Osten; nicht im UN-Sicherheitsrat. Es wird also Gespräche und Zusammenarbeit geben.

Ziel: Russlands Verhalten ändern

Trotzdem muss Russland seine strategischen Kalkulationen verändern. Seine Nachbarn zu strangulieren, sollte für Russland teurer werden. Ölpreis und Integration in die Weltwirtschaft haben Russland reich gemacht. Dies ist die Grundlage für das auftrumpfende Verhalten. Moskau will beides zugleich: seine Nachbarn zu Vasallen machen und mit Hilfe der westlichen Wirtschafts-Clubs den Wohlstand sichern.

Beides geht aber nicht zusammen. Das kann der Westen Russland klarmachen. Die Aufnahme in die Welthandelsorganisation zu verzögern, wäre ein machtvolles Symbol. Der Westen darf sich dabei aber nicht selbst schaden. Schritte dieser Art müssen rückgängig zu machen sein. Ziel ist es, Russlands Verhalten zu ändern. Am Ende würde sonst keine strategische Partnerschaft stehen, sondern eine Partnerschaft à la carte.

Thomas Kleine-Brockhoff ist Mitglied der Geschäftsleitung des German Marshall Fund of the United States in Washington. Davor war er Amerika-Korrespondent der Wochenzeitung Die Zeit.

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